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Herr Taleb legt ein Ei

Nassim Nicholas Taleb: Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, München 2012, Knaus-Verlag Schon der Titel ist verwirrend: „Antifragilität“ strotzt zwar nur so von Wissen und klugen Zitaten, aber so richtig erhellend ist das alles nicht. Taleb rät uns, das tägliche Chaos schätzen zu lernen, so lange es sich überwinden lässt und uns nicht  zerstört. Und er haut drauf: Auf das Finanzsystem, bei dem er einst selbst prächtig verdient hat, auf Thomas Friedman und Alan Greenspan. Sich dafür durch seine fast 700 Seiten quälen zu müssen, ist eine Zumutung.

Der Mann kann reden, schreiben und vor allem gut verkaufen. Nassim Nicholas Taleb,  amerikanisch-libanesische Ex-Börsenhändler, Schriftsteller, bekennender Mucki-Buden-Besucher und Autor des Bestsellers „Der schwarze Schwan“ hat ein neues Mammutwerk vorgelegt. „Antifragilität“ heißt es – ein verwirrender Begriff und im Grunde ein ziemlich dämlicher Titel. Fragilität ist für Taleb die Brüchigkeit, Antifragilität die Anti-Brüchigkeit. Genauer gesagt: Antifragil heißt bei ihm, sich gegen das Zerbrechliche zu stemmen, das Zerbrechliche als gegeben anzusehen und aus ihm das Beste zu machen. Ein fragiler Mensch mag weder Unsicherheit noch Unordnung. Ein fragiles ökonomisches System hasst den Zufall und die Volatilität. Ein antifragiler Mensch findet das alles in Ordnung. Er lernt aus Unsicherheit und Chaos, er passt sich an und profitiert dadurch für die Zukunft.

Auf knapp 700 Seiten schreibt Taleb die Geschichte der Brüchigkeit nieder und rechnet mit allem und allen ab, die Chaos und Störungen aus der Welt stets ausblenden – allen voran Ex-US-Notenbank-Chef Alan Greenspan, aber auch Wirtschaftskolumnisten der US-Zeitungen wie Thomas Friedman und Paul Krugman. Ihnen wirft er vor, immer nur in strengen Gedankenkorsetten gedacht und später auf die Finanzkrise nicht mehr als mit einem verständnislosen Kopfschütteln geantwortet zu haben. Das Eintreten einer Krise habe nie in deren Überlegungen gestanden, meint Taleb. Dabei sei es offensichtlich, dass in allen Handlungssystemen, Organisationen und selbst in der Natur Unvorhergesehenes geschehe und man dieses in seine Überlegungen mit aufnehmen müsse. Hätte man also weniger auf die amerikanischen Wirtschaftsapologeten gehört, hätte man möglicherweise zwar nicht die Finanzkrise verhindern, aber in ihrem Ausmaß lindern können, ist sich Taleb sicher.

Taleb empfiehlt, Schwierigkeiten in allen Lebenslagen grundsätzlich schätzen zu lernen, insofern sie sich überwinden lassen und nicht zerstörerisch sind. Denn alles im Leben muss ein wenig brüchig sein, damit es auf kleinem Niveau befreiend scheppern kann und nicht irgendwann in einem großen Knall, der alles umhaut, explodiert.

Es ist ein im Grunde banaler Gedanke, über den der Autor – wie er erklärt – zwanzig Jahre seines Lebens nachgedacht hat und von dem er nun glaubt, er sei so wahnsinnig originell. Vielleicht hatte Taleb mit seinem Buch vor allem Amerika im Sinn. Denn dass Systeme der Brüchigkeit, Zergliederung oder Dezentralisierung in Europa schon lange existieren – von der Antike bis zum Föderalistischen Prinzip der Bundesrepublik – müsste dem Autor bekannt sein. Warum also noch mal darüber schreiben?

In gewisser Weise kommt Taleb einem vor wie das berühmte Huhn, dass endlich ein Ei gelegt hat und vor Freude und Begeisterung über sich selbst den ganzen Tag gackert, während der Karpfen täglich Tausende legt und schweigend davonschwimmt. Das Prinzip, das in jedem Ende ein Anfang liegt, dass jedes Schlechtes auch etwas Gutes mit sich führt und dass die Unordnung, das unvorhergesehene Chaos immer ein wenig die Welt verändert, ist so alt wie unser Sternenhimmel. Dass sich auch Persönlichkeiten gerade dadurch auszeichnen, dass sie anecken und sich nicht in Schubladen stecken lassen, ist nichts Neues. Das mal weniger mal mehr brodelnde Chaos hat immer schon Neues hervorgebracht – dieses aber zum Lebensprinzip für jeden Menschen und jede Organisation zu erklären, ist anmaßend.

Was der Autor in seiner maßlosen Aufgeblasenheit einfach vergisst, ist, dass die Mehrheit der Menschen Sicherheit für ihre Existenz braucht. Angestellte, die regelmäßig Lohn kassieren, sind für Taleb fragil. Nur Selbstständige, die finanziellen Schwankungen ausgesetzt sind, sind antifragil und für ihn damit die besseren Arbeiter – sie sind schockresistenter.

Bei solchen ignoranten Ansichten ist es auch kein Wunder, wenn Taleb meint, ihn hinderten die täglichen Routinen daran, ein gutes Leben zu führen. Auch das kann nur jemand schreiben, der finanziell ausgesorgt hat.

Warum die Welt dieses Buch braucht, bleibt letztlich Talebs Geheimnis. Es dient aber ausgezeichnet als kleine Hantel für die Fitnessübung zwischendurch – garantiert unzerbrechlich.