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Der Herr der Gerechten

Sandel_GerechtigkeitMichael J. Sandel: Gerechtigkeit – wie wir das Richtige tun, Ullstein-Verlag, Berlin 2013 Wieder einmal gelingt es Michael J. Sandel ein Buch leicht und verführerisch wie Crème Caramel vorzulegen. Es ist sicherlich nicht so eindrucksvoll wie die Seminarreihe „Justice“, die im Internet den Harvard-Professor als Meisterprediger von Moral und Gerechtigkeit zeigt. Und auch ist es nicht so tiefgründig wie Werke seiner Kollegen aus Philosophie und Ökonomie. Aber Sandels Buch zeigt, dass der oft schwerfällig wirkende Begriff der Gerechtigkeit massentauglich und lebendig diskutiert werden kann. Und muss.

Manchem reicht vielleicht schon ein Blick auf Sandels Youtube-Videos um zu verstehen, dass dieser Mann vor allem eins kann und will: sich gut verkaufen. Sein Buch „Gerechtigkeit – wie wir das Richtige tun“ fasst auf 367 Seiten seine Lehrveranstaltungen „Justice“ an der Harvard-University zusammen. Im Grunde also ist es das Buch zur Vorlesung – oder auch das Buch zum Film. Denn auf allen möglichen Kanälen im Internet und Fernsehen feiern seine begeisterten Undergraduates und Millionen anderer Fans Sandel in seinen Filmaufnahmen als den neuen Moralphilosophen unserer Zeit. Man könnte sagen: nach Kant und Rawls nun also Mister Sandel.

Das ist alles natürlich ein bisschen übertrieben. Doch Neid oder Häme sind nicht angebracht. Seinen Erfolg hat sich Sandel insofern verdient, dass es ihm gelingt, bisher eher unpopuläre Themen wie Moral, Werte oder Gerechtigkeit massentauglich aufzubereiten und als lebendigen Teil unseres Alltags zu vermitteln.

Gerechtigkeit geht uns alle an – so zumindest macht es Sandel seiner Gefolgschaft deutlich. Er zeichnet an der Geschichte der Philosophie die verschiedenen Auffassungen über den Begriff der Gerechtigkeit nach. Mal bedeutet sie, den Nutzen und den Wohlstand zu mehren – für Sandel „das größte Glück für die größte Zahl von Menschen“. Mal ist sie nichts anderes als Wahlfreiheit und betrifft damit zum Beispiel auch die Entscheidungen, die Menschen auf dem freien Markt treffen. Oder sie meint, „Tugend zu kultivieren und über das Gemeinwohl nachzudenken“ – diese Variation kommt Sandel am nächsten. „Um zu einer gerechten Gesellschaft zu gelangen, müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, was es heißt, ein gutes Leben zu führen, und eine öffentliche Kultur schaffen, die mit den unvermeidbar auftretenden Meinungsverschiedenheiten umzugehen weiß“, schreibt Sandel.

Das wirkt ein wenig schwulstig, aber der Mann meint es so. Gerechtigkeit existiert nicht einfach, für Gerechtigkeit muss gestritten und gekämpft werden. Wer heute gerecht agieren will, muss Umstände und Ursachen erst richtig bewerten. Es geht Sandel um die „moralische Ausrichtung“ des Handelns. Jeder muss sein Tun auf Richtigkeit prüfen. Nicht die gesellschaftliche Gleichheit ist das Ziel dieser Gerechtigkeit, sondern politisches Gemeinwohl, Bürgerschaft und der Dienst an der Gemeinschaft.

Natürlich klingt das alles nach einer schönen neuen Welt, in der jeder jeden versucht zu verstehen, jeder jedem hilft und überhaupt alles recht amerikanisch zugeht. Das Buch richtet sich allerdings auch vor allem an US-Bürger. Denn dort sind laut Sandel nach der Finanzkrise „die Debatten der Politik ausgehöhlt, und die Leute spüren das. Wir brauchen einen Diskurs, der bedeutungsvoll ist und ethische Grundsatzfragen ernst nicht.“

Und wer spätestens jetzt keine Lust mehr hat, das Buch zu lesen, kann ja direkt auf www.justiceharvard.org klicken und sich vom Meister persönlich überzeugen.