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Sinn für die Brusttasche

Verspielt nicht eure Zukunft - Von Hans-Wernde SinnHans- Werner Sinn: Verspielt nicht Eure Zukunft, München 2013, Redline-Verlag Er polarisiert, er spaltet. Vielleicht liegt es daran, dass nur die wenigsten Hans-Werner Sinns Werke auch von vorn bis hinten lesen wollen. Zehn Jahre nach Beschluss der Agenda 2010 legt er nun ein übersichtliches Bändchen im Brusttaschenformat vor, mit neuen Vorschlägen. Es ist eine anregende und kurzweilige Lektüre geworden – für Freund und Feind.

Der Agenda 2010 hat Hans-Werner Sinn “die intellektuelle Grundlage” geliefert. So zumindest ist es einem Leserbrief zu entnehmen, den der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrats Wolfgang Wiegard einst an den “Spiegel” geschrieben hatte.”  Zehn Jahre ist der Beschluss der erfolgreichen Reformen unter SPD-Regierung nun her. Ein Grund für Sinn und seinen Co-Herausgeber Jens Schadendorf noch mal Resümee zu ziehen, die Agenda tüchtig zu loben und gleichzeitig Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. So ist ein kleines Büchlein im Brusttaschenformat entstanden, eine Mischung aus Essay und Interview, ein Gespräch zwischen den beiden Autoren in acht Kapiteln, gedrängt auf nicht einmal 110 Seiten.

Was sich dem Leser da letztlich bietet, ist eine kurzweilige Lektüre für alle – auch für die, die ihn nicht mögen. Denn so leicht und schnell hat sich Sinn noch nie gelesen.

Es geht um die gezielte Weiterentwicklung der Agenda 2010, das Fiasko der Energiewende, die Überwindung der Diskriminierung von Familien, Müttern und Kindern oder auch den drohenden Fachkräftemangel und das Zuwanderungsproblem. Kurzum – es geht um das „Zukunftsprogramm Deutschland“.

So lobt Sinn zunächst die Agenda 2010 als „die wichtigste Reform der vergangenen Jahrzehnte“, um gleich danach seine Kritikpunkte anzufügen. Zum Beispiel der Mindestlohn: Statt den flächendeckenden Mindestlohn zu favorisieren, sollte Sinn zufolge die Regierung die Lohnflexibilität erhalten und weiter erhöhen. Die Agenda-Reformen sollten durch eine konsequente Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten und ein flächendeckendes Angebot kommunaler Arbeit als Gegenleistung für den Eckregelsatz des Arbeitslosengeldes ausgebaut werden. Und: Unter Lohnflexibilität, die er fordert, versteht Sinn nicht etwa Lohnsenkung, sondern in der Phase der wirtschaftlichen Erholung sogar eher Lohnsteigerung.

Sinn prangert die nach wie vor zu teure Zuwanderung etwa von Rumänien oder Bulgarien in den deutschen Sozialstaat an. Auch hält er die deutsche Energiewende für einen Irrweg. Die Wende nach Fukushima führe allein zu gewaltigen Vermögensverlusten und gefährde den Wohlstand der Deutschen. Dieser sei ohne billige Energie nicht möglich. Sinn fordert, die Bundesrepublik solle ihren nationalen Alleingang aufheben. Die notwendige Folge sei eine Rückkehr zur Kernkraft. Für Sinn ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Deutschland umbesinnt – nur wird es seines Erachtens wohl noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern.

Um die (finanzielle) Diskriminierung von Müttern und Kindern zu beenden, plädiert Sinn für ein Kindersplitting nach französischer Machart: „Ähnlich wie bei uns teilt man das Einkommen für die Berechnung der Steuer auf die gesamte Familie und kommt deshalb bei gegebenen Gesamteinkommen zu einer umso niedrigeren Steuerbelastung, je größer die Zahl der Kinder ist“, erklärt Sinn.

Die Eurokrise behandelt er nur am Rande. Nicht weil sie unwichtig wäre, sondern weil es Sinn darum geht, sich nur auf die „Reformhausaufgaben“ zu konzentrieren, die Deutschland selbstverantwortlich und ohne Hilfe oder Einfluss seiner europäischen Partner angehen muss.

Dass er sich am Ende seiner Ausführungen auch über mögliche Änderungen im politischen System äußert, wirkt dann doch ein wenig fachfremd. So mutet sein Vorschlag, Eltern auch das Wahlrecht für ihre unmündigen Kinder einzuräumen, schon seltsam an. Sinn meint: „Ökonomisch betrachtet würde das sofort eine längerfristige Perspektive in die Wahlentscheidung der Eltern hineinbringen. Eltern haben in der Regel andere Präferenzen als Nicht-Eltern.“ Dass eine solche Wahlmöglichkeit auch zu Missbrauch führen kann, weiß er möglicherweise. Er sagt es nur nicht.