Arbeitsmarkt, Soziales

Die Systemkritik und ihre Mythen

Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer. Mit solchen oder ähnlichen Stereotypien versuchen Kapitalismuskritiker die Soziale Marktwirtschaft zu diskreditieren. Dabei sprechen die Fakten eine andere Sprache.

Kapitalismuskritik ist en vogue in unserer Gesellschaft. Um die Gerechtigkeitsdefizite zu skandalisieren, werden seit vielen Jahren immergleiche Stereotypien benutzt. „Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer!“ gehört zum Standardrepertoire der Systemkritik. Ab welchem Einkommen jemand reich ist, wird dabei genauso wenig hinterfragt, wie der im internationalen Vergleich relativ hohe Schwellenwert, ab dem Menschen in Deutschland als armutsgefährdet gelten. Ist ein Spitzensportler, der für einige Jahre Millionen verdient der Maßstab? Ist es der Unternehmer, dessen Lebensleistung in einer von ihm gegründeten Firma steckt, in der heute Tausende von Mitarbeitern eine gut bezahlte Beschäftigung finden, der aber selbst ob dieses Erfolges ein reicher Mann geworden ist? Oder ist man gar schon reich, wenn man in der Einkommensteuer zum Spitzensteuersatz von 42 Prozent veranlagt wird? Den zahlt, wer mehr als 52.000 Euro steuerpflichtige Jahreseinkünfte erzielt. Dann hätte bereits eine Industriemeisterin im Maschinen- oder Fahrzeugbau als reich zu gelten.

Dass die allermeisten dieser „reichen“ Menschen ihr Einkommen und ihr Vermögen ihrer persönlichen Leistung verdanken, wird oft vergessen. Und dass wiederum die allermeisten von diesem Einkommen einen schönen Batzen an die Staatskasse in Form von direkten Steuern abzuliefern haben, wird gern verschwiegen. Wenn die obersten zehn Prozent aller Steuerzahler mehr als 55 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens bezahlen, dann sollte sich unsere Gesellschaft über den Erfolg dieser knapp 5 Millionen Köpfe zählenden Gruppe freuen. Der Steueranteil des oberen Zehntels ist übrigens in den letzten Jahren gestiegen, nicht gesunken. Der Fiskus partizipiert also an deren Leistungsfähigkeit.

Und am unteren Ende der Einkommensskala? Ist ein lediger Hartz IV-Empfänger arm, den unsere Gesellschaft mit einem Regelsatz von 382 Euro pro Monat unterstützt, nicht zu vergessen die Warmmiete für eine angemessene Wohnung und die kostenfreie Krankenversicherung? Wer als Ungelernter arbeitet, muss bei einer Vollzeitbeschäftigung schon etwa 1.500 Euro im Monat verdienen, wenn er den Single-Hartz IV-Einkommensstatus erwirtschaften will. Besteht eine Bedarfsgemeinschaft aus einem Elternhaushalt mit zwei Kindern, dann liegt der zur Erlangung eines vergleichbaren Einkommensstatus nötige Arbeitslohn schon bei knapp 3.000 Euro im Monat. Ist eine Familie arm, die in unserem Sozialstaat so gestellt wird, als ob ein durchschnittliches Jahreseinkommen durch Arbeit erzielt wird?

Unsere Gesellschaft ist in Wahrheit weniger arm geworden, weil sich die Zahl der Erwerbstätigen seit der Rekordarbeitslosigkeit von über 5 Millionen Menschen im Februar 2005 massiv erhöht hat. Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland durch eigene Erwerbsarbeit Einkommen erzielen können als heute. Das seien doch vor allem „Hartz IV-Aufstocker“, deren Dumpinglöhne dann vom Sozialamt aufgestockt werden müssten, heißt es wieder stereotyp aus der Ecke der Systemkritiker. Ja und natürlich die unsägliche Leiharbeit, die befristeten Beschäftigungsverhältnisse, die Nichttarifbindung und die Millionen von 400 Euro-Jobs. Manchesterkapitalismus in Reinkultur, eines Sozialstaats unwürdig, wütet die Systemkritik.

Doch auch hier sehen die Fakten anders aus. Rund 75 Prozent aller neu geschaffenen Arbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen. Bei den Leiharbeitern, die als moderne „Arbeitssklaven“ ja scheinbar rechtlos tätig sind, werden nach einer aktuellen Bundesstatistik sogar mehr Beschäftigte nach Tarif bezahlt als bei den Stammbelegschaften. Noch nie lag der Übergang aus der befristeten Beschäftigung in eine Festanstellung statistisch höher als heute. Auch die Zahl der Hartz IV-Empfänger ist deutlich gesunken, weil wachsende Beschäftigung zu einer Abnahme der Sozialtransfers führt.

„Sozial ist, was Arbeit schafft!“ lautete vor Jahren eine politische Losung. Nie wurde sie durch die Realität im Land stärker belegt als in den vergangenen Jahren. Doch was nicht ins Weltbild der Systemkritiker passt, wird eben ausgeblendet, verleugnet, verdrängt. Nur so lassen sich vertraute, aber falsche Mythen weiter pflegen. Nur so lässt sich unsere soziale Marktwirtschaft pauschal diskreditieren.