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Der wohlfeile Anti-Kapitalismus ist reaktionär

Wolf LotterWolf Lotter: Zivilkapitalismus – wir können auch anders, München 2013, Pantheon-Verlag Von den radikalen Kapitalismus-Gegnern hält er genauso wenig wie von den kapitalgetriebenen Verfechtern des freien Marktes. Wolf Lotter verabscheut jeden Gesinnungsterror, plädiert für offene Debatten und mehr Selbstbestimmung. Seine Zehn-Punkte-Agenda für einen zivilen Kapitalismus wirkt zwar ein wenig wie eine Anleitung zur Stärkung des Selbstwertgefühls. Lesenswert ist das Buch jedoch allemal.

Lotter schreibt lustig, aber niemals dumm, oft gedankenreich. So wie dieses Mal. Ein feines, flottes und lesenswertes Buch hat er da geschrieben. Lotter gibt keine fertigen Antworten. Er propagiert keine Methode und will auch keine Lösung verkaufen – nur ein Buch, könnte man sagen. Er scheint, als ob er sich zwischen den Stühlen von nimmersatten Kapitalismuskritikern und maingestreamten Geldgeiern bequem macht. Doch das täuscht. Lotter, der Österreicher mit Wahlheimat Norddeutschland, ist in seiner Kritik diplomatisch analytisch, schelmisch bis zynisch, nicht selten sarkastisch und haut gerne gleich all seinen Stuhlnachbarn was um die Ohren: „Wer nicht lernt, mit der Ökonomie umzugehen, tut nur so, als ob er mehr Demokratie wagen möchte.“

In seinem Buch „Zivilkapitalismus“ beschreibt er zunächst den stets aufkochenden Streit um den Kapitalismus, seine Funktion und seine Zukunft. Seine Zehn-Punkte-Agenda für einen zivilen Kapitalismus appelliert an das Selbstwertgefühl, die Selbstbehauptung und Selbstbestimmung jedes einzelnen. Das Ziel der Gesellschaft ist für Lotter die Entfaltung der persönlichen Talente und Fähigkeiten ihrer Bürger. Statt Opferrolle wünscht er sich von Freund und Feind lieber Rückbesinnung zum selbstbestimmten Leben, statt Gesinnungsterror offene Debatten, statt Ohnmacht konstruktives Staunen. „Die Freiheit des Einzelnen ist in Deutschland keine Folge eines Gnadenaktes, sondern einer ganz persönlichen  Entscheidung“, meint der Autor. Er plädiert für eine offene Gesellschaft – ähnlich der frühen Alternativbewegung – die von Unterschieden lebt, nicht von Mainstream und Anpassung. Zivilgesellschaft bedeutet Selbstbewusstsein und  Emanzipation.

Gleichzeitig hält Lotter den „wohlfeilen Anti-Kapitalismus“ von heute für reaktionär, er werde von Spießern in besseren Kreisen gepflegt, von Leuten, die eigentlich ihre Ruhe haben wollen, die von der Krise gewaltig gestört wird. „Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern sucht nach der Verbesserung der Lebensbedingungen aller in ihr handelnden Personen“, erklärt Lotter in seinem Buch. Er fordert die Leser auf, für einen Kapitalismus zu streiten, den sie selbst gestalten. „Selbstgerechtes Klagen wirf keine Zinsen ab – für niemanden.“ Sein Aufruf: „Überlassen wir den Kapitalismus nicht den Leuten, die ihn zum Inbegriff des Versagens und der Ungerechtigkeit gemacht haben. Nehmen wir das Werkzeug auf. Beschaffen wir uns Wissen, Strukturen und Methoden zur Selbstständigkeit. Besserung ist nur durch uns selbst zu erwarten“.

Das klingt ein wenig Robin Hood. Aber gegen gute Impulse ist nichts einzuwenden.