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Deutsche Stärke = Europas Schwäche?

Nicht nur die deutschen Exporte steigen. Auch die Importe aus dem Ausland haben kräftig zugenommen.Deutschland sitzt auf der Anklagebank. Wieder einmal muss sich die Bundesrepublik für steigende Handelsbilanzüberschüsse rechtfertigen. Wie gerechtfertigt ist die Überprüfung durch die europäische Kommission?

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das “Frühwarnsystem für übermäßige makroökonomische Ungleichgewichte” aus der sogenannte Six-Pack-Regelung der EU vom Dezember 2011 erstmals greift. Nicht nur Haushaltsdefizit-Sünderländer, sondern auch Leistungsbilanzüberschußländer sollen in den Fokus von Sanktionsmechanismen geraten. Jetzt stehen also wir Deutschen in der Kritik, weil wir zu leistungsstark sind und unsere Güter und Dienstleistungen in Europa und global so stark nachgefragt werden. Wir verkaufen seit Jahren deutlich mehr an unsere Handelspartner als sie im Saldo bei uns einkaufen.

Doch unser Land erlebte auch schon andere Zeiten. Deutschland galt zu Beginn des letzten Jahrzehnts als der kranke Mann Europas, mit deutlich zu hohen Arbeitskosten und einer exorbitant gestiegenen Staatsverschuldung. Als Folge der Wiedervereinigung stiegen in kürzester Zeit die staatlich induzierten Lohnzusatzkosten um 7 Prozentpunkte. Ein satter Anteil der Wende-Kosten wurde auf den Faktor Arbeit abgewälzt. Die Folge waren über viele Jahre hinweg stagnierende, wenn nicht gar sinkende Reallöhne.

Reformpolitik ist in der Demokratie offenbar nur in Krisenzeiten durchsetzbar. Die Agenda 2010 in der zweiten rot-grünen Regierungszeit war Ausdruck des politischen Willens, aus eigener Kraft mit einer Vielzahl von Reformen aus dem Tal der Tränen herauszukommen. Eine Allparteienkonstellation – Union und FDP beherrschten damals den Bundesrat – setzte umfangreiche Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen durch. Die verschafften unserem Land in den vergangenen acht Jahren, trotz der Rezession in Folge der Finanzkrise 2008/2009, eine solide Agenda-Reformrendite. Das war letztendlich auch der Lohn einer fünfzehnjährigen Durststrecke für einen Großteil der Bevölkerung.

In derselben Zeit, als in Deutschland Einkommens-Tristesse herrschte, verbuchten zahlreiche Euro-Mitgliedsstaaten schier unglaubliche Zins-Renditen. Mit der Entscheidung für die Euro-Einführung sanken bereits ab Ende der Neunziger Jahre die Refinanzierungskosten für Staats- wie Privatschulden erheblich. Doch statt die Entlastung zum Abbau der schon hohen Verschuldung zu nutzen, machten viele Länder in Südeuropa und ihre Bürger erst recht Schulden. Dass im Euro-Profitland Deutschland, so die allzeit erzählte offizielle Mär, zur gleichen Zeit die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhen explodierte und Millionen Menschen die Kürzung ihrer Realeinkommen und Einschnitte in soziale Leistungen hinzunehmen hatten, wird heute komplett ausgeblendet.

Auch als in unserem Land 2006 die stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre beschlossen wurde, dachten die meisten anderen europäischen EU-Mitgliedsstaaten noch lange nicht daran, auf ihre ebenfalls alternde Bevölkerung entsprechend zu reagieren.

Diese Geschichte wird von der deutschen Politik in Europa nicht erzählt. Sie spielt auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin keine Rolle. Die große “Wünsch-dir-was-Koalition” ist drauf und dran, die Reformrenditen in Deutschland zu verspielen. Die Regulierungsdichte des Arbeitsmarkts wird erneut erhöht, obwohl dessen Flexibilisierung eine der tragenden Säulen des Erfolgs der Agenda-Politik darstellt. In der Rente wird mit dem Geld geaast, als ob wir keine demographischen Probleme hätten. Mich beschleicht das Gefühl, dass die deutsche Politik dem schlechten Vorbild der Südeuropäer folgt, die vor mehr als einem Jahrzehnt ganz leichtfertig ihre Euro-Zinsrendite verspielten. Bei uns wird die Rendite der eigenen Reformanstrengungen verspielt. Geschichte scheint sich zu wiederholen.