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Broders magere Beute

Henryk M. BroderHenryk M. Broder: Die letzten Tage Europas – wie wir eine gute Idee versenken, München 2013, Knaus- Verlag Der Publizist Henryk M. Broder liebt es, ständig gegen den Strich zu bürsten. Dieses Mal geht es gegen die europäische Bürokratie und gegen jede Art von Staat, in dem Menschen bevormundet und ihr Reichtum ständig umverteilt wird. Das Dumme: Wie’s besser geht, weiß der Autor leider auch nicht. Was dem Leser bleibt, ist ein ebenso unterhaltsames wie im Ergebnis frustrierendes Buch.

Mit Ökonomen wie Hans-Werner Sinn oder Marcel Fratzscher, die sich erst vor wenigen Tagen in einem Rededuell im „Spiegel“ kontrovers über die Zukunft Europas stritten, kann der Publizist Henryk M. Broder natürlich nicht mithalten. Ihn aber deswegen gleich als Vertreter der „Gattung Linksintellektueller Stammtisch“ zu verunglimpfen, wäre auch zu einfach. Vielmehr nimmt er die zunächst einmal sympathische Rolle des selbstironisch Empörten ein, der sich im Geschacher der Ökonomen über die richtige Deutung Europas zu Wort meldet –und so liest sich auch sein Buch: launisch, gedankenreich – und leider frustriert.

Eine Antwort auf die vielen Probleme Europas hat er nicht. Die einzige Empfehlung, die er ausspricht, ist utopisch, spiegelt aber die Stimmung vieler besorgter Bürger wieder: Broder wünscht sich mehr Mitspracherecht über die Entwicklung der Staatengemeinschaft. Er schlägt ein Moratorium vor, „eine Auszeit, „in der nichts beschlossen und nicht verkündet wird“. In dieser Zeit  solle eine öffentliche Debatte, an der sich jeder beteiligen kann, über die Zukunft Europas stattfinden – ähnlich wie es der britische Premierminister Cameron für sein Land vorgeschlagen hat.

So unrealistisch Broders Vorschlag ist, so ehrlich ist sein Frust: Es müsse Schluss sein mit dem „Diktat der Alternativlosigkeit“ und „der Politik der Notverordnungen“: „Ich bin weder für noch gegen eine Auflösung der EU, weder für noch gegen eine Abschaffung des Euro und eine Rückkehr zu den alten Währungen“, schreibt der Autor. „Ich will mir nur nicht ständig sagen lassen, es gäbe zu der jetzigen Situation keine Alternative.“

Auf gut 220 Seiten beschreibt er gewohnt scharfzüngig seine überbordende Abneigung gegenüber den „Berufseuropäern“, kritisiert Merkels Nibelungentreue zum Euro, polemisiert gegen das „Projekt Europa“ als „Koloss auf tönernen Füßen“ mit seinem „Förderdschungel“ und einer Kommission, „die dem Parlament keine Rechenschaft schuldet“.

Broder geht es darum, mit seinem Buch eine „Bestandsaufnahme“ zu schaffen. Das Problem: Ernst genommen wird sein Werk wegen seiner polemischen Schärfe wohl eher nur von beruflichen Europaskeptikern. Das ist schade. In der Debatte um die Zukunft der „Finanz- und Kulturgemeinschaft Europa“ fehlen bisher eindeutig die guten und großen Beiträge der Intellektuellen aus Deutschland – links wie rechts. Broder hat hier eine Chance verpasst.

Letztlich weiß er, dass sein Vorschlag für ein Moratorium eine Illusion ist. Denn Europa gleiche dem Auto, das mit defekten Bremsen einen Berg hinunterrolle, schreibt er. Und er ist sicher: Falls auch nur ein Teil der 700 Milliarden Euro, die Deutschland für die Eurorettung als Verpflichtungen übernommen hat, fällig werde, „gehen an der Alster und in der Maximilianstraße die Lichter aus. Wir sind des Wahnsinns fette Beute“.

Mein Fazit: Die Diagnose Wahnsinn ist amüsant, doch einfach zu wenig.