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Wir steigern die Bruttonationalbandbreite

http://img.welt.de/img/literarischewelt/crop123527488/1565352507-ci3x2s-w220-ai2x3l/Knappheit-2-.jpgSendhil Mullainathan / Eldar Sharif: Knappheit – was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben, Campus-Verlag, München 2013 Ob Mangel an Geld, Zeit oder Intelligenz – die Knappheit ist eine Grunderfahrung, die unsere gesamte Aufmerksamkeit fesselt. Knappheit erzeugt noch stärkere Knappheit. Die Autoren erklären die Psychologie der Knappheit, wie sie auf das Wirtschaftswachstums wirkt, und wie es gelingt, dass unser Geld nicht mehr zerrinnt.

Es ist eine neue Wissenschaft – die Wissenschaft der Knappheit: kaum erforscht und doch nun zum ersten Mal ausführlicher in einem Werk behandelt. Auf 265 Seiten beschreiben Sendhil Mullainathan , Ökonom aus Harvard, und Eldar Shafir, Psychologe aus Princeton, aufschlussreich und unterhaltsam die Logik der Knappheit: Für die Autoren kommt es vor allem darauf an, wie wir Knappheit wahrnehmen und was wir aus ihr machen. Egal ob Geld, Zeit, Liebe oder Übergewicht – unser „Denken richtet sich automatisch und unwiderstehlich auf die unerfüllten Bedürfnisse”, meinen die Forscher. Jeder beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Sache, die er als knapp empfinde. Dieser Reflex kann zunächst ein Vorteil sein: Bei Zeitnot oder immer näher rückender Deadline macht man sich fokussierter ans Werk; bei Geldmangel verhalten sich viele zunächst einmal rationaler oder sparsamer.

Der Nachteil: Die Knappheit macht uns auch „weniger einfühlsam und verständnisvoll. Wir denken weniger voraus und handeln unkontrollierter“, schreiben die beiden Autoren. Wer sich nur auf eine einzige Sache fixiert und den Tunnelblick einnimmt, wird in diesem einen Bereich möglichweise aufmerksamer, doch er verliert die Fähigkeit, über andere wichtige Dinge nachzudenken. Weil Knappheit unsere mentale Aufmerksamkeit verbraucht und damit unsere geistige und physische „Bandbreite“ erheblich einschränkt, ist es sehr schwer, der Knappheit zu entkommen. Mullainathan beschreibt es am Beispiel von armen Menschen: Sie seien keineswegs dümmer als Reiche, sie hätten allerdings enorme Probleme mit den jeweils verfügbaren mentalen Ressourcen. Er vergleicht sie mit einem Computer, der eigentlich schnell ist, nun aber unglaublich langsam läuft. Der Grund: Der Computer stockt, weil er im Hintergrund permanent eine große Videodatei hoch lädt.

Das Phänomen der Bandbreite übertragen die Autoren auch auf die Gesellschaft: Während Wissenschaftler eher die materiellen Merkmale der Knappheit wie Arbeitslosigkeit, Wachstum oder Umsatz messen, wissen sie fast nichts über die kognitive Seite der Ökonomie. „Ähnlich wie unsere eigene Bandbreite fluktuiert wahrscheinlich auch die Bandbreite der Gesellschaft. Könnte es sein, dass die ökonomische Rezession von 2008 auch eine tiefgreifende kognitive Rezession zur Folge hatte – vielleicht verengte sich die Bandbreite signifikant?“, fragen sich die Autoren. Was wäre, wenn beispielsweise während der Zunahme der Arbeitslosigkeit die Qualität der Entscheidungen abnahm?

Für die Autoren ist Bandbreite eine Schlüsselressource. Die Produktion, die das wirtschaftliche Wachstum vorantreibt, beruht für sie entscheidend auf der „Bandbreite“. „Arbeiter müssen effektiv arbeiten. Manager müssen kluge Investitionsentscheidungen fällen. Studenten müssen lernen, um Humankapital auszubilden.“ All das erfordere Bandbreite, und es sei durchaus möglich, „dass ein gegenwärtiger Abfall der Bandbreite die zukünftige Produktion verringert“.

Da es rückwirkend zu spät ist, die Krise der vergangenen Jahre aus dieser Perspektive zu betrachten, schlagen die Autoren vor, solche Daten für zukünftige Boom- und Krisenzeiten zu erheben: „Warum nicht eine Bruttnationalbandbreite messen?“