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Kulturellen Wandel ankurbeln

Wachstumswahn- Was uns in die Krise führt, und wie wir wieder herauskommenChristine Ax / Friedrich Hinterberger: Wachstumswahn – was uns in die Krise führt – und wie wir wieder herauskommen, Ludwig Verlag, München 2013 Car-Sharing, Tauschbörsen,  Fahrrad fahren, mehr Familie – die Kriterien, die für die Wachstumsskeptiker Christine Ax und Friedrich Hinterberger ein besseres Leben ausmachen, sind alter Tobak. Von alten Ökoparolen sind die beiden Autoren dennoch weit entfernt. Nicht Verzicht, sondern Vereinfachung lautet die Parole. Geht es nach ihnen, wird die Zukunft gar nicht so schlecht.

Die Botschaft, dass wir lernen müssen, mit weniger Wachstum oder sogar ohne Wachstum zurechtzukommen, ist mittlerweile hoffähig. Die Anzahl der Publikationen, die uns erklären, wieviel Fleisch wir in Zukunft weniger essen, wieviel Kilometer wir mehr mit dem Fahrrad fahren oder wieviel Handys wir haben müssen, steigt von Monat zu Monat. Das nervt ein wenig. Gleichzeitig ist es aber wohl die beste Möglichkeit, eine in ihren Grundfesten richtige und über jede Ideologie hinausgehende Botschaft, langfristig zu platzieren: „Wir müssen unser Konsumverhalten überdenken.“

Das Buch „Wachstumswahn – was uns in die Krise führt und wie wir wieder herauskommen“ von Christine Ax und Friedrich Hintergeber fällt auch in diese Reihe der Apell- und Aufklärungsbücher – allerdings ohne den Duktus der moralischen Überlegenheit, der sonst vielen Büchern dieses Genres zu eigen ist. Im ersten Teil ihres Werkes beschreiben die Autoren die Entstehung von schnellem und gutem Wachstum der Wirtschaftswunderzeit in den 50er und 60er Jahren. Im zweiten Teil analysieren sie, was von dem Wachstum der bundesrepublikanischen Gründerzeit übriggeblieben ist. Im dritten Teil kommen sie zu den Szenarien, wie die Welt nach dem „Ende des Wachstumswahns“ aussehen könnte: eine zukunftsfähige Gesellschaft, der es immer noch gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, Bildung und Pflege zu organisieren, Armut zu bekämpfen und den Klimawandel zu stoppen.

So die schöne Theorie. Was aber wohl vor allem zählt: Den Autoren geht es nicht darum, auf Genuss, Spaß oder Komfort zu verzichten. „Es geht lediglich darum, ob wir nicht irgendwann genug haben und daher auch unsere Einkäufe anders organisieren können“, schreiben sie. Es sei ohne Verzicht möglich, sich gegen das „Diktat der Wertlosigkeit der Dinge“ zu stellen. Ihr Ideal: „Wenn es uns gelingt, unseren Lebensstil zu vereinfachen, können wir auch mit weniger Geld gut leben.“

Solche Überlegungen sind nicht neu. Und schnell wirken sie wie die Predigt am Sonntagmorgen – etwas abgehoben, etwas neunmalklug, etwas realitätsfremd; kaum vorstellbar, dass eine solche Umerziehung des Menschen zum Beispiel im Investmentbanking oder in den internationalen Handelssälen Gehör finden sollte. Doch kultureller Wandel beginnt für die Autoren im Kleinen. Auch deswegen setzen sie auf Ideen, die „unsere Kreativität ankurbeln sollen bei Überlegungen, was in Zukunft alles langsamer, anders, besser gehen könnte“. Darunter fallen dann Themen wie Fleischkonsumreduzierung, Car-Sharing, Tauschbörsen oder Bürgerhilfe.

Letztlich muss die Politik die Bedingungen schaffen. In ihrem Sieben-Punkte-Programm zeigen sich Ax und Hinterberger ziemlich eindeutig. Sie fordern von der Politik, den Ressourcenverbrauch zu verteuern und den Faktor Arbeit von Steuern und Abgaben zu entlasten. Sie setzen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, sie fordern eine Entschuldung der Staaten auf Kosten der Banken und des Finanzsystems und wünschen eine Neuvermessung des Wohlstands nach Ressourcenverbrauch, Bruttoinlandsprodukt und Lebensqualität.

Dass sie sich damit auf ziemlich dünnes Eis begeben, ist den Autoren bewusst. Wohl auch deswegen versuchen sie vorauseilend, ihren Kritikern die Argumente zu nehmen, indem sie am Endes Ihres Buches Ludwig Erhard aus seinem „Wohlstand für alle“ zitieren: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, ober ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistungen auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“