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Zurück ins Krankenlager

Vom kranken Mann Europas zum europäischen Musterland – und wieder zurück. Das droht Deutschlandmit den Renten- und Mindestlohnplänen der Großen Koalition.

Starke Innovationskraft, moderate Lohnkosten, hohe Beschäftigung, gesunde Finanzen und gut gefüllte Sozialkassen – all diese Vorzüge werden von der internationalen Gemeinschaft heute mit Deutschland in Verbindung gebracht. Wie anders sah es noch zu Beginn der vergangenen Jahrzehnts aus: Das Land galt in allen Bereichen als kranker Mann Europas.

Deutschland bewegte sich: Marktorientierte Reformen gaben der deutschen Wirtschaft ein Stück Dynamik zurück. Mit dem Erfolg kam allerdings auch ein Wandel der Mentalität: Aus Selbstkritik wurde Selbstzufriedenheit bis hin zur Realitätsverweigerung. Allein die zentralen Baustellen der Großen Koalition machen dies überdeutlich.

Mit dem sogenannten Rentenpaket ignoriert die Bundesregierung die mit Abstand größte Herausforderung der kommenden Jahrzehnte: die Alterung der Gesellschaft. Die Antwort darauf kann nur die Förderung längerer Lebensarbeitszeiten sein. Stattdessen ermöglicht die abschlagsfreie Rente mit 63 eine Verkürzung. Und statt die Beitragszahler zu entlasten, wo es nur geht, weitet die Koalition die Ansprüche mit der Mütter- und der Erwerbsminderungsrente aus.

Mit dem Mindestlohn setzt der Staat zudem ein Niveau, das von den Tarifpartnern aller Branchen als untere Basislinie interpretiert werden wird. Will eine der Parteien die Besonderheiten ihrer Branche berücksichtigen, muss diese Linie deutlich überschritten werden. Staat und Tarifparteien werden so zu gleichzeitigen Akteuren der Lohnpolitik. Ein gefährlicher Weg, der an den Grundfesten der Sozialen Marktwirtschaft genauso rüttelt wie an dem Tarifvertragsgesetz von 1949.