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Die Suche nach dem dritten Weg

Reiner Klingholz: Sklaven des Wachstums – die Geschichte einer Befreiung, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2014Reiner Klingholz: Sklaven des Wachstums – die Geschichte einer Befreiung, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2014 Eine Patentlösung für die Probleme, die das Wachstum mit sich bringt, gibt es nicht. Wir sind zu Sklaven des Wachstums geworden, meint Reiner Klingholz. Dass wir dennoch Chancen haben, der Wachstumsfalle zu entkommen, zeigt er in seinem neuem Buch: ein sprachlich gelungenes und analytisch herausragendes Werk frei von Stimmungsmache und Häme.

61 Prozent der Deutschen glauben nicht, dass ihre Lebensqualität steigt, weil das Wirtschaftswachstum zunimmt. Gleichzeitig meinen 93 Prozent der Befragten, dass wirtschaftliches Wachstum „wichtig“ oder sogar „sehr wichtig“ für die Lebensqualität einer Gesellschaft ist – so zumindest hat es die Bertelsmann-Stiftung herausgefunden. An dieser Haltung zeigt sich die absurd anmutende Lage, in der wir uns befinden. Selbst wenn wir weniger oder kein Wachstum wollten, ist den meisten bewusst, dass es ohne Wachstum nicht geht.

In seiner angenehm moderaten und ebenso unterhaltsamen wie gedankenscharfen Analyse zeigt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, in seinem neuen Buch „Sklaven des Wachstums – die Geschichte einer Befreiung“ Wege aus dem Joch des Wachstums. Auf rund 300 Seiten gelingt ihm eine Zeitreise des Wachstums – angefangen in der Neolithischen Revolution vor 10.000 Jahren bis in Szenarien des Jahres 2297, in dem die Weltbevölkerung die Vier-Milliarden-Grenze unterschritten und das Wirtschaftswachstum sich automatisch abgeschwächt hat. Die ungewollten Nebeneffekte des Wachstums, die das Leben heute aus unserem Planeten erschweren, wären in diesem Zukunftsszenario verschwunden.

Es ist eine freilich nicht zu beweisende „heile Welt“, die Klingholz hier bewusst überspitzt formuliert. Doch eines ist für ihn sicher: „Die nächsten 200 bis 300 Jahre werden bis zum Paradies der Nachhaltigkeit nicht ohne massive Krisen ablaufen.“ Wie krisenhaft sie tatsächlich werden, hänge allein von uns ab – und davon handelt sein Buch.

Um den „Kollateralschaden“ des Wachstums einzugrenzen, gibt es für ihn zunächst zwei Vorschläge. Erstens: Wir brauchen weiterhin Wachstum, müssen es aber so reformieren und durch grüne und effiziente Technologien erfolgreich machen, sodass möglichst viele Negativfolgen ausbleiben. Der zweite Vorschlag meint Suffizienz, „also weniger Arbeiten und mehr Freizeit genießen, Rügen statt Malediven, Grünkohl aus der Heimat statt Shrimps aus Vietnam“ wie Klingholz salopp formuliert.

Beide Vorschläge haben für ihn einen Haken. Auf die Effekte der Effizienz zu setzen, würde die dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem „immanente Gier nach mehr“ auch nicht bremsen. Eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch könne mit grüner Technik allein nicht gelingen. Auch die Suffizienz-Lösung sei problematisch. Sie ist kein Modell „für jene fünf Milliarden Menschen, die erst in den Genuss einer ausreichenden Versorgung mit Gütern kommen wollen“, und sie würde in den Industrienationen das gesamte Gesellschaftssystem auf den Kopf stellen.
Letztlich bleibt für Klingholz nur eine Mischlösung aus beiden. Und diese wird uns in einigen Jahrhunderten rückblickend zu der Erkenntnis führen, dass wir vermutlich schon heute „längst an der Zeitenwende zum Postwachstum stehen“.