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Der humanistische Softie schlägt zurück

Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Hamburg 2014, Hoffmann und CampeJaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Hamburg 2014, Hoffmann und Campe Die digitale Revolution wird ein Job-Vernichter. Software steuert alles – egal ob Busse, Bahnen oder Fabriken. Und 3D-Drucker drucken alles, was früher Menschen herstellten. Die Profiteure sind die großen Internetkonzerne. Jaron Lanier fordert eine humanistische Informationsökonomie und würde am liebsten das Gratis-Internet abschaffen.

Das Böse hat einen Namen: „Sirenenserver“. So nennt Jaron Lanier Rechner mit extrem hoher Leistung und der Fähigkeit, in rasender Geschwindigkeit und höchster Effektivität Daten zu analysieren. Dank solcher Datenanalyse gelingt es den Besitzern solcher Rechner – sprich den Internetkonzernen –, Wissen von Nutzern und Konsumenten zu generieren. Sie nutzen es, um die Welt zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren. Gemeint sind Unternehmen wie Google, Amazon und Co.

Der US-Amerikaner Jaron Lanier, Träger des diesjährigen Friedenspreises (des Deutschen Buchhandels), Erfinder des Begriffs „virtuelle Realität“ und Computerwissenschaftler an der University of California in Berkeley, gilt als einer der hellsten Köpfe und meist respektierten Kritiker der Internetwirtschaft. In seinem neuen Buch „Wem gehört die Zukunft?“ geht er den Vor- und Nachteilen des technologischen Wandels auf den Grund.

Was ihn vor allem empört, ist die Tatsache, dass es den großen Internetkonzernen mit ihren unfassbar starken Sirenenservern gelingt, die Menschen als Gratis-Datenlieferanten auszunutzen. Egal ob Musiker, Autoren, Filmemacher oder normale Konsumenten – alle sollen ihre Leistungen kostenlos bereitstellen. Und dass viele von uns es sogar freiwillig tun, indem sie Facebook, Twitter oder Google+ täglich mit Informationen füttern, macht die Sache für Lanier auch nicht besser.

Die Folge: Riesige Datendanken entstehen, werden verknüpft und analysiert – und die Internetfirmen werden reich. Ein Beispiel: Facebook kaufte 2012 den Fotodienst Instagram für eine Milliarde Dollar. Instagram hatte nur 13 Mitarbeiter. Den wahren Wert machen weder die Technik noch versteckte Goldschränke im Keller des kleinen Unternehmens aus, sondern die Daten und Fotos, die die Nutzer millionenfach Tag für Tag auf die Website laden. Kostenlos. Kein Wunder, dass es im Untertitel von Laniers neuem Buch heißt: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“

Facebook soll seine Nutzer für ihre Daten entlohnen

Und damit nicht genug: Für Lanier steht fest, dass der technologische Wandel mit seinen Erfindungen eine Hyperarbeitslosigkeit auslösen wird. Beispiel 3D-Drucker. Zwar kann es sein, dass es mit diesem Drucker als Mini-Fabrik für jedermann einen viel schnelleren Warenumschlag geben wird als heute. Auch wird der Drucker wohl Lieferungen überflüssig machen und damit unsere CO2-Bilanz erheblich verbessern. Doch vor allem macht er die Menschen überflüssig, die vorher diese Arbeit geleistet haben. „Wir brauchen bald keine Berufskraftfahrer mehr, keinen Einzelhandel, immer weniger Dienstleistung. Besonders die Mittelschicht wird es erwischen“, meint Lanier.

Damit Menschen dennoch auch zukünftig Geld verdienen können, fordert er die Umwandlung des Internetnutzers in einen Wirtschaftsakteur. Jeder soll für seine Daten Geld bekommen – und zwar durch „Zweiwege-Links“. Das sind Links, die auf den Urheber verweisen. Lanier: „Wenn Facebook mit den Fotos und Nachrichten seiner Nutzer Profit macht, müssen diese Nutzer dafür auch entlohnt werden.“ Lanier, der sich selbst als „humanistischen Softie“ bezeichnet, schwebt eine „humanistische Informationsökonomie“ vor, eine Netzwelt, die „einen wettbewerbsfreundlichen Markt fördert und die Mittelschicht stärkt“.

Ein Beispiel wie das Geschäft zwischen dem Konsumenten und dem Internetkonzern einigermaßen gelingen kann, ist für ihn die Plattform E-Bay, auf der jeder User die Chance hat, einen Gewinn zu erzielen. Oder Second Life, die virtuelle Welt, in der die Nutzer virtuelle Dinge schufen, kauften und verkauften. „Ein Wirtschaftssystem ist human, wenn ich mir einen Spielraum erwirtschaften kann, um eine Weile aus dem Wirtschaftssystem auszusteigen, ohne mir selbst und den anderen zu schaden“, meint Lanier.

Soziale Netzwerke sind eine Sucht

Laniers Buch ist reich von klugen und oftmals provokanten Gedanken – schon deswegen lohnt sich die Lektüre. Der Autor nimmt nicht für sich in Anspruch, dass seine Zukunftsszenarien auch eintreten müssen. Gerne lässt er uns die Hoffnung, dass er sich irrt. Und möglicherweise sind wir alle auch gar nicht so ohnmächtig und verantwortungslos wie Lanier es glaubt. Vielleicht unterschätzt er uns. Vielleicht brauchen wir nur etwas Zeit, bis wir freiwillig aufbegehren (wollen) – so wie die Franzosen 1789?!

Lanier jedenfalls meint, dass es für viele Menschen mittlerweile schwer sei, sich dem sozialen Druck der sozialen Netzwerke zu entziehen. Auch deswegen empfiehlt er jedem eine sechsmonatige Kur: Ich schlage vor, schreibt Lanier, „dass Sie sich ein halbes Jahr lang aus allen kostenlosen Internetdiensten zurückziehen. Sie müssen nicht für immer aussteigen, müssen kein endgültiges Urteil fällen. Sie werden aber wahrscheinlich Dinge über sich selbst, Ihre Freunde, die Welt und das Internet erfahren, die Ihnen sonst entgangen wären.“