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Soziale Unsicherheit statt Absicherung

Anteil der oberen 30 Prozent der Einkommensbezieher am Gesamtaufkommen
Im Bundestagswahlkampf haben Ideen, wie die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme neu geordnet werden könnten, Hochkonjunktur. Dabei greifen die Protagonisten auf alt bewährte Argumente zurück. Die Gutverdiener würden sich der Solidargemeinschaft entziehen, heißt es. Im Gesundheitswesen ist Deutschland allerdings bereits mit großen Schritten auf dem Weg in die Einheitskasse. Erklärtes politisches Ziel ist es, den Privatversicherungen den Garaus zu machen. Ist es Ziel, ein System zur Absicherung individueller Risiken zu optimieren, sollte den Marktteilnehmern mehr Freiraum eingeräumt werden, statt sie zu beschränken. Staatlicher Interventionismus in Richtung einer Einheitskasse wird zu einem Mehr an sozialer Unsicherheit und zu einem Qualitätsverfall im – zumindest gesetzlichen – Gesundheitswesen führen.

Immerwährender Vorwurf: durch den linearen Beitragssatz und die Beitragsbemessungsgrenze würden die kleinen Einkommen stärker belastet. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln unterlegt aber das Gegenteil. Vielmehr ist es so, dass die 30 Prozent der Haushalte mit dem höchsten Einkommen im Jahr 2007 bereits über die Hälfte der gesamten Sozialversicherungsbeiträge gestemmt haben. Bei der Einkommensteuer sind es sogar über 80 Prozent. Die viel diskutierten Vorschläge, wie eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sowie die Einbeziehung aller Erwerbstätigen, würde die Umverteilung sogar nochmals erhöhen. Zwar würden dadurch Mehreinnahmen für die Sozialkassen von knapp 25 Prozent entstehen. Demgegenüber stünden jedoch zusätzliche Leistungsempfänger, die bisher privat versichert waren, inklusive derer nicht erwerbstätigen – und daher kostenlos mitversicherten – Lebenspartner.

Darüber hinaus besteht folgende Gefahr: In Haushalten mit hohen Einkommen sind meist zwei Personen erwerbsfähig, während in den Haushalten mit geringen Einkommen in der Regel nur eine Person oder gar keine einer Arbeit nachgeht. Belastet man die Spitzenverdienerhaushalte immer weiter, lohnt es sich irgendwann sogar, auf die Erwerbsarbeit einer Person zu verzichten. Durch die kostenlose Mitversicherung aller Familienmitglieder im gesetzlichen System schneidet sich der Staat damit weiter ins eigene Fleisch.

In der Diskussion um eine Reform der sozialen Sicherungssysteme darf auch die Überlegung nicht gescheut werden, die Beitragsbemessungsgrenze abzuschaffen und den Markt für Krankenversicherungen im Wettbewerb freizugeben. Staatsaufgabe wäre dann einzig die Unterstützung individuell nicht versicherbarer Risiken. Der Zwang, einer gesetzlichen Versicherung nur aufgrund eines geringeren Einkommens beizutreten erscheint denn auch absurd: haben etwa Geringverdiener per se ein höheres Gesundheitsrisiko? Ist es gerechtfertigt, ihnen das gesetzliche Gesundheitswesen zu verabreichen und ihnen günstigere Privatversicherungen mit besseren Leistungen vorzuenthalten?


Zur Grafik: Die 30 Prozent der Haushalte mit dem höchsten Einkommen haben im Jahr 2007  über die Hälfte der gesamten Sozialversicherungsbeiträge und über 80 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens bezahlt.