Buchkritik, Soziales

Gedankenmassage für Querdenker

Henrik Müller: Wirtschaftsirrtümer – 50 Denkfehler, die uns Kopf und Kragen kosten, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014 Ob Geld wirklich so glücklich macht wie Henrik Müller behauptet, sei mal dahingestellt. Aber zu behaupten, die Globalisierung sei doch noch umkehrbar und die wichtigsten Dinge seien noch gar nicht erfunden, ist provokant. Müller, ein erfrischender Quer-Bürster vor dem Herrn, plappert nicht jedem Klischee nach, sondern ackert sich an 50 Vorurteilen aus der Welt der Wirtschaft ab – und entlarvt sie als Irrtümer. Zumindest, wenn es nach ihm geht.

Henrik Müller: Wirtschaftsirrtümer – 50 Denkfehler, die uns Kopf und Kragen kosten, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014„Griechenland ist das größte Problem der Eurozone.“ Irrtum, sagt Henrik Müller. Freilich sei Hellas nicht wettbewerbsfähig, kaum ein Land habe eine schlechtere Bilanz bei der Einhaltung politischer Versprechen, griechische Minister erpressten ihre Europartner, die Verwaltung gelte als korrupt, das Land sei politisch zerrissen – und doch: „Griechenland ist für die Eurozone vielleicht teuer und ärgerlich, aber es bedroht nicht ihr Existenz“, meint Müller. Dafür sei die Volkswirtschaft einfach zu klein. Viel schlimmer: „Italien und Frankreich flirten mit dem ökonomischen Desaster.“ Gelingen dort die Reformen nicht, wird die Eurozone nicht zu retten sein, ist sich Müller sicher.

Als sein neues Buch „Wirtschaftsirrtümer – 50 Denkfehler, die uns Kopf und Kragen kosten“ im vergangenen Jahr auf den Markt kam, konnte Müller zwar die aktuellen Streiche von Alexis Tsipras und seinem Finanzminister noch nicht absehen, dennoch waren die Umstände ähnlich: Die Griechen pflegen seit jeher ein intimes Verhältnis zum Euro wie Sisyphos zu seinem Stein – mühsam und nicht selten sinnlos. Zwar sehen Kritiker den Umgang der EU mit Griechenland und seine Schulden als symbolisch für den Zusammenhalt in Europa, doch Müller lenkt zu Recht den Blick auf unsere direkten Nachbarländer: „Während François Hollande inzwischen eine fast deutsche Sichtweise entwickelt, was einen neuen Gleichklang beiderseits des Rheins ermöglichen soll, muss Matteo Renzi hingegen beweisen, dass er mehr kann als großsprecherische Selbstvermarktung.“

Müller, Ökonom, Journalist und Professor an der TU in Dortmund, legt gerne die Finger in die Wunden. Ganz wie sein Vorbild, der Philosoph John Stuart Mill. Vor 200 Jahren schrieb Mill über die „verhängnisvolle Neigung“ der Menschen, „über etwas, das nicht mehr zweifelhaft ist, nicht länger nachzudenken“. Und so treibt der Zweifel auch Müller zu einem unterhaltsamen Buch voller Einfälle über die aktuell 50 größten Denkfehler in unseren wirtschaftlichen Debatten – leicht geschrieben, ohne je seicht zu sein.

Exportüberschüsse? Lohnzurückhaltung? Was bringt das überhaupt?

In 50 kleinen Essays handelt Müller die Themen Wachstum, Arbeit, Märkte, Globalisierung, Gesellschaft, Geld und Europa ab – eine Lektüre nicht nur für die Minute zwischendurch, sondern durchaus auch zum längeren Nachschlagen: Da geht es um Sinn und Unsinn der Digitalisierung unserer Arbeitswelt oder über die Immobilie als angeblich sichere Geldanlage. Müller spekuliert über das Ende des Jobwunders und darüber, dass teure Energie keinesfalls eine Wachstumsbremse darstellt. Auch der unerschütterliche Glaube, Exportüberschüsse seien so wunderbar, ist für Müller nichts anderes als ein großer Denkfehler. Lohnzurückhaltung hält er als Motor eines funktionierenden Arbeitsmarktes für genauso fragwürdig wie die Annahme, die Globalisierung sei unumkehrbar.

In seinen „letzten zehn Irrtümern“ zeigt der Autor sich als überzeugter Europäer. Er ist sich sicher: Die hohen Staatschulden sind die Folge der Eurokrise und nicht die Ursache. Und: Die Bürger sind Europa nicht satt. Sie wollen sich gar nicht mehrheitlich in die Heimeligkeit ihrer Nationen zurückziehen. Im Gegenteil: „Die EU und der Euro sind für viele Bürger mit großen Hoffnungen verbunden. Immer noch. Gerade jetzt“.

Fazit: Man muss nicht immer Müllers Meinung sein. Und sollte es auch nicht. Dennoch ist ihm ein lesenswertes Buch gelungen, das die immer gleichen und oft dumpfen Ansichten von Politikern und Ökonomen erfrischend aufspießt.