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Föderalstaatlicher Weckruf aus Karlsruhe

Auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erleben Kläger wie Beklagte manchmal merkwürdige Volten: Die Anhörung über das umstrittene Betreuungsgeld sorgte diese Woche für große Überraschung.

Die Richter ließen mehr als deutlich erkennen, dass sie das Gesetz voraussichtlich aus einem formellen Grund scheitern lassen: an der Zuständigkeitsfrage. Der Bund habe keine Gesetzgebungskompetenz, weil das Betreuungsgeld nicht „zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ erforderlich sei. Damit scheint sich das Bundesverfassungsgericht die politisch und juristisch heiklere inhaltliche Prüfung, ob und inwieweit hier Grundrechte wie die Gleichbehandlung und der Schutz von Ehe und Familie tangiert werden, ersparen zu wollen. Prompt wurden die Richter vom wortgewaltigen Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung als „die Kneifer von Karlsruhe“ tituliert.

Als überzeugter Föderalist werte ich den Verlauf dieser Anhörung durchaus als Weckruf, der uns alle daran erinnert, dass die Bundesrepublik ein Förderalstaat ist. Der Bund verfügt eben nicht über die alleinige Gesetzgebungskompetenz, sondern auch die Länder können, ja sollen ihre eigene Kompetenzen ausüben. Wenn Bayerns CSU das Betreuungsgeld wollte, dann hätte sie es schon für Bayern beschließen und aus dem Landeshaushalt bezahlen können. In der politischen Realität erleben wir einen immer stärkeren Trend zum Zentralstaat. Das gilt in Deutschland, das gilt auch in Europa.

Dabei wird in politischen Sonntagsreden gern vom Subsidiaritätsgebot fabuliert. Entscheidungen sollten aus Gründen der Effizienz und Bürgerakzeptanz möglichst dezentral fallen und verantwortet werden. Doch die Wahrheit sieht anders aus: Die deutsche Politik wird von einem fatalen Missverständnis beherrscht. Als gerecht gilt, was möglichst gleich ist oder gleich gemacht wird. Das gilt im Verständnis vieler Menschen z. B. für die Nivellierung der Einkommensunterschiede, als ob das Leistungsprinzip nicht vor allem aus dem Streben nach persönlichem Mehrwert gespeist würde.

Dieses Denken beherrscht auch die aktuelle politische Debatte um die Reform des innerstaatlichen Finanzausgleichs. Mit Verweis auf „die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ (GG Art. 72 Abs. 2) kämpfen die vielen Nehmerländer um hohe Transfers, die natürlich von den reichen Ländern und vom Bund erwartet werden.

Eigene Anstrengungen sind – wenn überhaupt – erst in zweiter Linie gefragt. Wer den Föderalismus ernst nimmt, der muss um mehr Eigenverantwortung der Länder kämpfen. Der sieht die Stärke Deutschlands gerade auch in seiner Unterschiedlichkeit. Warum wehren sich etwa die armen Bundesländer gegen mehr Steuerautonomie? Warum lehnen sie Vorschläge ab, selbst Zuschläge auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer zu erheben? Ab 2020 dürfen die Bundesländer keine neuen Kredite zum Haushaltsausgleich mehr aufnehmen. Wer im Föderalstaat die Einnahmenverantwortung scheut und lieber Leistungen zu Lasten Dritter verspricht, der macht sich als Landespolitiker überflüssig.

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