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Wie die Regierung die kalte Progression klein rechnet

Finanzminister Schäuble will die kalte Progression abbauen. Und das nicht nur einmalig. Alle zwei Jahre soll in Zukunft überprüft werden, in welcher Höhe die Eckwerte an die Inflation angepasst werden müssen. Doch die Bürger könnte weniger entlastet werden als angebracht. Weil die Regierung die Entlastung klein rechnet.

Der Bundesfinanzminister hat nach der jüngsten Tagung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ angekündigt, die kalte Progression ab 2016 abzumildern. Das ist ein unverhoffter Achtungserfolg für die Steuerzahler. Denn schließlich wird seit Jahrzehnten um dieses einkommensteuerrechtliche Problem gerungen.

Der Finanzminister hat zudem vorgeschlagen, dass nun alle zwei Jahre geprüft wird, ob weitere Abbauschritte notwendig sind. Basis für diese Abwägung sollen die zweijährlichen „Steuerprogressionsberichte“ der Bundesregierung sein. Nach der Erfahrung mit dem „Ersten Steuerprogressionsbericht“ vom Januar 2015 ist das keine gute Idee. Denn die Regierung hatte in diesem Bericht aus naheliegenden Gründen einiges dafür getan, die Belastung durch die kalte Progression gering erscheinen zu lassen. Um künftig im Interesse der Steuerzahler objektivierte Schätzungen zu erhalten, wäre der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ eine gute Adresse. Er ist zweifellos in der Lage, die zu erwartende und somit zu beseitigende kalte Progression auszuweisen.

So wie die Bundesregierung in ihrem „Ersten Steuerprogressionsbericht“ die kalte Progression hat kalkulieren lassen, geht es jedenfalls nicht.

Hier die drei Rechentricks vom Januar 2015:

1.     Brutto- statt Nettolöhne

Die kalte Progression entsteht, wenn der Durchschnittssteuersatz steigt, obwohl das Einkommen real unverändert geblieben ist. Das muss durch Reformen verhindert werden. Denn wenn das Realeinkommen inflationsbedingt stagniert, steigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerbürgers nicht. Er sollte daher auch nicht einem erhöhten Durchschnittssteuersatz unterliegen.

So wird das Problem der kalten Progression sinngemäß auch im Steuerprogressionsbericht geschildert. Um es zu lösen, müsste der Einkommensteuertarif indexiert, also regelmäßig an die Inflationsrate angepasst werden.

Was nun gesetzlich dem Einkommensteuertarif unterliegt, ist das „zu versteuernde Einkommen“ (zvE). Auch diese Feststellung findet sich so im Steuerprogressionsbericht. Die eigentlichen Berechnungen im Bericht beruhen aber gar nicht auf dem zvE, sondern auf den Einkünften bzw. auf den Bruttolöhnen und –gehältern. Dieses Vorgehen wäre nur dann unproblematisch, wenn Bruttolohn und zvE in einem proportionalen Verhältnis stehen würden. Das ist aber nicht der Fall. Wegen jährlich steigender Vorsorgepauschalen steigt das zvE – je nach Bruttolohnniveau – deutlich langsamer als der Bruttolohn selbst. Zur derzeitigen Größenordnung: Wenn das „Brutto“ um 2 Prozent steigt, wächst das zu versteuernde Einkommen nur um rund 1 Prozent. (Das ist im Übrigen kein reines Geschenk des Staates. So können zwar von Jahr zu Jahr mehr Rentenversicherungsbeiträge abgezogen, also steuerfrei gestellt werden. Doch die Kehrseite ist die steigende nachgelagerte Besteuerung der Renten.)

Wenn man nun wie im Steuerprogressionsbericht für Belastungsrechnungen die Inflationsraten auf das „Brutto“ statt auf das zvE (als Maßstab der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerbürgers) bezieht, sind die resultierenden zvE-Steigerungsraten deutlich kleiner als die Inflationsraten. Ein auf diese Weise kleingerechnetes zvE-Wachstum führt dann natürlich auch zu kleineren Effekten bei der kalten Progression. Doch damit nicht genug.

2.     Falsches Basisjahr

Im Steuerprogressionsbericht variiert die Bundesregierung zudem erstmals das Basisjahr ihrer Kalkulationen. Das steht im klaren Widerspruch dazu, wie die Regierung bislang die Belastungseffekte errechnet hat. Vor dem Steuerprogressionsbericht war der regierungsinterne Ausgangspunkt der Einkommensteuertarif eines festen Basisjahres, um die Belastungen der Folgejahre abzuschätzen. Im Steuerprogressionsbericht wird nun das Basisjahr verschoben, so dass jeweils der Tarif des Vorjahres entscheidend ist. Für die kalte Progression 2015 wird das Basisjahr 2014 verwendet. Für 2016 ist der Tarif 2015 der Ausgangspunkt. Das Ergebnis sind deutlich niedrigere Belastungszahlen als bei früheren Rechnungen, wo zum Beispiel für die kalte Progression im Jahr 2016 die Durchschnittssteuersätze des Tarifs 2013 der Ausgangspunkt waren.

Dieses neue Berechnungsvorgehen unterschätzt systematisch das eigentliche Problem der kalten Progression. Denn es sind ja gerade die Jahr für Jahr weiter steigenden Preise, die bei unverändertem Einkommensteuertarif die Durchschnittssteuersätze und damit die kalte Progression weiter wachsen lassen. Der Regierungsbericht setzt das Problem zu Jahresbeginn immer wieder auf null. Das wird den Steuerzahlern, die Jahr für Jahr in immer höhere Durchschnittssteuersätze wachsen, wahrlich nicht gerecht. Daher überrascht es auch nicht, dass die kalte Progression 2015 laut früheren Regierungsrechnungen (.pdf – Seite 28) noch rund 3,2 Milliarden Euro betrug und es laut Steuerprogressionsbericht nunmehr – für vergleichbare Inflationserwartungen – nur noch rund 1,8 Milliarden Euro sein sollen.

3.     Durchschnitte problematisch

Im dritten Schritt teilt die Bundesregierung die kleingerechneten Effekte auch noch durch rund 40,5 Millionen Steuerbürger. Eine Durchschnittsbildung ist natürlich legitim, aber nicht unproblematisch. Denn ein wichtiger Aspekt der kalten Progression – Bezieher kleinerer Einkommen sind relativ betrachtet von der kalten Progression besonders betroffen – wird dadurch ausgeblendet.

Viel gravierender sind jedoch die 40,5 Millionen. Schließlich zahlen nicht annähernd so viele Bürger auch wirklich Einkommensteuer; man denke insbesondere an Geringverdiener oder an Einkommensbezieher mit Verlustvorträgen. Diese Regierungsrechnung drückt das Belastungsergebnis also zusätzlich.

Fazit

Angesichts dieser Rechentricks und Methodenwechsel muss sich der Bundestag fragen, was die parlamentarisch erstrittene Berichtspflicht der Regierung perspektivisch überhaupt wert ist. Interessant ist hierbei auch, dass der vom Bundesfinanzminister am 7. Mai 2015 präsentierte Reformvorschlag sogar vom eigenen Progressionsbericht abweicht. Laut Progressionsbericht sollte für den Einkommensteuertarif 2016 lediglich der Tarif 2015 indexiert werden. Gemäß dem Reformvorschlag soll nunmehr für den Einkommensteuertarif 2016 der Tarif 2014 mit der kumulierten Inflation der Jahre 2014 und 2015 indexiert werden.

Auch beim Abbau der kalten Progression könnten also Reformen nach Kassenlage das Ergebnis sein. Es liegt daher nahe, die Berichtspflicht Anderen zu übergeben; zum Beispiel dem Arbeitskreis „Steuerschätzungen“.

Noch besser wäre es, eine automatische Inflationsanpassung, also einen „Tarif auf Rädern“ zu installieren. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Deutsche Steuerzahlerinstitut bereits im Herbst 2014 unterbreitet.

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