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Eine „Produktivitätskeule“ fehlt

Wer sich in der Nachrichtenflut vorgeblicher ökonomischer „Fakten“ zurechtfinden will, sieht ganz schnell den berühmten Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Laut ifo-Geschäftsklimaindex wachsen die aktuellen Geschäftserwartungen , weil der Optimismus der befragten Unternehmen steigt. Fast zeitgleich verkündet das Statistische Bundesamt ein nur verhaltenes tatsächliches BIP-Wachstum im I. Quartal 2015. Die einen verteidigen noch die exzessive Geldpolitik der EZB und den Anleihekauf der Notenbank, weil sie die Mär von der drohenden Deflation geglaubt haben. Die anderen beschreiben bereits (und zu Recht) die Trendumkehr bei den Inflationserwartungen, die sich in deutlich steigenden Kursen am langen Ende des Anleihenmarktes widerspiegelt. Über die irrlichternde Informationsflut zum Thema „Grexit“ erübrigt sich jedes weitere Wort.

Die entscheidenden Grundsatzfragen werden in unseren Tagen kaum noch gestellt:

  • Worauf gründet der Wohlstand Deutschlands?
  • Was hielt die deutsche Volkswirtschaft trotz hoher Kosten über viele Jahre wettbewerbsfähig?

Die Antwort auf beide Fragen passt so gar nicht zu dem die deutsche Exportwirtschaft angeblich so begünstigenden gesunkenen Euro-Kurs, den die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik sehr bewusst provoziert. Ganz im Gegenteil: Eine starke Währung war über viele Jahrzehnte hinweg die entscheidende Produktivitätskeule in Deutschland! Wollten wir Güter und Dienstleistungen in alle Welt verkaufen und trotz höherer Preise wettbewerbsfähig sein, dann mussten unsere Unternehmen mit ihren Mitarbeitern besser und innovativer sein. Das gelang über viele Jahrzehnte mehr als überzeugend. Während andere europäische Volkswirtschaften, die heute im Euroraum mit einer Währung fest verknüpft sind, lange Zeit ihre preisliche „Konkurrenzfähigkeit“ immer wieder durch Abwertung nachjustieren mussten, entwickelte sich Deutschland zu einem Hort der Stabilität und Leistungsfähigkeit. Dazu trug auch die starke Marktposition der vielen mittelständischen Unternehmen bei, von denen fast eineinhalbtausend zu den „hidden champions“ im Weltmarkt-Unternehmensranking gehören.

In den aktuellen Lohnrunden wird weit mehr verteilt, als über den Produktivitätsfortschritt erwirtschaftet wird. Die Lohnkosten entkoppeln sich in Deutschland von der Produktivität auch durch eine immer stärker branchenpartikular operierende Gewerkschaftslandschaft, die keinen Blick mehr für die ganze Volkswirtschaft hat. Gleichzeitig mischt sich die Politik immer stärker in die Lohnfindung ein – durch gesetzliche Mindestlöhne, aber auch durch das beifällige Begleiten hoher Lohnforderungen. Zusätzlich treibt die Politik auf zwei Großbaustellen die Preise: Zum einen führen die bereits beschlossenen teuren Projekte in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit Sicherheit noch in diesem Jahrzehnt zu deutlich steigenden Beitragssätzen. Obwohl die Alterung unserer Gesellschaft die Sozialkosten ohnehin erhöht, bleibt die Große Koalition ohne Rücksicht auf Verluste spendierfreudig. Zum anderen spottet der immer stärkere Markteingriff des Staates in der Energiepolitik jeder marktwirtschaftlichen Vernunft. In ihrer ganzen Widersprüchlichkeit steht die deutsche Energiepolitik weder für ökonomische noch für ökologische Kompetenz.

Wer diese Alarmzeichen nicht sehen will, die sich bereits augenfällig in den Investitionsentscheidungen der Unternehmen niederschlagen, der wird bald aufwachen müssen. Denn der Euro als Währung wird als Produktivitätskeule ausfallen. Also braucht es politische Reformanstrengungen, die aber erst in der nächsten Krise mehrheitsfähig werden dürften: Eine Agenda 2030 muss es dann richten!