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Das China-Syndrom

Die Abwertung der chinesischen Währung in der letzten Woche hat weltweit für Nervosität an den Börsen gesorgt. Der Konjunkturmotor in China scheint zu stottern. Das bleibt  nicht ohne Auswirkungen für Europa - und vor allem für Deutschland.

Wer erinnert sich noch an den zu Recht außer Gebrauch gekommenen Satz „In China ist ein Sack Reis (oder ein Fahrrad) umgefallen“? Diese Metapher stand umgangssprachlich viele Jahrzehnte für ein unwichtiges Ereignis. Letzte Woche machten drei Tage hintereinander Abwertungsentscheidungen der chinesischen Notenbank deutlich, welche Schockwellen Entscheidungen in China heute um den Globus schicken. Die Börsenindices brachen weltweit ein – vor allem auch die Werte der stark im chinesischen Markt engagierten deutschen Fahrzeug- und Maschinenbauer. Die ökonomischen Schockwellen aus der asiatischen Großmacht erinnern heute eher an den US-Katastrophenfilm „Das China-Syndrom“, der einen fiktiven Atomunfall beschrieb und vor allem deshalb breite Wirkung erzielte, weil er die atomare Kernschmelze im Atomkraft „ Three Mile Island“ bei Harrisburg im selben Jahr vorwegnahm.

Das ökonomische China-Syndrom kann uns in den kommenden Wochen, Monaten, ja Jahren noch zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen bescheren. Denn die Yuan-Abwertungsentscheidungen der chinesischen Politik sind ja nichts anderes als Reaktionen auf eine gewaltige Eintrübung der jahrzehntelangen Wachstumseuphorie, die China vom Entwicklungsland zur ökonomischen Großmacht katapultierte. Ohne das gewaltige Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft, das auch die Finanzkrise 2008 unbeschadet zu überstehen schien, hätte etwa der deutsche Fahrzeug- und Maschinenbau nach der scharfen Rezession im Jahr 2009 nicht so schnell wieder Tritt gefasst. Dank Chinas schier grenzenloser Importgier nach deutschen Produkten gab es damals in der so wichtigen deutschen Exportbranche – trotz der Rezession in den USA, in Japan und in Europa – keine Kündigungen bei den Stammbelegschaften.

Lange wollte man in Europa, das seit Jahren scheinbar nur noch mit dem Euro- und Griechenlanddrama beschäftigt ist, die Gewitterwolken über der Weltwirtschaft nicht sehen. Neben China, in dem sich schon seit Monaten die strukturellen Probleme ballen (Stichworte: Kredit- und Immobilienblase, scharfer Anstieg der Arbeitskosten; Öko-Krise) leiden ja auch große Schwellenländer wie Brasilien oder Russland Not. Erstmals seit 6 Jahren steigt in den Schwellenländern, die viele Jahre lang die Weltkonjunktur mit befeuert haben, die Arbeitslosigkeit wieder an.

Fast möchte ich Wetten darauf abschließen, dass die von der US-Notenbank für Mitte September angedachte Leitzinserhöhung, auf die der Markt bis vor wenigen Tagen systematisch vorbereitet wurde, unterbleiben wird. Die erste Leitzinserhöhung der größten Notenbank der Welt seit vielen Jahren, mit der endlich ein Signal der Umkehr aus der fatalen Nullzinspolitik eingeläutet worden wäre! Die der liquiditätsgetriebenen extremen Risikofreude der globalen Kapitalanleger endlich wieder ein Zinssignal entgegengesetzt hätte! Die vielen Lebensversicherungen und Pensionsfonds wieder Hoffnung gemacht hätte – und nicht zuletzt auch das so lange durch die Geldpolitik diskreditierte Vorsorgesparen mittelfristig wieder attraktiver hätte machen können!

Schneller, als viele glauben, dürfte das China-Syndrom auch Spuren beim deutschen Fiskus hinterlassen und in der deutschen Sozialversicherung. Eben noch weitete das Bundeskabinett die Leistungen in der Pflegeversicherung gewaltig aus, so wie es die Große Koalition in den ersten Regierungsmonaten bereits in der Rentenversicherung praktiziert hatte. Mehrausgaben, die in Zeiten des demografischen Wandels nicht nachhaltig finanziert sind, werden erst recht zu einer Herkuleslast, wenn der Konjunkturmotor gleichzeitig ins Stottern kommt. Deutschland wird schnell aus seiner Saturiertheit erwachen müssen – dem China-Syndrom sei Dank.