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Wenn Rechtssicherheit zum Vorwand verkommt

Rechtssicherheit ist unerlässlich für die Soziale Marktwirtschaft. Aber was bringt Sicherheit, wenn das Recht schlecht ist? Ziemlich wenig, wie der Umgang der Schweiz mit jener Kunst zeigt, die auf der Flucht vor den Nazis verkauft werden musste.

Rechtssicherheit ist eine feine Sache. Der Ordnungsrahmen, innerhalb dessen sich das wirtschaftliche und soziale Leben bewegt, steht fest; man weiß, woran man ist; man kann sich darauf verlassen, dass im Ernstfall die Gerichte das Recht durchsetzen. In diesem Sinne hob Friedrich August von Hayek in seiner „Verfassung der Freiheit“ (1960) die Bedeutung von Regeln als „Daten, auf die der Einzelne seine Pläne aufbauen kann“, hervor –  weil nur so der Einzelne in der Interaktion mit anderen Menschen sein „lokales Wissen“ unverzerrt für den gemeinsamen Fortschritt nutzbar machen kann.

Dieses Argument für Rechtssicherheit ist freilich nur so gut, wie das Recht selbst gut ist. An einer gegebenen gesetzlichen Regelung festzuhalten, nur weil sie nun einmal besteht und Menschen ihre Pläne darauf ausgerichtet haben, ist Nonsens. Rechtsnormen müssen sich auch wandeln können, und zwar möglichst in einer solchen Weise, dass sie sich immer besser in die spontan herausgebildete Handelsordnung einfügen, das heißt in die Sitten und Gebräuche einer Gesellschaft. Und sie müssen – nach Hayek – die klassischen Rechtsgrundsätze der Allgemeinheit, Abstraktheit und Gewissheit erfüllen. Allgemein und abstrakt sind Regeln und Gesetze, wenn sie nicht im Blick auf einen Einzelfall entworfen worden sind, sondern sich auf jedermann beziehen und unbegrenzte Gültigkeit genießen.

Ein Beispiel dafür, wie bestehende Gesetze gelegentlich gegen die Prinzipien der Vereinbarkeit mit den sozialen Sitten und Gebräuchen (und dem darin zum Ausdruck kommenden Rechtsempfinden) sowie der Allgemeinheit verstoßen, ist die schweizerische Rechtslage zum Thema deutsches Raub- und Fluchtgut. Es handelt sich hierbei um Kunstgegenstände im Besitz staatlicher wie auch privater Galerien und Museen, die das NS-Regime den zumeist jüdischen Eigentümern entwendet hatte (Raubgut) oder die diese aus akuter Geldnot auf der Flucht verkaufen mussten (Fluchtgut). Hierfür gibt es eine Fülle von Beispielen, zum Beispiel jenes der Schauspielerin Tilla Durieux, die mit ihrem jüdischen Ehemann in die Schweiz geflüchtet war und dort ein Ölgemälde von Vincent van Gogh verkaufte, um nach Ablauf ihres Visums die Flucht Richtung Kroatien fortsetzen zu können. Dieses Bild befindet sich heute im Besitz des Kunsthauses Zürich, das die Ansprüche der Erben zurückweist.

In Deutschland besteht für die Erben – nicht erst seit dem spektakulären Gurlitt-Fall – ein klarer Restitutionsanspruch für beide Typen von Kunstgegenständen. In der Schweiz, die nach 1933 ein Hauptumschlagplatz für Zwangsverkäufe war, ist dieser indes auf Raubgut beschränkt. Dass es dafür – außer den spezifischen Interessen von Galerien und Museen – keine wirkliche Begründung gibt, prangern der Historiker Thomas Buomberger und der frühere Vizedirektor des Kunsthauses Zürich, Guido Magnaguagno, in einem neuen, großes Aufsehen erregenden Buch über die Sammlung Bührle an. Diese soll vom Jahr 2020 an in einem Neubau des Kunsthauses ausgestellt werden. Die Autoren vermuten auch hier etliches heikle Fluchtgut, klagen über eine ausbleibende Provenienzforschung und rufen ihr Land dazu auf, endlich der eigenen historischen Verantwortung gerecht zu werden.

Unter dem Druck dieser Publizität hat die Stiftung Bührle nun eine Kunsthistorikerin eingesetzt, die bis zum Eröffnungstermin die Lage klären soll. Doch es bleibt der bislang verhallende Ruf nach einer Gesetzesänderung. Die Schweizer Regierung stellt sich indes auf die Seite der Galerien und Museen, die eine „Anarchie der Restitution“ befürchten – und sicher eine herbe Schmälerung ihrer Bestände respektive großen finanziellen Aufwand, wenn sie die Bilder neu erwerben müssten. Und worauf berufen sich die meisten Gegner einer Neuregelung? Es ist mal wieder die Rechtssicherheit. Es tut diesem wichtigen Prinzip nicht gut, als derart durchschaubarer Vorwand missbraucht zu werden.

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