Buchkritik, Soziales

Wirtschaft mit Herz und Hirn

Die Welt braucht eine wirkungsvolle Neuausrichtung der Finanzsysteme. Davon sind die Autoren überzeugt. Die Mittel dazu: Empathie, Mitgefühl, Altruismus. Was wie ein frommer Wunsch klingt, ist ernst gemeint: Uneigennützigkeit stimuliert nicht nur die Seele, sondern auch unser wirtschaftliches Handeln. Tania Singer, Matthieu Ricard: Mitgefühl in der Wirtschaft – ein bahnbrechender Forschungsbericht, Knaus-Verlag, München 2015

Tania Singer, Matthieu Ricard: Mitgefühl in der Wirtschaft – ein bahnbrechender Forschungsbericht, Knaus-Verlag, München 2015Seine Heiligkeit der Dalai Lama passt in eine Gesprächsrunde von Ökonomen und Forschern wahrscheinlich genauso gut wie das Pokerspiel Texas Hold’em in eine Gruppe betender Mönche. Und dennoch ist es ausgerechnet der Dalai Lama, der die beiden Herausgeber und Autoren Tania Singer und Matthieu Ricard dazu inspiriert hat, einen Forschungsbericht über „Mitgefühl in der Wirtschaft“ zu veröffentlichen. Matthieu Ricard, der die humanitäre Hilfsorganisation Karuna-Shechen gründete, und Tania Singer, die zu den renommiertesten Hirnforschern in Deutschland gehört, vertreten die These, dass sich Mitgefühl im Hirn trainieren lässt – zum Wohle der Wirtschaft.

Weil sich beide als Keynote-Speaker beim jährlichen Treffen der internationalen Wirtschaftselite in Davos einen Namen gemacht hatten, gelang es ihnen, im April 2010 verschiedene Denker aus Wirtschaftswissenschaften, Neurowissenschaften, Psychologie und Philosophie, zusammenzubringen. Die Teilnehmer diskutierten über „Altruismus und Mitgefühl in Wirtschaftssystemen“ – jetzt liegt der Forschungsbericht vor.

Die wichtigste These der Autoren vorweg: Keiner handelt nur rational oder nur egoistisch – und mit Hilfe von Gehirntraining können Altruismus und Empathie genauso motivationsstark sein wie Macht und Geld.

Altruismus schlägt Macht und Geld
Was wie Sinnspruch aus der Esoterik klingt, ist sehr ernst gemeint und richtet sich zunächst gegen eine starke Tradition: Immerhin war es Adam Smith, der 1776 in seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ den Standard formulierte, der bis heute seine Gültigkeit zu haben scheint: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“ 100 Jahre später schloss sich Francis Edgeworth, ein Mitbegründer der neoklassischen Wirtschaftstheorie, dieser These an: „Das erste Prinzip der Wirtschaftslehre besagt, dass jeden Akteur allein das Eigeninteresse antreibt.“

Doch damit soll jetzt Schluss sein – Altruismus heißt die Devise. Für Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomik und experimentelle Forschung, Direktor des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich und laut FAZ einer der zurzeit gefragtesten Berater der Bundesregierung besteht „Altruismus“ aus folgendem: „Handelt ein Mensch so, dass die Handlung kostspielig für ihn ist, aber jemand anderem Nutzen bringt, dann verhält sich die oder der Betreffende altruistisch.“ Einen materiellen Gewinn wird dieser Person freilich nicht erzielen, „trotzdem wird sie die Situation vielleicht als gewinnbringend erleben“, mein Fehr. Der Grund: Wer handelt, um eigennützig Gewinn zu erzielen, bei dem werden im Gehirn Belohnungsareale aktiviert – „es sind die gleichen Areal, die aktiviert werden, wenn die oder der Betreffenden altruistisch agiert und sich prosozialen Aktivitäten widmet“, meint Fehr. Menschen seien durchaus bereit, eigenes Geld aufzuwenden oder zu leihen, um anderen Menschen zu einem gerechteren Leben zu verhelfen – allerdings sei die Bereitschaft größer, wenn eine Belohnung in Aussicht gestellt würde. Forschungsergebnisse zeigten zudem, dass sich Menschen, die sich selbst als egoistisch oder nicht kooperativ einschätzten, durch bestimmte Meditationsübungen viel engagierter für andere zeigten als zuvor.

Selbstloses Handeln ermöglicht bessere Wirtschaft
Für die Autoren steht fest: Altruismus ist keine selten vorkommende Anomalie inmitten eines ansonsten eigennützigen Standardverhaltens. „Die Auffassung, der Mensch sei eigennützig und kümmere sich nicht um die anderen, ist falsch“, lautet das Urteil der Forscher. Zudem stellt Altruismus für sie ein wirkungskräftiges Instrument dar, die Wirtschaft zu einem besseren System zu entwickeln: nämlich zu einer Wirtschaft, in der die Handelnden nicht allein vom „Motivationssystem Macht-Leistung-Reichtum“ beeinflusst sind, sondern sich an selbstloseren und damit für die Gemeinschaft wertvolleren Kriterien orientieren. Altruismus ist nämlich damit nicht nur eine Art Sozialversicherung, sondern sorgt letztlich auch „für ein höheres Maß an wirtschaftlichen Transaktionen zum wechselseitigen Nutzen“. Denn „wenn es in der Gesellschaft Menschen gibt, die sich altruistisch verhalten,“ meint Fehr, „dann nimmt unsere Bereitschaft zu, Verpflichtungen einzuhalten“.

Fazit
Ein sehr idealistisches Buch. Die Autoren sind überzeugt, dass Altruismus erlernt und kultiviert werden kann – und dass es sich lohnt, ihn zu erlernen: für eine faire Wirtschaftspolitik und sinnvolles, ökonomisches Handeln. Nutzenmaximierung und Altruismus stellen keine Gegensätze dar. Ob man dafür aber gleich eine ganz neue Welt braucht, wie es im Buch vereinzelt anklingt, sei dahingestellt.

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