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Frühzeitig die Weichen stellen: Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur

Um dem steigenden Pflegebedarf gerecht zu werden, müssen nicht nur zusätzliche Fachkräfte gewonnen, sondern auch die Pflegeinfrastruktur ausgebaut werden. Dazu sollten vor allem die Regierungen der Länder ihre bisherigen Strategien auf den Prüfstand stellen.

Im Jahr 2013 waren hierzulande rund 2,6 Millionen Menschen im Sinne der gesetzlichen Definition pflegebedürftig. Weitere 109.000 Menschen bezogen Leistungen der „Pflegestufe Null“, weil sie aufgrund ihrer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz Hilfe benötigen. Und die Zahl der Pflegebedürftigen wird im Zuge der alternden Bevölkerung weiter steigen. Nimmt man an, dass sich die Wahrscheinlichkeit, zum Pflegefall zu werden, nicht ändert, so zeigen unsere Berechnungen über alle Bundesländer hinweg ein Plus von bis zu 1,9 Millionen Menschen bis 2050.

Um eine angemessene Versorgung zu gewährleisten müssen sowohl ambulante als auch stationäre Pflegekapazitäten genutzt und gleichermaßen ausgebaut werden. In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber unter anderem mit der Anhebung der ambulanten Pflegesätze die Anreize zugunsten der Versorgung im häuslichen Umfeld gestärkt. Viele Bundesländer folgen dieser Strategie bis heute bei der Umsetzung in Landesrecht.

Diese Fokussierung birgt aber Risiken. Denn es spricht einiges gegen die Hoffnung, dass der zunehmende Bedarf künftig überwiegend im Rahmen ambulanter Pflege gedeckt werden kann. Mit einer steigenden Anzahl der Singlehaushalte und einer wachsenden Gruppe an Kinderlosen wird es in vielen Fällen an familiären oder nachbarschaftlichen Strukturen mangeln, die aber notwendig ist, damit ambulante Pflege gelingt. Bereits heute sind 12 Prozent der 65 bis 74-jährigen und 19 Prozent der 45- bis 54-jährigen kinderlos. Zudem wird die höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen das informelle Pflegepotenzial beschränken. Denn bislang haben sich vor allem Frauen in der zeitintensiven Betreuung engagiert.

Weil aber auch wir nicht in der Glaskugel lesen wollen, gehen wir bei unseren Überlegungen davon aus, dass sich die Anteile an informeller oder professioneller Pflege sowie ambulant oder stationär erbrachter Leistungen nicht ändern. Unsere Berechnungen zeigen dann, dass der Bedarf an professioneller stationärer Dauerpflege bis zum Jahr 2030 um mindestens 180.000 Plätze steigen wird. Neben dem Aufbau neuer Kapazitäten muss außerdem in bestandserhaltende Maßnahmen investiert werden. Denn die Ausstattung nutzt sich ab und nicht alle Einrichtungen entsprechen den stetig weiter entwickelten Pflegestandards und Ansprüchen. Um den Bedarf an ambulanter Pflege zu bedienen, müssen in diesem Zeitraum zudem knapp 51.000 Vollzeitarbeitsplätze besetzt werden. Damit das alles gelingen kann, müssen die Anreize für Investitionen stimmen – Investitionen sowohl in Sachkapital als auch in Ausbildung.

Vor diesem Hintergrund sollten die Regierungen nicht allein der ambulanten Versorgung den Vorrang geben – etwa in der Annahme, damit eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Denn es ist wenig wahrscheinlich, dass die informellen Pflegekapazitäten in dem Maße zulegen werden, das notwendig wäre, um den steigenden Bedarf vorrangig in häuslicher Umgebung zu versorgen. Ebenso offen bleibt die Frage, ob eine professionelle ambulante Pflege in jedem Fall das optimale Pflegearrangement bieten kann.

Stattdessen müssen die Länder einen Rahmen schaffen, der Investitionen und Jobs in alle Formen der Pflege attraktiv macht. Dabei geht es nicht nur um Kapital, sondern auch darum, Menschen für das notwendige unternehmerische Engagement zu begeistern, das für den Betrieb eines Pflegeheims oder eines ambulanten Dienstes notwendig ist. Dies gilt umso mehr, als die Pflegewirtschaft von einer klein- und mittelständischen Struktur geprägt ist. Umfangreiche Vorschriften, die bis hin zur Ausstattung der Zimmer gehen, halten potentielle Investoren eher ab und können im Extrem dazu führen, dass kein ausreichendes Angebot durch privatwirtschaftliche oder freigemeinnützige Träger zustande kommt. Dann stellt sich aber die Frage, wer die notwendigen Pflegekapazitäten bereitstellen kann. Nach dem Gesetz sind es die Bundesländer, die für eine ausreichende und wirtschaftliche Versorgungsstruktur verantwortlich zeichnen. Spätestens seit Einführung der Schuldenbremse dürfte den Landespolitikern aber klar sein, dass dies kaum über den Landesetat möglich sein dürfte. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die Pflegepolitik auf den Prüfstand zu stellen. Denn Kurskorrekturen wirken erst auf mittlere Sicht, weil der Aufbau einer bedarfsgerechten Infrastruktur Zeit benötigt. Die demographische Entwicklung wartet aber nicht.

Dieser Blog-Post basiert auf der IW-Studie “Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur” . Weitere Ergebnisse, der Studie finden Sie hier.

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