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Jeder sollte sein eigenes Geld schöpfen

Ein Geldgespenst geht durch Europa – denn billiges Geld feuert zwar die Wirtschaft an, bläst sie aber unnachgiebig auf. Für die Autoren ist es höchste Zeit, die aktuelle Strategie der Zentralbanken zu hinterfragen. Mögliche Alternativen wie Regionalwährungen, Tauschsysteme, Free Banking oder auch das System von Zeitbanken stehen bereit. Das Buch bietet einen intelligent erzählten und unterhaltsamen Blick hinter die Kulissen der Geldwirtschaft. Ottmar Schneck, Felix Buchbinder: Eine Welt ohne Geld – Alternativen zum bisherigen Geldsystem, UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, München 2015

Schneck-Welt-9783867646017.inddNiedrige Zinsen, Euro im Überfluss und vereinfachter Zugang zu Geldquellen – unsere europäische Welt muss ein Paradies sein. Auch wenn die US-Notenbank Ende 2015 erstmals seit fast zehn Jahren den Leitzins erhöht hat und dies möglicherweise auch für Europa eine geldpolitische Zäsur bedeutet, ist es noch stets eine Wohlstandsillusion, in der wir Deutschen und viele Europäer zurzeit leben. Boom-Phasen, die auf reiner Geldmengenerweiterung basieren, bestrafen die Menschen, die sparen oder weniger konsumieren oder investieren wollen, da die Zinsen geringer als die Inflationsrate sind. „Die Wohlstandsillusion drückt sich ebenfalls in ständig steigenden Vermögenswerten sowie inflationierten Preisen vor allem auch auf den Immobilienmärkten aus“, schreiben die Autoren Ottmar Schneck, Felix Buchbinder in ihrem neuen Buch „Eine Welt ohne Geld – Alternativen zum bisherigen Geldsystem“. Der langfristige Kaufkraftverlust des Geldes im Vergleich zu den Realvermögen betreffe letztlich alle Menschen. „Wer es während der Boom-Phase versäumt, sein Realvermögen zu tauschen, erleidet langfristig einen Wertverlust“, meinen die Autoren. Der Aufschwung werde nämlich nicht durch reale Ersparnisse, sondern durch billige Kredite finanziert.

Für Schneck, Professor für Bankwirtschaft an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen und seinen Co-Autoren Buchbinder (Bildungsinitiative Teach First Deutschland) steht fest: Es ist höchste Zeit über die Funktionsweise von Zentralbanken aufzuklären und über anderes Geldsysteme nachzudenken. In ihrem 250-Seiten-Werk bieten sie ein illustres Panorama erprobter Alternativen.

Im Meer der Billionen wird Geld zur Illusion

Geld ist wichtig, allein schon als Rechenmittel. Doch Geld ist auch ein flüchtiges Gut. Und zurzeit ist flüchtig wie selten. Es rast regelrecht durch die Welt, die Umlaufgeschwindigkeit ist extrem gestiegen – mit Hilfe von Millisekunden-Transaktionen sind es täglich etwa 2,5 Billionen Dollar. Für eine Zentralbank ist angesichts der Geschwindigkeit und Höhe der Summe eine solche Geldmenge kaum planbar. „Geld ist eine Illusion, wenn es keinem realen Wirtschaftswert entspricht und entsprechend gesteuert wird“, sagen die Autoren. Wenn Zentral- und Geschäftsbanken unendliche Mengen an Geld in den Markt pumpen, ohne dass die reale Wirtschaft gleichermaßen wächst, entsteht eine solche Geldillusion. Sie zielt zwar darauf, den Konsum von Erspartem anzuregen. Doch am Ende führt sie zu einer Entwertung des Geldes.

Nicht die Menge des Geldes ist entscheidend, sondern der Wert

Nie gab es wohl so viel Geld in einem Wirtschaftssystem (mehr als 90 Prozent des globalen Geldvolumens wird elektronisch gehandelt) wie heute, meinen die Autoren: „Für die moderne Wirtschaft scheint Geld wie Blut zu sein, das im Körper zirkuliert und alle wichtigen Organe durchdringt und am Leben hält.“ Doch nicht die Menge, sondern der Wert des Geldes ist entscheidend. Das Geldsystem heute ist durch keine realen Werte mehr gedeckt, die Suche nach einem dauerhaft stabilen System schwierig. Der Grund, warum es weder Regierungen noch Zentralbanken schaffen, langfristig für Geldwertstabilität zu sorgen, ist für Schneck und Buchbinder offensichtlich: „Es liegt daran, dass sie […] auch diverse politische Interessen verfolgen müssen und so früher oder später immer Kompromisse mit den Zielen eines nachhaltigen Geldsystems eingehen werden.“ Gemeint sind beispielsweise die Finanzierung von Kriegen oder politische Großprojekte wie die EU.

„Geld ist die Ursache allen Übels. Aber was ist die Ursache allen Geldes?“ hatte einst die Schriftstellerin Ayn Rand (1905 bis 1982) gefragt. Schneck und Buchbinder zählen die wechselhaften „Gesichter“ des Geldes auf – von der Tulpenmanie der Niederländer im 17. Jahrhundert über die Goldwährung bis zum Münz- und Papiergeld – und kommen zu dem Schluss, dass Geld letztlich immer nur auf dem Vertrauen der Nutzer basiert.

Sollten allein Zentralbanken Geld ausgeben dürfen?

Um mehr Stabilität in die Finanzsysteme zu bekommen, wagen die Autoren „einen Blick über den Tellerrand“, wie sie selbst sagen, und bringen Alternativen in die Debatte. Sie fragen: „Sollten allein Zentralbanken Geld ausgeben oder auch die Geldausgabe frei für Jedermann möglich sein?“ Oder anders formuliert: Warum sollte nicht jeder Mensch sein eigenes Geld schöpfen dürfen?

Zunächst erläutern sie Silvio Gesells Idee eines zentral verwalteten monopolisierten Frei- und Schwundgeldes. Sie analysieren Regionalgeldsysteme, von denen in Deutschland zurzeit rund 40 verschiedene existieren – das bekannteste unter ihnen ist der „Chiemgauer“. Sie erläutern lokale Tauschsysteme, und zwar nicht nur Sharing-Dienste, die über soziale Netzwerke und Online-Plattformen funktionieren, sondern auch in Form von Selbsthilfeorganisationen und überregionalen Verrechnungsstellen möglich sind.

Eine Alternative bietet zudem der Schweizer WIR-Franken als bargeldloses und diebsstahlsicheres Zahlungsmittel. Das System von Zeitbanken, das in den USA Anwendung findet und in dem tatsächlich Zeit „getauscht“ wird, ist eine eher exzentrische Möglichkeit. Digitale Währungen wie Bitcoin sind hingegen heute schon weltweit populär und auch das Free Banking, ein pluralistisches Geldsystem ohne Zentralbank, ist eine realistische Alternative: „Free Banking möchte das Geld und die Beeinflussung des Geldwertes den Sphären der Politik entziehen und vollständig in die Prozesse einer freien Marktwirtschaft eingliedern.“

Fazit

Die Autoren stoßen eine Debatte über den heutigen Sinn von Zentralbanken an, die sicherlich nicht mehrheitstauglich, aber überfällig ist. Schon die Anmaßung, die Titel des Buches mitschwingt – „Eine Welt ohne Geld“ –, mag für manche Kritiker wie Ketzerei klingen. Tatsächlich aber bieten die beiden Autoren einen ebenso fundierten wie unterhaltsamen Blick hinter die Kulissen der Geldwirtschaft – ohne Häme, Vorverurteilung oder Resignation. Kurzum – ihnen gelingt ein lebendig geschriebenes, kritisches Buch ohne Wissenschaftsschlaumeierei und moralischem Zeigefinger, lesenswert für Laien und Profis.