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Arbeit 4.0: Chancen statt Gefahren

Die Bundesregierung bereitet eine Neuordnung eines digitalisierten Arbeitsmarktes 4.0 vor. Die Gefahren, vor denen sie Berufstätige schützen will, sind allerdings nicht zu beobachten. Ein Blick in die Realität offenbart vor allem die Chancen.

Veränderungen, wie wir sie zurzeit durch die Digitalisierung erleben, bergen Chancen. Veränderungen können aber auch Ängste hervorrufen. Das erleben wir gerade in der Debatte, die das Bundesarbeitsministerium mit dem „Grünbuch Arbeiten 4.0“ angestoßen hat. Dieses Grünbuch soll Analysen und offenen Fragen zu den Entwicklungen und Handlungsfeldern in der Arbeitsgesellschaft der Zukunft auflisten, um sie in einem „Weißbuch Arbeiten 4.0“ mit konkreten Handlungsempfehlungen zusammenzufassen.

Mit dem Grünbuch hat das Ministerium einen Diskurs angestoßen, der sich häufig um Ängste dreht: Driftet der Arbeitsmarkt immer weiter auseinander, wird es immer mehr atypische Beschäftigungsverhältnisse am unteren Ende der Lohnskala geben? Werden Aufträge immer häufiger über Internetplattformen vergeben, wo der günstigste „Crowdworker“ den Zuschlag erhält?

Angstgetriebene Debatte ist nicht angebracht

Die Arbeitswelt steht vor einem fundamentalen Wandel, so der politische Tenor. Doch die empirische Evidenz spricht eine andere Sprache: Für einen dringenden Handlungsbedarf, wie ihn ein Weißbuch suggeriert, spricht beim Blick auf die heutige Arbeitswelt wenig.

So finden sich bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung massenhaft Jobs verlorengehen. Im Gegenteil liegt es nahe, dass Digitalisierung wie technischer Fortschritt den Wohlstand und damit auch die Arbeitsmarktchancen mehren, weil Ressourcen effektiver und effizienter eingesetzt werden können. Es ist allerdings zu erwarten, dass durch die Digitalisierung Höherqualifizierte am deutschen Arbeitsmarkt künftig noch deutlicher bevorzugt werden – ein Trend, der bereits in den vergangenen Dekaden zu beobachten war.

Drei Viertel der Berufstätigen in Deutschland sehen sich den künftigen Anforderungen ihrer beruflichen Zukunft aber gut gewachsen, wie eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) jetzt zeigte. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben gerade einmal neun Prozent. Mehr als jeder Zweite sieht eindeutige Vorteile in der Digitaliserung der Arbeitswelt, vor allem, weil viele Abläufe schneller werden.

Veränderungsfähigkeit als Chance

Vor diesem Hintergrund bedeutet die Arbeitswelt 4.0 eine große Chance für die Gesamtheit der Berufstätigen. Denn wer nicht durch Ängste gelähmt ist, ist meistens bereit und fähig zu Veränderungen – Faktoren, die darüber entscheiden, ob Beschäftigte und auch Unternehmen zu den Gewinnern oder Verlierern des digitalen Wandels zählen werden. Kompetenzen aktiv aufbauen, entwickelt und erhalten: Hierin liegt eine große Chance für Unternehmen, Beschäftigte und die Volkswirtschaft insgesamt.

Und wie steht es nun um die Entwicklung sogenannter atypischer Beschäftigung? Da die Volatilität im Zuge der Digitalisierung nicht geringer werden dürfte, werden befristete Beschäftigung und Zeitarbeit ihre Funktion als Instrument der betrieblichen Flexibilisierung nicht verlieren. Diese flexiblen Beschäftigungsinstrumente haben die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt schon begünstigt, als von Industrie 4.0 und umfassender Digitalisierung noch kaum die Rede war. Auch bei Teilzeitbeschäftigung, geringfügiger Beschäftigung und neuer Selbständigkeit spricht die empirische Evidenz gegen einen systematischen Zusammenhang mit einer zunehmenden Digitalisierung.

Wie wenig die Diskussion um Risiken durch die Digitalisierung des Arbeitsmarktes zur Realität passen, zeigt die Fremdvergabe von Aufträgen über Internetplattformen, das Crowdworking. Die Verbreitung von Solo-Selbständigkeit hat sich bislang kaum erhöht. Und die große Mehrheit der potenziellen Auftraggeber in der Informations- und Kommunikationswirtschaft haben ihre Auftragsvergabe noch nie über Crowdworking-Plattformen abgewickelt.

Reformvorschläge bedrohen den Arbeitsmarkt

Zu beobachten ist dagegen, dass digitale Technologien die Spielräume zur räumlichen und zeitlichen Flexibilisierung der Arbeit erweitern. Das entspricht dem Wunsch vieler Arbeitnehmer nach einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die viel diskutierte ständige Erreichbarkeit trifft auf die meisten Arbeitnehmer dagegen nicht zu: Nur wenige werden mehrmals die Woche nach Feierabend beruflich kontaktiert. Und nur wenige finden das sehr belastend.

Vor diesem Hintergrund ist es zu früh, über neue Gesetze und Verordnungen nachzudenken, um vermeintliche Gefahren der Digitalisierung abzuwenden. Die zurzeit diskutierten Reformvorschläge drohen, die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes einzuschränken. Gestaltungswille ist erst gefordert, wenn die Digitalisierung politisch und gesellschaftlich unerwünschte Folgen haben sollte. Das wird jedoch nicht über Nacht passieren. Die Politik verliert also auch in einer digitalisierten Wirtschaft nicht die Gestaltungsmacht über den ordnungspolitischen Rahmen auf dem Arbeitsmarkt und in der sozialen Sicherung.

Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen der IW-Studie “Arbeitswelt und Arbeitsmarktordnung der Zukunft” (Studie als PDF oder online lesen), die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstellt wurde.

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