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Gleichheit, nein danke!

Nur weil jemand ein höheres Einkommen als der andere hat, ist er längst noch nicht zufriedener. Harry G. Frankfurt räumt mit der ständigen Forderung vieler nach ökonomischer Gleichheit auf und zeigt, dass es akzeptabel sein kann, wenn wir eben nicht gleich viel haben. Ungleichheit ist für ihn moralisch nicht relevant. Einzig wichtig ist zu wissen, was für einen genug ist. Harry G. Frankfurt: Ungleichheit – warum wir nicht alle gleich viel haben müssen, Suhrkamp, Berlin 2016.

Frankfurt Ungleichheit„Bullshit“ entsteht, wenn Menschen die Gelegenheit erhalten oder dazu gezwungen werden, über Dinge zu sprechen, von denen sie nicht genug verstehen – das ist eine vielen provokanten Thesen, mit denen der US-Philosoph Harry G. Frankfurt vor elf  Jahren in seinem Bestseller „Bullshit“ in den USA für Furore sorgte. Und es ist auch eine These, an der er sich selbst messen lassen muss – so nun an seinem jetzt erschienenen Werk „Ungleichheit – warum wir nicht alle gleich viel haben müssen“, ein gebundenes Büchlein in Leuchtendrot und Postkartenformat, das ebenso wie „Bullshit“ anecken will. Die Kernaussage: Die Frage nach Ungleichheit in der Gesellschaft wird vollkommen überschätzt; sie ist aus moralischer Sicht überhaupt nicht entscheidend. Was wichtig ist: Gesellschaft und Politik sollten sich nicht so sehr darum kümmern, dem Ziel einer ökonomischen Gleichmacherei hinterher zu wetzen, sondern sie sollten lieber sicherzustellen, dass alle Menschen über hinreichende Mittel für ihr Leben verfügen.

Gerade in den USA versuchen die Bessergestellten großen Einfluss auf Wahl- oder Regulierungsprozesse zu nehmen. Die Konzentration von Reichtum zieht Konzentration von Macht nach sich – denn US-Wahlkämpfe sind unfassbar kostenintensiv. Das zwingt politische Parteien, Hilfe von großen Unternehmen oder sonstigen Superreichen anzunehmen. Diese Entwicklung ist nicht neu. Schon Adam Smith beschrieb sie 1776 in seinem berühmten Werk „Der Wohlstand der Nationen“: „Die Architekten der Politik in England sind die Menschen, die die Gesellschaft besitzen.“ Damals waren es Kaufleute und Fabrikbesitzer. Schon sie sorgten laut Smith dafür, dass vor allem ihre eigenen Interessen in der Politik Gehör fanden. Heute sind die Finanzinstitute und multinationalen Konzerne die „Herren der Welt“ – wie Smith sie nannte: „Alles für uns und nichts für die anderen“, lautete schon damals ihre Maxime. Diese Prozesse sollten endlich, meint Frankfurt, durch eine Gesetzgebung und durch Maßnahmen abgefangen werden, die die politischen Prozesse vor Vorzerrung und Missbrauch schützen. Wohl nur ein frommer Wunsch.

Entscheidend ist, dass jeder genug zum Leben hat
Dennoch – in einem ist sich der emeritierter Professor für Philosophie an der Princeton University jedenfalls ganz sicher: Gleichheit ist einfach nicht erstrebenswert. „Der grundlegende Fehler des ökonomischen Egalitarismus besteht in der Annahme, es sei moralisch von Bedeutung, ob einer weniger hat als ein anderer, unabhängig davon, wie viel jeder von beiden hat, und unabhängig davon, welchen Nutzen jeder aus dem ziehen kann, was er hat.“ Diesem Irrglauben gehe die falsche Annahme voraus, dass jemand, der über ein geringes Einkommen verfügt, mehr wesentliche unbefriedigende Wünsche habe als jemand Bessergestelltes. „Es ist nicht wichtig, dass jeder dasselbe hat. Wenn jedermann genügend Geld hätte, würde es niemanden besonders interessieren, ob manche Leute mehr Geld hätten als andere.“

Die Alternative zum Egalitarismus nennt Frankfurt „Doctrine of Sufficiciency“ – das Suffizienz-Prinzip. Es meint: In Sachen Geld ist moralisch nur von Bedeutung, dass jeder genug davon hat. Der ständige (Vermögens-)Vergleich der Menschen mit anderen und die damit einhergehenden Gefühle von Unglück, Unzufriedenheit, Hochmut, Stolz oder auch Neid seien zwar verständliche Emotionen, als moralische Argumente aber vollkommen unbrauchbar. Was für Frankfurt zählt ist: die Bekämpfung von Armut. „Unser grundsätzliches Augenmerk sollte darauf liegen, sowohl die Armut als auch den exzessiven Reichtum abzubauen“, schreibt der Autor. Dieser Prozess mag zwar mit einer Verringerung der Ungleichheit einhergehen. Doch sie selbst ist nicht das Ziel. Armutsbekämpfung ist Menschenpflicht. Denn Armut beschädigt die Menschenwürde. Für Frankfurt geht es darum, eine Gesellschaft zu reparieren, in der viele viel zu wenig und wenig viel zu viel besitzen.

Gerechtigkeit wichtiger als Ungleichheit
Seine Suffizienz-Ratschläge: Jeder möge wieder erkennen und lernen, „wie sehr sein Lebensweg seinen individuellen Fähigkeiten entspricht, seine besonderen Bedürfnisse befriedigt, seine besten Potentiale zur Entfaltung bringt und ihm das bietet, was ihm wichtig ist“. Das ist sicher gut gemeint, doch wohl so schwer zu befolgen wie Regeln zum Weg der Erleuchtung. Vermutlich geht es Frankfurt auch eher um die Haltung als um die Realisierung. Sein Buchbeitrag ist Teil einer Debatte, die gerade in den USA unter Philosophen, Soziologen und Ökonomen stark diskutiert wird. Die Ursache der Ungleichheit wird von den meisten Kritikern vor allem im extremen Reichtum einer winzigen Bevölkerungsgruppe gesehen – einem Bruchteil also von einem Prozent der US-Gesellschaft. Schon manches Mal gab es in den USA Zeiten – wie der Aufschwung samt Börsencrash in den 20er Jahren oder die wilden 90er Jahre –, in denen sich ähnliche wirtschaftliche Achterbahnentwicklungen abbildeten wie die seit 2008. „Doch die heutige Zeit ist extrem. Denn betrachtet man die Vermögensverteilung kommt die Ungleichheit in der Hauptsache von den Superreichen“, meint Noam Chomsky, einer der wichtigsten US-Intellektuellen und Vordenker weltweit.

In Deutschland sind sich die Menschen Umfragen zufolge durchaus darüber im Klaren, dass Gleichheit kein anzustrebender Wert ist – gerade in ökonomischer Hinsicht. „Wer viel leistet, soll auch überdurchschnittlich gut verdienen“, heißt ein Umfrageergebnis des Allensbacher Instituts für Demoskopie – ein Credo, das quer durch alle Schichten geht. Herauszufinden, „was wirklich von grundlegendem moralischem und sozialem Wert ist“, wie Frankfurt fordert, braucht zuweilen ein ganzes Leben. Entscheidend in deutschen Debatten ist auch weniger die Frage nach Gleichheit und Ungleichheit, sondern vielmehr die nach Gerechtigkeit. „Fast jeder akzeptiert gesellschaftliche Unterschiede“, meint der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, „aber sie müssen gerechtfertigt sein.“ Und so bestätigt letztlich auch Frankfurt: „Bloße Unterschiede in der Menge an Geld, über die Menschen jeweils verfügen, sind an sich nichts Besorgniserregendes.“ Was viele anstößig finden, ist nicht, dass einige weniger Geld haben als andere. Frankfurt: „Es ist der Umstand, dass die, die weniger haben, zu wenig haben.“

Fazit
Für jeden Gleichheits- und Gerechtigkeitstheoretiker muss es eine Provokation sein, dass Frankfurt auf 100 kleinen Seiten, ganze Theoreme der Wissenschaft auszubremsen versucht. Dennoch sind seine Überlegungen, die Debatten über Ungleichheit zugunsten einer Theorie der Zufriedenheit zu stärken, einleuchtend, heben sich ab von irrelevanten Sozialneid-Diskursen und führen jeden Leser tatsächlich einmal dahin, über das wahre Notwendige in seinem Leben nachzudenken. Kein Bullshit! Guter Lesestoff!

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