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Warum Selbstständige nicht (zwingend) in die gesetzliche Rente gehören

Eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung für selbständig Erwerbstätige stößt mehr Fragen an, als dass sie Lösungen bietet. Deshalb ist der Gesetzgeber gut beraten, das Thema mit Vorsicht zu gestalten.

In der aktuellen Debatte zur Weiterentwicklung der Alterssicherung spielt auch eine Versicherungspflicht für Selbständige in der gesetzlichen Rentenversicherung eine prominente Rolle. Begründet wird diese Forderung mit der Ungleichbehandlung von selbstständig Erwerbstätigen und abhängig Beschäftigten sowie einer drohenden Freifahrerproblematik beziehungsweise der Fürsorgepflicht des Staates. In mancher Wortmeldung schwingt auch die Hoffnung mit, über neue Beitragszahler zusätzliche Finanzierungsquellen für die gesetzliche Rentenversicherung erschließen zu können. Der „Missstand“ ist offenkundig, allein die Lösung ist alles andere als trivial.

Grundsätzlich bietet die Ökonomie keine Rechtfertigung für eine nach dem Erwerbsstatus differenzierte Organisation der Alterssicherung. Auf der grünen Wiese würde das Votum deshalb immer für eine bevölkerungsumfassende Erwerbstätigenversicherung ausfallen. Die graue Realität historisch gewachsener Systeme erfordert aber eine differenziertere Beurteilung.

So erfordert ein Systemwechsel einen langen Atem, wenn man den heutigen Erwerbstätigen Vertrauensschutz gewähren will und deshalb ein einheitliches System nur für jene einführt, die ab einem Stichtag erstmals erwerbstätig werden. Probleme lassen sich so allerdings nicht kurzfristig lösen.

Wollte man stattdessen ad hoc einen Großteil der Selbstständigen in das gesetzliche Umlageverfahren einbeziehen, winken zwar zunächst höhere Beitragseinnahmen. So könnten entweder zusätzliche Rentenleistungen finanziert werden oder der Beitragssatz sinken. Davon würden aber ausgerechnet die aktuellen Rentner beziehungswiese die Beitragszahler der geburtenstarken Jahrgänge profitieren, die die Finanzierungslasten ohnehin auf viele Schultern verteilen können. Die Mitglieder der jüngeren und nachrückenden Kohorten müssen dagegen mit steigenden Beitragslasten rechnen, zumal dann auch die Anwartschaften der selbstständig Erwerbstätigen im gesetzlichen System finanziert werden müssen. Wer also hofft, zusätzliche Finanzierungsspielräume für eine großzügige Rentenpolitik erschließen zu können, der tut dies unweigerlich auf Kosten nachfolgender Generationen.

Gleichwohl bleibt die Sorge, dass sich Selbständige – zumindest sofern sie nicht ohnehin in berufsständischen Versorgungswerken pflichtversichert sind – der Last einer eigenverantwortlichen Vorsorge entziehen könnten. Allerdings gibt es bislang keine empirische Evidenz dafür, dass Unternehmer und Freiberufler sich bewusst auf die steuerfinanzierte Grundsicherung im Alter verlassen und auf eigene Vorsorgeanstrengungen zugunsten eines höheren Konsums in der Gegenwart verzichten.

Hat der Staat aber nicht umgekehrt eine Fürsorgepflicht, leistungsfähige Menschen zumindest vor einer Fehleinschätzung künftiger Bedürfnisse zu schützen und sie zu ausreichender Vorsorge anzuhalten? Wenn dem so wäre, dann schließen sich zwei Fragen an: in welchem Umfang und in welcher Form?

Die Vorsorgepflicht Selbstständiger könnte an die Höhe eines zu erwartenden Grundsicherungsanspruchs im Alter gekoppelt werden, insbesondere um die Beitrags- und Steuerzahler vor möglichem Freifahrerverhalten zu schützen. Innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung wäre dies aber eine systemfremde Begründung, weil die beitragsbezogene Rente kein Mindestsicherungsniveau garantieren kann. Außerdem wirft das die Frage auf, warum abhängig Versicherte Pflichtbeiträge zahlen müssen, die absehbar zu einer gesetzlichen Anwartschaft oberhalb der Grundsicherungsschwelle führen.

Alternativ könnte man deshalb selbständig Erwerbstätige dem geltenden Beitragsrecht unterwerfen. Das wirft aber nicht nur praktische Fragen nach der Beitragsbemessungsgrundlage auf. Es drohen auch ökonomische Konsequenzen. Denn gerade für Start-ups und Selbstständige mit geringen Einkommen kann eine Beitragsbelastung von derzeit 18,7 Prozent zu einer Nettoeinkommenseinbuße führen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit nicht länger lohnend erscheinen lässt. Verlieren würde dann aber die Gesellschaft, weil wertschöpfende Tätigkeiten unterbleiben und im Extremfall zusätzliche Sozialleistungen beansprucht werden.

Ein gangbarer Kompromiss wäre stattdessen eine Versicherungspflicht mit einem Wahlrecht zugunsten einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wer nicht in das Umlagesystem zu den dort geltenden Bedingungen optiert und im steuerlichen Sinne leistungsfähig ist, für den wird eine private Vorsorge auf Rentenbasis verpflichtend. Die nachgelagerte Besteuerung der Alterseinkommen bietet die passende Förderkulisse. Offen bleibt allerdings die Definition des Mindestsicherungsumfangs. Der wichtigste Vorteil der Optionslösung: Privat Versicherte können die Beitragshöhe eigenverantwortlich bestimmen und ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten anpassen. Dies mag für Start-up-Unternehmer mit geringen Umsätzen und Gewinnen ebenso wichtig sein wie für Unternehmer in vorübergehend unruhigem Fahrwasser. Sind die schwierigen Phasen überwunden, kann auch mehr fürs Alter zurückgelegt werden – die Anrechenbarkeit von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Einkommensbesteuerung bietet den passenden Anreiz.

Unter dem Strich bleibt es damit zwar bei einer Ungleichbehandlung je nach Erwerbsstatus. Zumindest ist aber die Gefahr des Freifahrerverhaltens gebannt und dem Fürsorgemotiv Genüge getan, ohne größeren Schaden zu provozieren.

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