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Eine Kurzanleitung in die digitale Zukunft

Ob Deutschland tatsächlich die Digitalisierung verschlafen hat, wie der stets vollmundige Christoph Keese posaunt, bleibt abzuwarten. Dass die Letzten durchaus auch die Ersten werden können, scheint jedenfalls das vorliegende Buch nicht auszuschließen. Welche Chancen der Digitalisierung in Wirtschaft, Verwaltung und Politik auf uns warten, bringen die Autoren des „Wirtschaftswunder 4.0“ kurz, treffend und nicht ganz selbstlos auf den Punkt. Alexander Bode, Martin Pätzold (Hg.): Wirtschaftswunder 4.0 – wie Unternehmen und Politik den Weg ins digitale Zeitalter meistern, Herder Verlag, Freiburg 2016

Alexander Bode, Martin Pätzhold (Hg.): Wirtschaftswunder 4.0 – wie Unternehmen und Politik den Weg ins digitale Zeitalter meistern, Herder Verlag, Freiburg 2016Wenn sich eine renommierte Unternehmensberatung mit 16 mehr oder minder einflussreichen Experten aus der Wirtschaft und dem Bundestag zusammenschließt, um ein Buch über das mittlerweile überall ins Kraut schießende Thema „Digitalisierung“ zu schreiben, kann man im Grunde nichts anderes als blanke Werbung für das eigene Portfolio erwarten. Auch in diesem Fall ist es wohl so. Und wieder auch gar nicht. Denn wenn einigermaßen gescheite Leute sich bemühen, Gedanken zu Papier zu bringen, bleibt beim Leser meist irgendetwas hängen – und wenn es der Eindruck ist, dass Deutschland zwar nicht, wie Axel-Springers-Zukunftsideologe  Christoph Keese meint, die Digitalisierung verschlafen hat, dass aber die Bundesrepublik zumindest auf dem Weg ins digitale Glück noch in den Startlöchern sitzt – mit gespannten Muskeln. Tatsächlich ist das Büchlein der beiden Herausgeber Alexander Bode und Martin Pätzold mit dem etwas zu opulenten Titel „Wirtschaftswunder 4.0 – wie Unternehmen und Politik den Weg ins digitale Zeitalter meistern“ ein schöner, kleiner (auf rund 150 Seiten) handlicher Abriss der Problemzonen der deutschen Digitalisierung.

Das Thema ist natürlich kein neues. Allein die Anzahl der Geräte, die Digitalisierung möglich machen, verdeutlicht, dass der digitale Wandel bereits seit fünf bis zehn Jahren ziemlich akut ist. Seit 2008 gibt es mehr miteinander verbundene Maschinen und Geräte als Menschen auf der Erde. Dem Statistischen Bundesamt zufolge werden es 2020 bereits 50 Milliarden Geräte sein. 2015 entsprach das tägliche generierte Datenvolumen etwa zehn Millionen Blu-ray Discs. Aufeinandergestapelt hätten die Datenträger die Höhe von vier Eiffeltürmen, hat die WirtschaftsWoche ausgerechnet. Der digitale Wandel betrifft also alle Bereiche des täglichen Lebens – und so spannt auch das Buch einen Bogen von der Digitalisierung des Mittelstands, der Industrie und ihrer Geschäftsmodelle, über die alltäglichen Arbeitsabläufe und digitales Lernen bis zu Optimierung von Verwaltung (e-Akte), politischer Handlungsfähigkeit (e-Government) und  Gesundheitswesen (eHealth) und schließlich zu den Chancen der Gründer-Szene.

Programmieren als Grundschulfach

Für die Autoren steht fest: Wenn die Digitalisierung glücken soll, ist ein kultureller Wandel nötig. So gehören digitales Lernen und digitale Skills so schnell wie möglich in die Lehrpläne –am besten ab der ersten Klasse. Und auch die Lehrerausbildung braucht dringend mehr Module zum Erwerb digitaler Kompetenz. Ebenso ist die Arbeitswelt noch stärker auf das „Leitmotiv“ namens „Lebenslanges Lernen“ angewiesen. Als Vorbild nennen die Autoren Estland. Dort lernen die Schüler von der ersten Grundschulklasse an programmieren.

Bis in Deutschland dann tatsächlich mal eine solche Generation von Digital Natives ans Ruder kommt, wird es dauern. Und erst dann könnte es gelingen, den digitalen Staat flott zu machen, und auch die Bürokratie endlich besser ins Netz zu heben. Ein flächendeckendes e-Government gibt es in Deutschland zum Kummer der Autoren bis heute nicht. Ihrer Meinung nach braucht der digitale Staat vor allem eine starke Governance für e-Government –ausgehend vom Kanzleramt – und endlich mehr IT-Expertise in der Politik. Die Idee von einer effizienteren Arbeitsweise in der Verwaltung und in der Politikgestaltung durch Digitalisierung bleibt also vorerst ein Traum.

Da ist die Industrie weiter: Viele Unternehmen haben die Vorteile der modernen Technologien inzwischen erkannt und bieten zwischen „Innovations- und Optimierungsansätzen“ neue Produkte und Dienstleistungen an. Dass dabei klassische und lineare Geschäftsmodelle immer stärker von disruptiven Innovationen abgelöst werden (zum Beispiel in der Energie- und Autobranche), ist sowohl eine Gefahr als auch eine Chance für alle Marktbeteiligten – vor allem für die kleinen (Start-ups) und mittelständischen Player.

Dass zu guter Letzt auch das Gesundheitswesen von der Digitalisierung profitieren kann, steht außer Frage. Gerade die medizinische Versorgung ländlicher Regionen kann durch eHealth-Systeme (zum Beispiel Online-Sprechstunden und -Diagnosen) stabilisiert werden. Ob es aber wirklich eine „erfreuliche Nachricht“ ist, dass Menschen durch die Analyse von Gesundheitsdaten und die damit verbundene „vorausschauende Vorsorge“ zukünftig länger leben, bleibt abzuwarten. Die Qualität eines Lebens hängt definitiv nicht mit seiner Länge zusammen.

Fazit: Wer einen schnellen Überblick und Einblick in die Möglichkeiten der digitalen Veränderungen in Wirtschaft und Politik sucht, findet mit diesem Buch die richtige Lektüre.

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