OrdnungspolitikTagged , ,

Was zu tun bleibt: Welche Liberalisierungspotenziale in der Dienstleistung stecken

Es ist unbestritten, dass die Verbraucher von der Deregulierung und Liberalisierung beispielsweise des Telekommunikations- und des Strommarkts profitiert haben. Doch auf diesen Lorbeeren sollte sich Deutschland nicht ausruhen, sondern das Erfolgsrezept auch auf die freie Berufe übertragen. - Dieser Post bildet den Abschluss unserer Liberalisierungsserie (alle Folgen).

Sendungsverfolgung und günstiger Paketversand via Hermes, Cent-Beträge für Ferngespräche rund um den Globus und Flatrates fürs Smartphone, für 30 Euro nach Rom fliegen und für zehn Euro im Bus von Berlin nach Hamburg reisen, die freie Wahl des (Öko-)Stromanbieters – die Liste ließe sich fast beliebig verlängern. Ohne die vielgeschmähte Liberalisierung müssten die Bundesbürger auf viele Annehmlichkeiten verzichten, die uns heute so selbstverständlich erscheinen.

Die Öffnung des Post- und Telekommunikationsmarkts, des Strommarkts sowie des Luft- und Fernbusverkehrs hat den technischen Fortschritt beflügelt und die Preise gesenkt – profitiert haben davon vor allem die Kunden. Aber nicht nur: Die Liberalisierung hat auch neue Geschäftsfelder geschaffen – und damit zahlreiche neue Arbeitsplätze.

Doch was folgt daraus? Lässt sich das Erfolgsmodell übertragen oder sind sämtliche Wachstumschancen auf dem Gebiet der Liberalisierung ausgeschöpft?

Zumindest einen wunden Punkt hat die deutsche Wirtschaft noch, darauf weist auch die OECD immer wieder hin: Der Dienstleistungssektor schwächelt. Während die Arbeitsproduktivität in der Industrie von 2000 bis 2011 im Jahresschnitt um 2,6 Prozent stiegen, verbesserte sich der Dienstleistungsbereich gerade einmal um knapp ein Prozent pro Jahr. Als eine wesentliche Ursache für diese geringe Dynamik gilt die starke Regulierung der sogenannten freien Berufe, die rund zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuern – und damit ein Siebtel des gesamten Dienstleistungssektors ausmachen.

Die freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.

Auf diese für Laien nicht sonderlich griffige, aber allgemein anerkannte Art und Weise definiert der Bundesverband der Freien Berufe, was Freiberufler ausmacht. Ihre wesentlichen Kennzeichen sind die Selbstständigkeit sowie die zur Berufsausübung nötige wissenschaftliche oder künstlerische Vorbildung. Zu den Freiberuflern zählen unter anderem Ärzte, Anwälte, Apotheker und Architekten. Und schon diese Auflistung lässt ahnen, worin das Liberalisierungs- und Deregulierungspotenzial der freien Berufe bestehen könnte.

Beispiel Rechtsanwälte

Wer in Deutschland als Rechtsberater tätig sein darf, ist im „Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen“ geregelt, das im Jahr 2008 in Kraft trat. Es gilt als Fortschritt gegenüber seinem Vorläufer, dem Rechtsberatungsgesetz, weil es in bestimmten Bereichen Rechtsdienstleistungen immerhin als zusätzlichen Service von unregistrierten Anbietern zulässt, so etwa in der Haus- und Wohnungsverwaltung und der Fördermittelberatung. In anderen Bereichen wie der Rentenberatung oder der Inkassotätigkeit ist eine Registrierung als Rechtsberater allerdings unumgänglich. Eine Berufsgruppe, die ohne Wenn und Aber auch außergerichtliche Rechtsberatung anbieten darf, ist die der Rechtsanwälte – und sie genießt dadurch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Das Motiv dieser Regulierung ist durchaus lauter: Es geht um den Verbraucherschutz. Doch der ist eben nicht zum Nulltarif zu haben; Rechtsberatung ist auch deswegen so teuer, weil die Klienten viel zu selten die Wahl haben, auf ein günstigeres Angebot auszuweichen.

Was die anwaltliche Rechtsberatung kostet, ist im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz festgelegt. Zwar dürfen Rechtsanwälte die festgelegten Sätze in außergerichtlichen Angelegenheit unterschreiten, doch wo wenig Konkurrenz herrscht, besteht dazu kaum Anlass.

Um frischen Wind in den Markt der Rechtsberatung zu bringen, empfiehlt die OECD, für bestimmte Tätigkeiten Pauschalvergütungen zuzulassen, den Einsatz von Erfolgshonoraren auszudehnen und Rechtsanwälten mehr Werbung zu ermöglichen.

Beispiel Notare

Rechtsanwälte mit dreijähriger Berufserfahrung und Bestleistung in der notariellen Fachprüfung können von der Justizverwaltung zum Notar ernannt werden – und erhalten damit quasi die Lizenz zum Gelddrucken. Denn bestimmte Aufgabe dürfen ausschließlich von Notaren wahrgenommen werden. Dazu zählen die Beurkundung von Dokumenten, Einträge ins Handelsregister sowie Grundbucheinträge und die Ausarbeitung von Grundstückskaufverträgen. Die beiden letztgenannten Punkte sind auch ein Grund dafür, dass Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen oft am Traum vom Eigenheim scheitern; denn Kaufnebenkosten wie die Notarkosten tragen nicht zum Vermögensaufbau bei, sind also verloren.

Dass eine Öffnung der notariellen Dienstleistungen für andere qualifizierte Berufsgruppen wie Rechtsanwälte möglich ist, zeigt zum Beispiel schon seit 1985 das Vereinigte Königreich mit seinen „Licensed Conveyancers“. Diese spezialisierten Anwälte müssen nicht ganz so hochqualifiziert sein wie Notare und dürfen alle Rechtsdienstleistungen rund um Grundstücksgeschäfte anbieten. Die Preise für solche Leistungen sind dadurch stark gesunken.

Die Notarkosten zu verringern ist auch den Niederländern gelungen: Sie haben die Gebührenordnung 1999 gleich ganz abgeschafft. Die Gebühren für Grundstückskäufe sind daraufhin um 30 bis 40 Prozent gefallen.

Beispiel Architekten und Ingenieure

Das Problem heißt HOAI. Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure legt Mindest- und Höchstsätze für die Tätigkeit der Fachleute am Bau fest – und sie hat vor allem privaten Bauherren schon so manches böses Erwachen beim Anblick der Abrechnung beschert.

Begründet wird die Notwendigkeit der HOAI stets mit der Qualitätssicherung; eine Freigabe der Honorare würde zu einem reinen Preiswettbewerb anstelle eines Qualitätswettbewerbs führen. Doch der existiert auch heute allenfalls im gewerblichen Umfeld, weil es für Laien eben nur sehr schwer einzuschätzen ist, welche Architekten gute Leistungen erbringen. Stattdessen passiert manchmal sogar das Umgekehrte: Wegen des garantierten Einkommens – die Honorare können eingeklagt werden – fällt das Engagement beauftragter Architekten oder Bauingenieure mitunter bescheiden aus.

Dieser Befund rüttelt jedoch nicht daran, dass auf dem Bau aus Sicherheitsgründen hohe Standards eingehalten werden müssen. Doch diese lassen sich auch ohne Honorarordnung sicherstellen, ist der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap überzeugt: Er empfiehlt beispielsweise gesetzlich verankerte Bildungs- und Abschlussvoraussetzungen für freiberufliche Architekten und Ingenieure, außerdem gäben auch das Baurecht und das Verbraucherschutzrecht eine Handhabe.

Klar ist, dass eine gewisse Regulierung in den sensiblen Bereichen, in denen Freiberufler tätig sind, oft sinnvoll ist. Viele Vorschriften schießen jedoch weit über das Ziel hinaus, sind zu strikt und zu kompliziert – und halten dadurch neue Anbieter mit innovativen Geschäftsideen vom Markt fern. Ansatzpunkte für eine Deregulierung bieten der Berufszugang und/oder die gesetzlich festgelegten Preise. Gerade im hochqualifizierten Bereich der freien Berufe liegen noch Wachstums- und Arbeitsmarktchancen für Deutschland – und der Verbraucher dankt’s.

Hier finden Sie alle Posts der Serie “Erfolge der Liberalisierung”.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, abonnieren Sie unseren RSS-Feed oder unseren Newsletter.