Buchkritik, OrdnungspolitikTagged

„Das Buch gibt einen guten Überblick über das Spektrum des Liberalismus“

Ist der Liberalismus in Deutschland aus der Mode gekommen? Grundsätzlich nicht, lautet der Tenor dieses Buches. Doch je nachdem, was man unter Liberalismus versteht, ist zu beobachten: Die Wertschätzung und Wahrnehmung zweier uralter liberaler Wert, der Freiheit und der freien Wirtschaft, haben sich in der Bevölkerung vollkommen unterschiedlich entwickelt. Und: Politik und Gesellschaft müssen erkennen, dass die Vorzüge gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Freiheit immer wieder neu erklärt und gegen linke und rechte Extreme verteidigt werden müssen. Herbert Hirschler (HG): Noch eine Chance für den Liberalismus? Freiheitliche Perspektiven, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt Main 2016

Die Schwierigkeit fängt schon bei der Definition an: Was ist liberal? Und wenn liberal zunächst einmal „großzügig“, „tolerant“ und „weltoffen“ bedeutet – wer will das nicht sein? Eine politische Verortung des Liberalismus ist also nicht so leicht. Allensbach-Forscher Thomas Petersen bescheinigt heute vielen Mitgliedern der schwarzen, grünen und roten Politik in Deutschland durchaus liberale Tendenzen, und kommt dann automatisch zur Frage: Wie sieht dann eigentlich die Zukunft der liberalen Partei, die seit 2013 nicht mehr im Bundestag vertreten ist, aus? Die Antwort: Eine liberale und bis 2013 vor allem wirtschaftsorientierte Partei muss sich in der Bundesrepublik breiter in ihren Themen aufstellen als bisher. Denn obwohl das Grundklima für den Liberalismus in den vergangenen Jahren nicht ungünstiger geworden ist, hat sich die Wahrnehmung, was liberale Inhalte sein können, verschoben: „Während die Freiheit allgemein für die Deutschen große Bedeutung hat, hat sich gleichzeitig das Bild der freien Wirtschaft bei den Menschen verdunkelt“, schreibt Petersen in seinem Essay über politischen Liberalismus.

Sein Beitrag ist einer von zwölf Vorträgen, die nun in dem Sammelband „Noch eine Chance für den Liberalismus – freiheitliche Perspektiven“ im Auftrag der Karl-Hermann-Flach-Stiftung erschienen sind. In dieser Vortragsreihe gehen prominente Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Publizistik (darunter Andreas Rödder, Rainer Hank, Karl-Heinz Paqué, Roland Koch sowie Wolfgang Gerhardt) der Frage nach, welchen Stellenwert der Liberalismus in Deutschland hat und welche Chancen er bietet. Die kurze Antwort: Der Liberalismus ist noch lange nicht verloren. Er bietet sogar Chancen auf eine gerechtere Gesellschaft. Aber gerade in Zeiten des anschwellenden Populismus von links und rechts müssen Politik und Gesellschaft neu lernen. Petersen: „Wer die freiheitlichen Prinzipien jedweder Art verteidigen will, muss diese auch in der freiheitlichsten Gesellschaft immer wieder verteidigen, erklären und stets geduldig erläutern.“

Liberalismus fordert heraus, ärgert und belehrt

Auf knapp 200 Seiten arbeiten die Referenten die unterschiedlichsten Aspekte ab: Andreas Rödder wünscht sich, dass es dem modernen Liberalismus gelingen möge, die „Grundsätze von Toleranz und Offenheit ebenso wie die Chancengerechtigkeit und Selbstverantwortung neu zu beleben und sich in der Auseinandersetzung mit dem Mainstream zu profilieren“. Rainer Hank erklärt, warum auch „die Linke lernen sollte, den Liberalismus zu lieben“. Der Liberalismus könne letztlich das linke Ziel einer gerechten Gesellschaft viel besser einlösen als die Linke selbst. Roland Koch fordert dazu auf, zukünftig wieder mehr über die Fragen eines Verfassungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftsliberalismus zu sprechen. Für ihn bleibt der Liberalismus eine politische Kraft, die zwar „andere herausfordert, ärgert, belehrt“, die aber auch immer das Ziel hat, eine Gesellschaft wirklich zu gestalten.

Für Karl-Heinz Paqué steht der Liberalismus für die Dynamik, „die eine moderne Gesellschaft auszeichnet und die nichts zu tun hat mit irgendeinem kruden quantitativen Wachstum“. Für ihn geht es um Qualität und um Nachhaltigkeit im weitesten Sinn: „Wir dürfen nicht von der Substanz leben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Innovationskraft erhalten und gestärkt wird.“ Ursula Weidenfeld wirbt für einen selbstbewussten Umgang mit den ursprünglichen Werten des Liberalismus und hofft, dass „der Liberalismus seine politische Haltung zum Fortschritt wiederfindet“. Für einen Liberalen wie Wolfgang Gerhardt ist „Liberalismus eine Haltung“ – und zwar für eine offene Gesellschaft mit selbstbestimmter Lebensform, verbunden mit der Bereitschaft zum Lernen, mit Wertorientierung und individueller Mühe.

Der Liberalismus ist aber vor allem eine Haltung, die Selbstbewusstsein verlangt. So hat es schon Theodor Heuss gesehen. Sein Mantra: „Wir wollen bei uns die Menschen sammeln, die nicht etwas werden wollen, sondern die etwas sein wollen, nämlich sie selbst. Menschen eigenen Wuchses und eigener Verantwortung.“

Fazit:

In einer Zeit, in der das Profil der bürgerlichen Parteien auch durch den populistischen Druck von extrem links und extrem rechts zunehmend verschwimmt, kommt die Frage, was denn liberale Werte überhaupt noch sind und wozu sie nutzen, gerade recht. Das Buch weiß Antworten und gibt einen guten Überblick über das Spektrum des Liberalismus.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter, und abonnieren Sie unseren WhatsApp-Nachrichtenkanal, RSS-Feed oder unseren Newsletter.