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Wie grün ist die Freiheit?

Liberalität und die Grünen, passt das zusammen? Thilo Spahl über Ralf Fücks´ neues Buch.

Das aktuelle Buch von Ralf Fücks, dem Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, ist ein lesenswerter Beitrag zur Debatte, wohin sich unsere Gesellschaft entwickeln soll. Es ist ein Bekenntnis zum Universalismus, zur Moderne, zum westlichen Modell von Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie und gegen autoritäre Tendenzen von außen und im Innern. Nicht zuletzt auch innerhalb Fücks‘ eigener Partei.

Fücks beruft sich ausdrücklich auf Karl Popper. Schon im Titel bezieht er sich auf dessen Klassiker von 1945 „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ und beginnt das Buch mit einem Popper-Zitat, in dem dieser fordert: „Wir müssen ins Unbekannte, ins Ungewisse und ins Unsichere weiterschreiten.“

Wie sein letztes Buch, das die um sich greifende Wachstumsskepsis kritisierte, ist auch das aktuelle ein Versuch, die Grünen, als einer deren Vordenker Fücks häufig bezeichnet wird, auf einen besseren Weg zu bringen und vor dem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit zu retten. Denn auch das Thema „Freiheit“ ist ein schwieriges für die Partei, in der Regulierungsfreude, Vorsorgeprinzip und Selbstzufriedenheit das Weiterschreiten ins Unbekannte, Ungewisse und Unsichere nicht gerade befördern.

Natürlich sieht Fücks die größten Feinde der Freiheit nicht in der eigenen Partei, sondern er wendet sich in erster Linie gegen die üblichen Verdächtigen: AfD, Trump, Le Pen, Putin, Erdogan, Islamisten, die Neue Rechte, die „antiliberale Querfront“ usw. Er macht aber immer wieder deutlich, dass er autoritäre Tendenzen auch bei den Grünen sieht.

Liberalismus und die Grünen

Fücks geht es auch um die Zukunft des Liberalismus. Er beklagt die Entkernung desselben und den Zustand der FDP und plädiert für die Wiederentdeckung des deutschen Ordoliberalismus um Walter Eucken mit einer „doppelten Machtbegrenzung von Staat und Markt“. 

Die Grünen sollten seiner Auffassung nach die „liberale Leerstelle“ in Deutschland füllen. Misstrauen gegen Märkte und Unternehmertum solle durch einen „grünen Ordoliberalismus“ überwunden werden.

Selbst vor dem US-amerikanisch geprägten Begriff „libertär“ schreckt er nicht zurück, wenn er schreibt, es gehe um die Entscheidung zwischen „libertärer oder autoritärer Ausdeutung grüner Politik“.

Fücks hat aber gute Gründe, daran zu zweifeln, dass das gelingen kann. Denn das liberale Element in der grünen Wirtschafts- und Sozialpolitik müsse man „mit der Lupe suchen“, und was eine freiheitliche Grundhaltung für die Klima- und Umweltpolitik bedeute, sei kaum andiskutiert. Doch genau hier entscheide sich, ob die Grünen zu einer „ökoliberalen Kraft“ werden oder weiter „einem autoritären Paternalismus huldigen“. Den grünen Phantasien von einer ökologischen Weltregierung stellt er Poppers Idee der „Stückwerktechnologie“ („piecemeal engineering“) gegenüber. Popper meinte damit den Kampf gegen konkrete soziale Missstände (Fücks hat sicher auch ökologische im Sinn) im Gegensatz zu dem stets in die Diktatur führenden Versuch, eine ideale Gesellschaft hervorzubringen („utopian engineering“).

Bionade-Bourgeoisie

Auch ein weiteres Problem der Grünen benennt der Autor, nämlich dass ihre Reichweite „auf das postmaterialistische Milieu der modernen Mittelschichten begrenzt“ ist. Mit anderen Worten: Sie sind zur Partei der Besserverdienenden geworden, die gerne Verzicht predigen, aber nie den eigenen Konsum meinen, sondern immer den falschen der anderen. Die sich über einen politisch korrekten Lebensstil definieren („Bionade-Bourgeoisie“), sich durch diesen vom gemeinen Volk abheben und sich diesem gegenüber als erziehungsberechtigt sehen. Fücks erkennt, dass zumindest ein Teil des Problems des zunehmenden Populismus in der wachsenden „Kluft zwischen einem selbstbezüglichen Elitendiskurs und der Alltagsrealität derjenigen“ liegt, „die sich in der schönen neuen Welt der Globalisierung, der multikulturellen Gesellschaft, des Gendermainstreaming und der Homo-Ehe nicht wiederfinden.“ Für die USA konstatiert er, dass die „postmoderne Linke jeden Bezug zu den Sorgen und Anliegen der Arbeiterklasse verloren“ hat.

Ob ihm bewusst ist, in welchem Maße ein grüner Lifestyle-Elitismus, der die realen Probleme nicht lösen kann und sich mit virtue signalling – also der Zurschaustellung als „progressiv“ empfundener moralischer Werte – begnügt, an der aktuellen Revolte gegen das Establishment schuld ist, ist schwer zu sagen. Der aktuelle Populismus hat nur eine sehr schmale ideologische Basis. Er ist mehr Symptom und Reaktion als eigenständige Kraft. In den Populismus fließt nationalistisches, rassistisches und anderes reaktionäres Gedankengut ein, er nährt sich in der Breite, aber wesentlich aus dem Widerstand gegen die von den Grünen mitgeprägte Elite, gegen Distinktionsgebaren, Identitätspolitik, Lifestyle-Polizei, Volkserziehung. Was David Goodhart in seinem gerade erschienenen Buch „The Road To Somewhere“ vor dem Hintergrund des Brexit als„decent populism“ bezeichnet, ist eine von der Bevölkerungsmehrheit getragene Gegenposition, die nicht von rechten Ideologien bestimmt wird, sondern eher von einfachen Werten, die früher den Common Sense prägten: ehrliche Arbeit, Familie, Heimatverbundenheit, Selbstbestimmung, Streben nach materiellen Wohlstand, Gemeinschaftssinn. Populismus in diesem weiteren Sinn beinhaltet nicht nur Bedrohung, sondern auch Verteidigung von Freiheit. Man kann ihn nicht auf einen „Rückzug in die Volksgemeinschaft“ reduzieren und an einer „neuen Scheidelinie der europäischen Politik“ als zu bekämpfendes Gegenmodell der „offenen Gesellschaft“ gegenüberstellen.

Die EU und ihre Feinde

Das zeigt sich auch am Thema Europa. Fücks erkennt unser zentrales Problem: „Europa ist heute der zukunftsängstlichste Kontinent. (…) Wir fürchten uns vor Globalisierung und Freihandel, digitaler Revolution und Gentechnik, Masseneinwanderung und Islamisierung, Terror und totale Überwachung, Klimawandel und Altersarmut.“ Und er hat recht, wenn er in diesem Satz bewusst den Bogen von rechts über grün nach links schlägt. Die europäische Aufbruchsstimmung von 1989/90 habe sich in „wechselseitiges Missvergnügen und nationalen Egoismus verkehrt“, fährt er fort. Auch damit hat er recht, kommt aber offenbar nicht auf die Idee, dass das auch etwas mit der EU zu tun haben könnte, die er wacker verteidigt. Dabei kann man ihm durchaus zustimmen, wenn er die „groteske Überzeichnung der Macht der Brüsseler Bürokraten“ kritisiert. In der Tat sind die Bürokraten nicht das Problem der EU. Das Problem der EU ist das Demokratiedefizit, das sie in den Mitgliedstaaten induziert, wo sich gewählte Regierungen hinter Brüssel verstecken und die eigene Legitimation nicht mehr bei der eigenen Wählerschaft, sondern bei den supranationalen Kollegen aus den Nachbarländern suchen. Wenn er in Hinblick auf den Brexit solche Aspekte außer Acht lässt und von den “zu kurz Gekommenen, Verunsicherten und Beleidigten“ spricht, fühlt man sich unangenehm an Hillary Clintons “deplorables” erinnert.

Die größte äußere Bedrohung liegt für Fücks in Putins Russland und den Putin-Freunden im Westen von Marine Le Pen bis Gerhard Schröder. Seine Kritik an der Putin-Faszination ist berechtigt. Doch er schaut zu sehr auf die Stärke des Feindes und zu wenig auf die Schwächen im eigenen Lager. Die Probleme der EU kann man nicht darauf reduzieren, dass sie von Populisten miesgemacht wird und Putin die Verunsicherung und Destabilisierung nach Kräften fördert. Die EU hat auch ohne russische Propaganda ein Problem, und zwar genau das von Fücks zuvor benannte: „Europa ist heute der zukunftsängstlichste Kontinent.“ Ursache für die Krise Europas ist neben der Verantwortungsdiffusion in den Mitgliedstaaten der hier besonders grassierende Selbstzweifel des Westens.

Grenzen des Wachstums

Natürlich spricht sich Fücks für eine liberale Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik aus. Bei diesem Thema gehören die Grünen mit ihren politischen Forderungen tatsächlich zu den fortschrittlicheren im Parteienspektrum. Andererseits haben sie durch Jahrzehnte des Warnens vor existenzieller Ressourcenknappheit und damit verbundenem Weltuntergang maßgeblich dazu beigetragen, dass heute viele Menschen der festen Überzeugung sind, die Welt sei ein Nullsummenspiel und es sei nicht genug für alle da. Sie haben dazu beigetragen, dass viele die Grenzen des Wachstums auch auf die eigene Bevölkerung in Hinblick auf den Zustrom von außen beschwören.

Das ist eine Position, die Fücks keineswegs teilt. Entschieden wendet er sich gegen den Neo-Malthusianismus, der zu den „Glaubenssätzen der grünen Gemeinde“ gehöre. Mit Marx plädiert er für die „schrankenlose Entfesselung der Produktivkräfte“, kritisiert, dass die „Grünen neue Technologien primär aus dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr“ betrachten, und fordert „keine Verlangsamung, sondern die Beschleunigung des technischen Wandels, nicht die Unterordnung unter die Natur, sondern die gezielte Entfaltung ihrer Potenziale.“

Bei den Themen Wachstum und Fortschritt rechnet er am deutlichsten mit dem ab, was auch heute wohl noch grüner Mainstream ist. „Das Hohelied auf die bäuerliche Landwirtschaft, (…) die Abscheu vor Kommerzialisierung und Massenkonsum“ kamen von rechts, sagt Fücks, und „auch Vegetarismus und Biolandbau, Homöopathie und Anthroposophie waren und sind nicht per se fortschrittlich. Man findet sie als Zutaten völkisch-faschistischen Denkens wie in entgegengesetzten Milieus.“ Die „Urschrift der Ökologiebewegung, der 1972 unter dem Titel Grenzen des Wachstums publizierte Report“, sei „von einem autoritären Grundton durchzogen.“ An die Stelle von Markt und Wettbewerb trete hier der „ökologische Obrigkeitsstaat“. Der „ökologische Flirt mit der Diktatur“ komme nicht von ungefähr. „Aus dem Impetus der Verhinderung künftiger Katastrophen wird leicht ein Freibrief für Bevormundung und Beschränkung. (…) Was aus der Perspektive eines ökologischen Jakobinismus als gerecht erscheinen mag, wäre ein großer Schritt in einen Überwachungsstaat von Orwellschem Ausmaß, in dem jeder Einkauf, jede Reise, jedes Steak auf die persönliche CO2-Bilanz angerechnet wird (…) eine Kombination aus Öko-Puritanismus und autoritärer Planwirtschaft.“ Auch die Klimawissenschaft warnt er, sich vor einem „ökologischen Absolutismus“ zu hüten.

Dem „latent Menschenfeindlichen“ einer solchen Postwachstumsökodiktatur stellt Fücks seine Vision einer grünen Ökonomie entgegen, die im Kern als Kreislaufwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien gedacht ist und Wohlstand für alle ermöglichen soll. Das geht nur mit viel technologischer Innovation, weshalb auch die „Fundamentalopposition gegen die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen“ zumindest in Frage gestellt werden müsse. Woran er sich nicht wagt, ist indes eine Enttabuisierung der Kernenergie. Deshalb bleibt wohl auch die in den USA wachsende Strömung des Ökomodernismus rund um das Breakthrough Institute unerwähnt. Die dezidierte Pro-Atomkraft-Haltung dieser ansonsten wesensverwandt erscheinenden Öko-Pragmatiker sorgt wohl noch für Berührungsängste. Insgesamt hat man den Eindruck, dass Fücks die technologische Herausforderung einer „Entkarbonisierung“ der Zivilisation erheblich unterschätzt, wenn er mit Schlagworten wie „künstliche Fotosynthese“ hantiert oder die ineffiziente deutsche Energiewende als „Referenzprojekt“ bezeichnet.  Als bräuchte der Rest der Welt nur unserem Beispiel zu folgen, und alles wäre gut. Immerhin fordert er eine technologieoffene Herangehensweise von der Politik.

Schön ist sein Lob des Fliegens als “enormem zivilisatorischem Gewinn”. In gewisser Weise fordert Fücks hier das grüne Bürgertum auf, Denken und Handeln in Einklang zu bringen. Es habe etwas „Schizophrenes, wenn ausgerechnet das grüne Milieu am lautesten gegen den Luftverkehr wettert. Keine andere gesellschaftliche Gruppe fliegt mehr als die Wählerschaft der Grünen.“ Allerdings interpretiert er dieses Phänomen falsch, wenn er mutmaßt, die Appelle zur Einschränkung des Flugverkehrs hätten die „Funktion, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen.“ Ich glaube, sie sind vielmehr Ausdruck des (nicht unbedingt voll bewussten) Selbstverständnisses, dass es für die aufgeklärte Elite durchaus legitim ist, munter um die Welt zu reisen, da sie es zur kulturellen Bereicherung, wenn nicht gar zur Rettung der Welt tut, während die Massen für ihre frivolen Vergnügungen gefälligst nicht das Klima zu belasten haben.

Enttäuschend sind allerdings die Handlungsempfehlungen am Ende des Buches: wählen gehen, Partei ergreifen im Alltag, kritischen Journalismus unterstützen, sich in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagieren, simplen Lösungen misstrauen, die Verfassung verteidigen, nie Gewalt rechtfertigen, sich gegen die Verächtlichmachung von Politik aussprechen. Alles schön und gut. Aber dieser Aufruf an die Leser, brave Bürger und gute Demokraten zu sein, zusammenzustehen, bis die Revolte gegen das Establishment überstanden ist, relativiert dann doch wieder etwas die an einigen Stellen des Buches durchscheinende Erkenntnis, dass wir einen Aufbruch brauchen, den Mut zu Veränderung und eine Wiederbelebung der öffentlichen politischen Debatte.

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin Novo Argumente erschienen.

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