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Wie zukunftsfähig ist die Zukunft? Wolfgang Gründingers Plädoyer für ein stärkere Berücksichtigung junger Interessen

Wer will schon ein alter Sack sein?! Schon deswegen sollte sich jeder Interessierte dieses erfrischende Werk des Soziologen Wolfgang Gründinger zu Gemüte führen. Auch wenn manche Thesen, wie das Aufheben des Mindestalters für das Wahlrecht, mehr als provokant sind, helfen andere, den doch schon wieder tüchtig angesetzten Staub aus den Talaren und Anzügen der gesättigten Gesellschaft herauszuschütteln. Wolfgang Gründinger: Alte Säcke Politik – wie wir unsere Zukunft verspielen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh/München 2016

Ob demografischer Wandel, digitale Revolution, ökologische Plünderung des Planeten oder soziale Gerechtigkeit – für Wolfgang Gründinger werden immer nur Sonntagsreden gehalten. Und selbst wenn Politiker das Richtige tun wollen, ist der Autor überzeugt, meist nur einer „Front alter Säcke aus Wählerschaft und organisierten Interessensgruppen, die lieber das Gestern konservieren als das Morgen ermöglichen wollen“, gegenüberzustehen. Die Leidtragenden: die nachwachsende Generation, „denen wir die Lebenschancen rauben“. Der Jugend gehört die Zukunft, den Alten gehört alles andere, klagt der Autor in seinem frischen und frechen Werk „Alte Säcke Politik – wie wir unsere Zukunft verspielen“.

Er prüft Politik und Gesellschaft auf ihre Zukunftsfähigkeit (Renten, Löhne, Digitalisierung, Bildung, Steuersystem), und natürlich fordert er eine stärkere Berücksichtigung junger Interessen. Aber auch an Vorschlägen fehlt es nicht, wie man zukünftig die unterschiedlichen Werte und Prioritäten von Alt und Jung in Einklang bringen könnte. Sein Buch ist eine Gebrauchsanweisung für einen möglicherweise erfolgreicheren Brückenschlag zwischen den Generationen.

Rente mit 70 im Jahr 2060

Die Kritik der jungen Generation an der alten ist genauso neu und mühsam wie Aristoteles´etwa 2.300 Jahre alte und nicht gerade freundliche Bemerkung, dass „unsere Jugend unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen“ sei. Tatsächlich sind die Bedingungen heute etwas anders: Zumindest in den westlichen Industrieländern leben die Alten nicht nur länger als in früheren Zeiten, sondern verbringen ihren Lebensabend mehrheitlich in relativ guter materieller Sicherheit, moniert Gründinger.

Aber einfaches Lamentieren über den Mythos gleicher Lebenschancen, die Schuldenberge, die dahinschmelzende Rente und die verpestete Umwelt wäre zu einfach. So versucht Gründinger vorzugsweise, durch seine Handlungsempfehlungen zu überzeugen, dass die Dinge sich ändern müssen. Beispiel Rente: Eine noch drastischere Kürzung ihrer Rente oder eine stärkere Erhöhung der Beiträge ist für alle Beteiligten nicht machbar. Die bereits beschlossene Rente mit 67 Jahren tritt erst vollständig im Jahr 2029 in Kraft, rechnet der Autor vor. Da der demografische Wandel bis dahin nicht überwunden sei, brauchen wir „die Rente mit 70 – nicht heute und für jeden, aber in ferner Zukunft und für die meisten“, meint Gründinger. Und: Wenn sich die Lebenserwartung um beispielsweise zwei Monate erhöhen würde, könnte man davon – schlägt Gründinger vor – einen Monat für den Ruhestand reservieren und den anderen Monat für die Erwerbsarbeit abzweigen. Das würde dann um das Jahr 2060 auf eine Rente mit 70 Jahren hinauslaufen.

In Dänemark ist diese Kopplung bereits heute beschlossene Sache. Zudem fordert Gründinger eine massive Förderung des betrieblichen Gesundheitsmanagements, eine bessere Honorierung von Kindererziehung und den Ausbau von kostenfreier und unabhängiger Beratung zur Altersvorsorge.

Wahlrecht für alle – Jugendquote für Listenplätze

Eine wahre Umstülpung der Verhältnisse sieht der Autor für die Themen Lohn und Wahlrecht vor. Die Entlohnung, so wünscht er, darf nicht am Lebensalter festgemacht werden: „Die Einstiegsgehälter müssen angehoben werden, im Gegenzug können die Gehälter älterer Gutverdiener gedämpfter einsteigen.“ Und in punkto Wahlrecht will er alle Grenzen aufheben: „Das Wahlrecht muss für alle gelten – unabhängig vom Alter. Junge Menschen sollen wählen dürfen, sobald sie dies selbst können und möchten.“ Zudem sollen die Parteien eine Jugendquote für ihre Amtsträger und Listenplätze einführen. „Zumindest 20 Prozent aller Funktionäre und Kandidaten sollten unter 30 oder zumindest 35 Jahren sein.“

Wer nun meint, dass mit solchen Regeln jeglichem Schindluder im Umgang mit jungen Stimmen Tür und Tor geöffnet wird, hat sicher recht. Allerdings sollten solche Kritiker bedenken, dass auch das Alter nicht vor Dummheit bei Entscheidungen und vor Missbrauch im Umgang mit Wahlstimmen schützt. Vielleicht ist es angesichts der aktuellen politischen Entwicklung auch mal an der Zeit, über ein Maximalalter fürs Wahlrecht nachzudenken.

Dass die Mehrheit der „Alten […] wichtige Bündnispartner“ sind, steht für den jungen Autor außer Frage. Stéphane Hessels 2010 veröffentlichtes „Empört Euch“ ist ein literarisches Symbol dafür geworden, der sozialen Spaltung zwischen Arm und Reich entgegenzutreten und immer auch den Brückenschlag zwischen den Generationen zu suchen. „Sich empören“ ist Gründinger zu wenig. Für ihn heißt es: Organisiert Euch, engagiert Euch und ergreift Partei! Hinter solchen Imperativen steckt für den Autor allerdings auch die Erkenntnis, dass es bisher eben „nur eine Minderheit von uns [Jungen] ist, die sich anschickt, die Welt zu verändern“. Schon deswegen sollten vor allem junge Leute dieses Buch lesen.

Fazit

Geistvoll und streitbar – so würdigte die Jury des Literaturpreises „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) die Publikation „Alte Säcke Politik – wie wir unsere Zukunft verspielen“ des Soziologen Wolfgang Gründinger. Weil sein Werk „die Debatte um einen zukunftsgerichteten und generationengerechten Gesellschaftsentwurf bereichert“, erhielt der Autor in diesem Jahr mit der Auszeichnung der FES einen der wichtigsten Sachbuchpreise in Deutschland. Eine gute Entscheidung.

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