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Kreative Zerstörung statt Nachhaltigkeit

Deutschland gibt sich gerne innovativ. Mit echtem Fortschritt haben Energie-, Verkehrs- und Agrarwende jedoch wenig zu tun. /// Im letzten Teil der Serie „Innovation und Disrupion“ behandelt Thilo Spahl die fehlenden Innovationen in der Agrar- und Energiewirtschaft.

Gesellschaftlicher, technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt hängen eng zusammen. Je umfassender die Naturbeherrschung durch Technik, je produktiver die Wirtschaft, desto besser das Leben der Menschen. Unser Wohlstand ist auf Fortschritt und Wachstum angewiesen. Aber der Motor läuft schon ziemlich lange nicht mehr rund.

„In Europa grassiert eine chronische Wachstumsmüdigkeit. Nach dem Nachkriegsboom hat das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern seit 1960 stetig abgenommen. Im Euro-Raum kaschiert die EZB mit immer neuen Hilfspaketen ein Problem, das sie mit ihrem billigen Geld eigentlich kaum beeinflussen kann – die schwächelnde Produktivität der Realwirtschaft“, schreibt der Ökonom Phil Mullan. Er spricht von einer „Langen Depression“. Sie ist gekennzeichnet durch Stagnation und Phasen geringen Wachstums, durch zu viel Stabilität und zu wenig Erneuerung, zu viel Nachhaltigkeit und zu wenig Disruption. Zu viele Unternehmen und Arbeitsplätze werden „gerettet“, zu wenige neue werden geschaffen. Die entscheidende Frage ist: Wie gelangen wir wieder zu höherer Produktivität? Die Antwort lautet: durch Bereitschaft zu kreativer Zerstörung.

Damit die Produktivität steigt, müssen entweder neue Wirtschaftssegmente und Produkte entstehen, die die alten ergänzen oder ersetzen. Oder es müssen neue Produktionsmethoden entwickelt werden, die die alten obsolet, weil ineffizient, werden lassen. Immer wenn es solche technologischen Durchbrüche gibt, gehen einerseits viele alte Jobs verloren, andererseits entstehen viele neue Jobs.

Notwendig ist sowohl unternehmerisches als auch staatliches Handeln. Mullan schreibt: „Ungeachtet dessen, was die Befürworter des freien Marktes behaupten, wird das Marktsystem nicht zwangsläufig zu Innovationen und guten Arbeitsplätzen führen, wenn es von den Zwängen der Vergangenheit befreit wird. „Der Markt“ ist keine unabhängige Kraft. Ohne Menschen und die Beziehungen zwischen ihnen ist er bedeutungslos. Die Schaffung einer produktiveren und gesünderen Wirtschaft ist immer ein aktiver, kollaborativer, von Menschen geleiteter Prozess.“[i]

Wirtschaftswachstum zu fördern ist eine politische Aufgabe. Der Staat muss von der Stabilitätspolitik abrücken und eine Wachstumspolitik verfolgen. Er muss von der Pro-Business-Orientierung, die bestehende Unternehmen in vielfältiger Weise stützt und schützt, zu einer Pro-Innovationspolitik übergehen. Leider haben Wirtschaft und Staat heute eines gemeinsam: Fixierung auf Risiko, die gestiegene Furcht vor neuen Technologien und das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Und sie sind in diesem Überlebensmodus eng miteinander verbunden.

Der Staat wird beides tun müssen, sagt Mullan: mehr und weniger zugleich. Der Staat muss aufhören, die Zombiewirtschaft zu fördern. Er muss aufhören, den Unternehmen Anreize zu geben, sich mit Imagepflege in Gestalt von Nachhaltigkeitsberichten und dergleichen statt Produktivitätssteigerung zu beschäftigen. Er muss aufhören, sie mit bürokratischen Regulierungen einerseits zu behindern und ihnen andererseits Ausreden dafür zu bieten, dass sie kein dynamisches Wachstum realisieren und glauben, ein Recht auf Subventionen zu haben. Er muss Forschung und Entwicklung massiv fördern, dabei aber wegkommen von der Einengung der Forschung entlang der engen Bahnen der Nachhaltigkeitsrhetorik. Er muss Innovationstätigkeit anfeuern und kreative Zerstörung zulassen.

Große Transformation

Wie steht es um die deutsche Innovationspolitik? Tatsächlich können wir gerade in Deutschland eine ganze Reihe von Projekten beobachten, die eine große Transformation versprechen. Leider stellen sie keine Vorbilder dar. Hier läuft einiges grundsätzlich schief. In Deutschland ist gern von der Wende die Rede: Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende. Der Begriff „Wende“ impliziert, dass man die Richtung grundsätzlich ändert. Die geforderten Veränderungen wären durchaus disruptiv. Sie würden das Umkrempeln großer Industriezweige bedeuten. Sie würden auch unser Leben verändern. Aber sie würden nicht dem Muster folgen, das bisher Disruption bedeutete. Sie würden nicht durch ein überragendes, neuartiges Produkt ausgelöst, das das vorhandene obsolet bzw. chancenlos macht. Und sie würden nicht durch neue Produktionstechnologie ausgelöst, die viel effizienter ist als die alte und diese in die Schrottpresse der Geschichte schickt.

In aller Deutlichkeit zeigt sich das Problem bei der Energiewende. Das Produkt ist dasselbe geblieben: Strom. Daran kann man ja nichts ändern. Man kann dem Strom zwar alle möglichen Namen geben: grünstrom easy, heim plus premium, SimplyGreen Ökostrom oder Berlin E-Mobil Natur Privatstrom. Man kann sich alle möglichen Tarife ausdenken. Am Ende wird immer die Bewegung von Elektronen durch einen Draht geliefert. Durchbrüche kann es hier nur bei der Erzeugung geben. Die entscheidende Frage für jemanden, der den Markt erschüttern will, ist also: Wie kann ich durch neue Technologien die Produktivität erheblich steigern? Genau das passiert aber bei der Energiewende bekanntlich nicht. Die neuen Erzeugungsmethoden, größtenteils Wind und Solar, sind nach wie vor erheblich ineffizienter als die konventionellen, Kohle, Gas und Atom.

„Wir beobachten hier also eine Disruption mit umgekehrtem Vorzeichen.“

Die enormen Subventionen der neuen Energiewirtschaft sind nicht besser als der alte Kohlepfennig, nur viel teurer. Auch hier geht es darum, ein Produktionssystem am Leben zu erhalten, das ohne massive und dauerhafte Unterstützung nicht lebensfähig wäre. Der Staat versucht mit den Mitteln der Stabilitätspolitik – Risikovermeidung, Subventionierung und Volkserziehung –, Innovationspolitik zu machen.

Wir beobachten hier also eine Disruption mit umgekehrtem Vorzeichen. Weg von effizienten Technologien, hin zu weniger effizienten. Möglich ist so etwas nur durch staatliche Abnahme- und Preisgarantien. In diesem Fall durch die Umlage der Mehrkosten auf alle Stromkunden, unabhängig davon, ob sie Ökostrom nachfragen und als Ökostrom deklarierten Strom kaufen oder ob sie ein konventionelles „Stromprodukt“ kaufen.

Es wird immer darauf hingewiesen, wie stark die Preise für Solar- und Windstrom schon gefallen sind, ja suggeriert, sie befänden sich praktisch im freien Fall, kurz davor, den Boden zu erreichen und sich in nichts aufzulösen. Tatsächlich haben wir eine Phase der schnellen Kostenreduktion gesehen. Das ist erfreulich, darf aber keineswegs so verstanden werden, dass wir nun auf bestem Wege seien, „sauberen Strom“ ebenso billig anbieten zu können wie den ungeliebten Kohlestrom. Entscheidend sind nämlich die Kosten des Gesamtsystems. Sie sorgen dafür, dass der Preis für den Verbraucher dennoch munter weiter nach oben gegangen ist.

Da das neue System ineffizient ist, entstehen durchaus Arbeitsplätze, sie werden aber teuer erkauft: Aufstellen, Instandhaltung und Wartung von Millionen kleiner Anlagen, extensiver Ausbau des Stromnetzes zum Anschluss all dieser Anlagen und zur Verteilung des unplanbar erzeugten Stroms, Digitalisierung des ganzen Systems, um die Ineffizienz zu lindern und es einigermaßen stabil zu halten, Marketing und Werbung, da das Einheitsprodukt Strom virtuell in verschiedene Geschmacksrichtungen aufgeteilt und beworben wird, Handel mit Grünstromzertifikaten und anderes mehr.

Die Finanzierung des Systems erfolgt zum übergroßen Teil durch Steuern und Umlagen. Von jedem Euro, den ich meinem Stromanbieter überweise, verwendet dieser nur 22 Cent für Beschaffung und Vertrieb des Stroms. 24 Prozent gehen für Netzentgelte drauf und 54 Prozent für Steuern, Abgaben und Umlagen.

Natürlich gibt es innerhalb des Systems ständig kleine Verbesserungen, die die Kostenexplosion bremsen. Aber das sind eben nicht die großen, disruptiven Technologiesprünge, die dafür sorgen, dass das alte, weniger effiziente aufgegeben werden muss. Das wäre ja aus Sicht der deutschen Politik auch fatal. Denn das „Alte“ ist ja in diesem Fall gar nicht so alt, sondern nur ineffizient.

Mit großen Anstrengungen und immensen Kosten ein ineffizientes System zu etablieren ist ein Fehler, unter dem man sehr lange zu leiden hat. Denn je mehr Geld und Überzeugung in ein Projekt fließen, desto geringer die Bereitschaft, es zu revidieren. Wie soll man sich als Politiker von einem System distanzieren, das man über viele Jahre als großes Menschheitsprojekt beworben hat und in das Hunderte von Milliarden geflossen sind?

Wenig Hoffnung für die Energiewirtschaft

Im Energiesektor ist Deutschland daher verbrannt. Technologische Durchbrüche sind hier nicht zu erwarten. Statt massiv in die Erforschung und Entwicklung neuer effizienter und sauberer Reaktortypen zu investieren, fließen Riesenbeträge in das Füttern des falschen Pferdes. Die Erneuerbaren haben als moderater Teil des Energiemixes ihre Berechtigung. Heute kommen allerdings in Deutschland trotz massiver Subventionierung gerade einmal 3,1 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus Wind und Solarenergie. Weltweit sind es maximal ein bis zwei Prozent. Wir sollten aufhören, uns hier etwas vorzumachen. Wind und Sonne haben nicht das Potenzial, die globale Energieerzeugung zu revolutionieren. Wir können gleichzeitig aber auch nicht darauf setzen, alte Kohle- und Kernkrafttechnologie mit inkrementellen Verbesserungen immer weiter zu nutzen. Wir brauchen massive Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, um bei allen Energieträgern fundamentale technologische Durchbrüche zu erzielen. Am sichtbarsten sind vielversprechende Ansätze derzeit bei der Kernenergie. Aber die Tatsache, dass sich hier vor allem unterfinanzierte Start-ups und Universitäten tummeln, zeigt in erschreckender Deutlichkeit das Fehlen staatlichen Engagements bzw. staatlicher Rahmenbedingungen zur Förderung privaten Engagements im großen Stil. Auch bei der Kohle muss die bloße Tatsache, dass noch für Jahrhunderte genug dieses nützlichen Energieträgers im Boden lagert, Anlass sein, mit neuartigen Technologien dafür sorgen, dass Kohlestrom nicht nur billig, sondern auch sauber ist. Ein interessanter Ansatz ist zum Beispiel eine neue Verbrennungstechnologie (Allam Cycle), die bei Gas und Kohle zum Einsatz kommen kann und CO2-freie Erzeugung ohne nennenswerte Zusatzkosten erlauben könnte.

Der ganze Klimaschutzzirkus von Kyoto bis Paris ist dagegen nichts anderes als Untätigkeit auf hohem Niveau. Man beteuert gegenseitig, wie entschlossen man ist, Treibhausgase zu reduzieren, formuliert munter Ziele für 2030, 2040, 2050, klopft sich auf die Schulter, schimpft über Trump – und unternimmt nichts, um zu wirklichen Durchbrüchen zu kommen.

Mullan skizziert das Szenario einer Bedrohung in Gestalt eines großen Asteroiden, dessen Kurs bekannt ist und von dem man daher weiß, dass er in 50 Jahren die Erde treffen wird. (Fiktiv daran sind nur die 50 Jahre. Dass sich immer wieder solche großen „Impacts“ mit global katastrophalen Folgen ereignen, ist bekannt.) Ein solcher Asteroid würde höchste Handlungsnotwendigkeit bedeuten. Wir müssten, mit einer echten Deadline versehen, die Technologien entwickeln und erproben, die erforderlich sind, den Himmelskörper vor der Kollision von seinem Kurs abzubringen. Es wäre aber sehr wahrscheinlich machbar.

„Es fließt wahrscheinlich mehr Geld in Werbung für den Klimaschutz als in die Entwicklung leistungsfähiger Technologien.“

Was ist beim Klimawandel anders? Gewarnt wird zwar auch hier vor einer Katastrophe, unklar sind jedoch Zeitpunkt und Ausmaß. Das mag die Mobilisierung erschweren. Entscheidend ist aber die generelle Skepsis gegenüber technologischen Großprojekten und die bornierte Hoffnung, die Sache ließe sich vielleicht noch hinbiegen, wenn wir an allen Ecken und Enden ein bisschen Energie sparen und uns oft genug hypothetisch vorrechnen, der Weltenergiebedarf könne in 30 Jahren um 50 Prozent gesenkt und zu 100 Prozent aus Erneuerbaren gedeckt werden.

So fließt wahrscheinlich mehr Geld in Werbung für den Klimaschutz als in die Entwicklung leistungsfähiger Technologien. Man pflegt den Mythos, es reiche, wenn jeder von uns im Alltag Klimagutes tut. Die erste Hälfte der Absolution erhält man mit dem Wechsel zum Ökostromtarif, die zweite mit dem Erwerb eines Elektroautos. Mit ordentlich Geld belohnt wird zudem, wer Windräder oder Solarpaneele aufstellt.

Was lernen wir daraus? Der Geist der Nachhaltigkeit bringt keine technologischen Durchbrüche hervor. Politisch korrekter Konsum kann keine Wachstumspolitik ersetzen. Der Umbau der deutschen Energiewirtschaft ist ein zutiefst konservatives Projekt. Massive Anstrengungen zur Entwicklung der Technologie für eine unbegrenzte, sichere, saubere, klimaverträgliche und billige Energieversorgung wären erforderlich, und das Ziel ist auch keineswegs unrealistisch, solange man die nukleare Option nicht ausschließt. Das Gegenteil ist zu beobachten. Aus opportunistischer Risikoscheu wird die Produktivität abgesenkt. Das alte System wird nicht durch ein neues besseres ersetzt, sondern es wird durch die Beimischung von Millionen ineffizienter Kleinkraftwerke geschwächt und verteuert. Statt kreativer Zerstörung erlebt die Energiewirtschaft perspektivlose Subventionierung.

Was bringt die „Verkehrswende“?

Etwas interessanter stellt sich zunächst die Situation beim Verkehr dar. Hier scheinen große Veränderungen in Gang zu kommen. In den letzten Jahren hat das Thema Elektromobilität erhebliche Prominenz erlangt. Das erste Elektroauto des Franzosen Gustave Trouvé fuhr zwar schon 1881 und damit fünf Jahre früher als Gottlieb Daimlers Benz-Patent-Motorwagen, ist also nicht gerade brandneu. Der Elektroantrieb hat aber durchaus erhebliche Vorteile, und die meisten Autofahrer wären wohl gerne bereit, ihren Benziner oder Diesel durch ein Elektroauto zu ersetzen, wenn endlich die Nachteile eliminiert wären. Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die globale Autoindustrie in kurzer Zeit radikal verändern würde, wenn erst einmal der dafür notwendige technologische Durchbruch erzielt wäre. Wir bräuchten nur eines: die billige, schnellladefähige Batterie.[ii]

Es gibt heute eine Reihe schicker Elektroautos. Sie sind leider alle viel, viel teurer (und unpraktischer) als vergleichbare Wagen mit Verbrennungsmotor und damit nicht massenmarktfähig. Lithiumionenbatterien konnten zwar im Preis gedrückt werden. Es ist bei ihnen aber kein grundsätzlicher Durchbruch zu erwarten. Es mag manchen ermutigen, wenn etwa der Tesla-Mitgründer Martin Eberhard sagt: „In fünf bis zehn Jahren werden wir so weit sein, dass Elektroautos günstiger sind als Benziner. Das wird das Ende des Benzinmotors sein.“ Man wird allerdings stutzig, wenn er im selben Interview eine gesetzliche Quote für Elektroautos fordert. Wozu sollte die dann noch gut sein? Und wozu bräuchten wir dann 2030 oder 2040 ein Verbot von Verbrennungsmotoren, wie es von einigen Ländern inzwischen angekündigt und in Deutschland auch gefordert wurde? Wird also wirklich in fünf bis zehn Jahren der große Durchbruch kommen, auf den wir seit fast 140 Jahren warten? Zweifel sind angebracht.

Das Elektroauto wird zwar alle paar Jahre wieder als Zukunftstechnologie präsentiert. Von einem großen Plan irgendeines Staates zur Entwicklung der notwenigen Technologie ist allerdings nichts zu sehen. Und von der Umsetzung eines solchen Plans erst recht nicht. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder man ist so zuversichtlich, dass Tesla-Chef Elon Musk und mit ihm die aufgescheuchte Autoindustrie das jetzt schon irgendwie machen werden. Oder man glaubt selber nicht daran, traut sich aber auch nicht, auf ein anderes Pferd zu setzen. So steht zu befürchten, dass es nach der Art der Energiewende laufen wird. Man verordnet politisch eine neue Technologie, die mit der alten nicht mithalten kann und nicht freiwillig gekauft wird. Damit sie dennoch zumindest einen gewissen Marktanteil erhält, arbeitet man mit Kaufanreizen, was bisher in Deutschland keinen großen Effekt zeigt und in wenigen anderen Ländern, insbesondere Norwegen, auch nur, wenn die Prämien und sonstigen Subventionen exorbitant sind. Oder man verordnet eine Quote: Werden die Hersteller gezwungen, 20 Prozent Elektroautos zu verkaufen, senken sie den Preis so weit, bis die Quote erreicht wird. Die Verluste, die sie dabei machen würden, gleichen sie aus, indem sie die Kosten auf die anderen Autos umlegen. Sie werden also auf alle Autofahrer verteilt. Genau wie bei der Energiewende. Ökostrom wäre ja auch kaum verkäuflich, wenn der Ökostromkunde die Zusatzkosten alleine tragen müsste.

Offenbar gibt es eine große Bereitschaft, dieses mutlose Rumgeirre, bei dem alles andere als klar ist, ob es am Ende irgendwie gutgehen wird, als politische Großtat zu feiern. In einem Grundsatzpapier des Thinktanks „Agora Energiewende“ lesen wir: „Mit dem politischen Ziel, den Energie- und Verkehrssektor zu dekarbonisieren, ist eine Innovationsrevolution in der Automobilindustrie verbunden: Das Ende des Verbrennungsmotors als Kernelement des automobilen Antriebsstranges zeichnet sich ab.“[iii]

„Das Auto ist eine Innovation gegenüber dem Pferd. Ein modernes Fahrzeug hingegen bietet noch immer dieselbe Kernfunktion wie ein Oldtimer.“

So käme es zwar zu großen Veränderungen und einem gewissen Maß an Erneuerung im Bereich der Automobilindustrie und insbesondere bei den Zulieferern. Mit technologischen Durchbrüchen und Produktivitätssteigerung hat diese Art von „Disruption“ allerdings wenig zu tun. Peter Heller geht an anderer Stelle in dieser Ausgabe von Novo sogar so weit, in der Elektromobilität überhaupt keine Innovation zu sehen, wenn er schreibt: „Das Auto ist eine Innovation gegenüber dem Pferd. Ein modernes Fahrzeug hingegen bietet noch immer dieselbe Kernfunktion wie ein Oldtimer. Elektromobilität ist nicht nur keine Innovation, weil sie seit mehr als einhundert Jahren regelmäßig am Markt scheitert, sondern vor allem deswegen, weil ein Batteriefahrzeug aus der Nutzerperspektive auch keine anderen Möglichkeiten eröffnet als ein Verbrenner.“

Das Gleiche gilt für die zwei weiteren großen Themen, die die Autoindustrie beschäftigen: die informationstechnische Vernetzung (connectivity) und das autonome Fahren. Sie machen das Autofahren sicherer und angenehmer und sie schaffen durchaus eine Vielzahl neuer Produkte und Industriezweige und damit auch Arbeitsplätze rund ums Auto. Insofern sind sie positiv und tragen zur Erneuerung der Wirtschaft bei. Sie ändern jedoch nichts daran, dass wir nach wie vor in unseren privaten PKW steigen, um irgendwo hinzufahren.

Echte technologische Durchbrüche, die das Verkehrssystem maßgeblich verändern würden, wären dagegen zum Beispiel das Erobern des unteren Luftraums für den Individualverkehr (fliegende Autos), die Verlagerung des urbanen Warentransports in den Untergrund (CargoCap), Hochgeschwindigkeitsverbindungen am Boden (Hyperloop) oder Höchstgeschwindigkeitsinterkontinentalverkehr (Scramjet).

Bauernhofidylle statt Innovation

Auch bei der Agrarwende zeigt sich dasselbe Muster. Ein absichtliches Absenken des technologischen Niveaus geht mit dem Anheben des ideologischen einher. Durch Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz und Gentechnik werden Erträge künstlich gesenkt, Kosten künstlich angehoben und auf weitere Fortschritte und neuartige Produkte verzichtet. Auch hier ist das bereits im aktuellen, bescheidenen Ausmaß nur mit Subventionen möglich – trotz der Bereitschaft der Kunden, für vermeintlichen gesundheitlichen oder ökologischen Zusatznutzen (und reale Distinktionsgewinne, wenn man sie denn für erstrebenswert hält und das soziale Umfeld es hergibt) einen Preisaufschlag zu akzeptieren. Die Verklärung und Überhöhung sogenannter bäuerlicher Landwirtschaft bildet ein recht robustes Bollwerk gegen Innovation – von Disruption ganz zu schweigen.

Der Text ist zuerst in der aktuellen Printausgabe des Magazins Novo erschienen. Alle weiteren Teile der Serie finden Sie hier.

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[i] Phil Mullan: „Creative Destruction. How to start an economic renaissance“, Policy Press 2017, S.167.

[ii] Und in der Folge den Aufbau einer Ladeinfrastruktur. Der Verzicht auf Verbrennungsmotoren würde es allerdings erfordern, die Stromerzeugung deutlich zu erhöhen. Dieses Erfordernis steht im Widerspruch zu den Zielen der Energiewende, die von einer erheblichen Reduzierung der Stromerzeugung ausgeht, da schon der heutige Bedarf mit Wind und Sonne nicht realistisch abgedeckt werden kann.

[iii] Christian Hochfeld et al.: „Mit der Verkehrswende die Qualität von morgen sichern“ (Kurzfassung), Agora Verkehrswende, September 2017. (https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/mit-der-verkehrswende-die-mobilitaet-von-morgen-sichern-kurzfassung/)