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Bestreitbare Macht: Wann Macht zum Wohle aller wirkt

Alle reden von Macht. Und von der Lust auf Macht. Den einen wird sie vorgeworfen, den anderen wird sie abgesprochen, und viele wollen am besten gar nicht über sie reden – und doch wollen alle sie haben. Rainer Hank analysiert in seinem unterhaltsamen Buch die verschiedenen Facetten der Macht und kommt zum moralisch überraschenden Urteil, dass Macht etwas Wunderbares ist.

Rainer Hank: Lob der Macht, Klett-Cotta, Stuttgart 2017

Macht kann Angst einjagen. Zum Beispiel, wenn machtvolle Politiker plötzlich erheblich mitentscheiden, mit welchen Personalien richterliche Senate zu besetzen sind. Zuletzt geschehen in der Türkei, in Polen und sogar in den USA. Die Techniken der Macht und des Machterhalts, so hat es Niccolò Machiavelli nüchtern beschrieben, basieren auf Willkür oder – radikal ausgerückt – auf Gewalt, auf menschlicher Gewalt. Dass der Begriff der Macht deswegen bis heute auf viele abstoßend wirkt, gleichzeitig aber auch ein Faszinosum darstellt, ist kein Wunder. Und auch dass der Macht stets der Ruf anhängt, etwas Unanständiges zu sein, ist offensichtlich. Umso erstaunlicher wirkt daher Rainer Hanks nun erschienenes Buch Lob der Macht, das uns vom Gegenteil überzeugen möchte: Macht ist gut, Macht ist der Motor für Fortschritt und Wohlstand. Sie, die Macht, „ist die alles bewegende Triebfeder einer Fortschrittgeschichte, die sich nicht darum schert, ob die Menschen gut oder böse sind“, schreibt der Autor. Macht ist eine Kraft mit explosiver Auswirkung „und die doch im Saldo stets das Gute schafft“.

Macht ist allgegenwärtig, und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft. Aber geredet wird darüber tatsächlich selten. Hanks Buch will mit diesem Tabu brechen. Auf den rund 260 Seiten geht der Autor sehr unterhaltsam zunächst mit Hilfe des Verhaltensforschers Frans de Waal der allzu menschlichen Lust auf Macht  auf den Grund. Dann führt er uns anekdotenreich in vergangene und aktuelle Fallbeispiele ein – angefangen von Karl IV. über die selbstherrlichen Helmut Kohl und Donald Trump, weiter zu den selbstüberschätzten Martin Schulz, Thomas Middelhoff und Martin Winterkorn bis zur machtschäkernden und machtklandestinen Bundeskanzlerin. Und allen Mächtigen ist gemein: Macht braucht Raum, gefüllt von Schleichern, Schleimern und Hofschranzen. Macht braucht einen Apparat der Ausübung. Und Macht erzwingt Repräsentation, ob in Form von Kanzlerschwüren, rotem Teppich, dunklen Limousinen als Konvoi oder eigenem Helikopter mit Landeplatz auf dem privaten Anwesen. „Das geht so weit“, meint Hank, „dass die Mächtigen ihren Machthunger durchaus auch in massig-wuchtigen Leibern verkörperten“ – und noch heute verkörpern.

Macht ist weder gut noch böse

Überall stoßen wir auf Macht: In den politischen Wahlen greifen Parteien nach der Regierungsmacht, nachdem ihre Mitglieder auf Parteitagen zuvor die Machtfrage untereinander geklärt haben. Aber auch in der Wirtschaft, im Berufsleben, auf der Straße, im Kindergarten, in der Familie und in Paarbeziehungen geht es stets um Macht. Und allen ist klar: Der Kampf um die Macht trägt immer eine gewisse Ambivalenz in sich. So erinnert Hank an Star Wars und die Jedi und Sith: „Es gibt eine im Mythos – von Lao-Tse bis Star Wars – erzählte Ahnung davon, wonach am Urgrund der Welt ein Wille zur Macht sich offenbare, der jenseits oder besser vor aller Rationalität der Aufklärung sich finde und zutiefst ambivalent sei. Er hat eine dunkle und helle Seite.“ Das heißt für Hank auch: Macht ist weder per se weder gut noch böse – hingegen es die Mächtigen ohne Zweifel sein können.

Dass die dunkle Seite eher unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht als die helle, mag in der menschlichen Lust auf Sensationen liegen. Tatsächlich zielt Hanks Fokus eher auf die helle Seite der Macht. „Macht ist nicht schlimm, solange sie bestreitbar ist, ökonomisch gesprochen: solange der Markt der Macht offen ist“, ist der Autor überzeugt. Denn: Macht und der nicht böse Absichten verfolgende Wille zur Macht sind verantwortlich für die Wachstumsdynamik einer Gesellschaft. Dass Macht eine positive Konnotation auch behält, gewährt der faire Wettbewerb (zum Beispiel durchs Amtszeitbegrenzung oder Wahlen), „der die Chance auf Entmachtung jederzeit möglich macht und vor niemandem besonderen Respekt hat“.

Dass es bei den aktuell wohl mächtigsten Formen der Macht, nämlich der des „Geldes“ und der der „Daten im Netz“, durchaus schwierig ist, auf Fairness zu setzen, ist dem Autor bewusst: „Mit Geld kann man sich in einer Marktwirtschaft Macht kaufen und wer viel Geld hat, kann sich viel Macht kaufen“, schreibt er. Macht ist für ihn nur gut, solange sie eben bestreitbar bleibt. Zum Beispiel durch Moral und Gerechtigkeitskämpfe – wie Gewerkschaften es vormachen. Hank ist sich sicher: Macht zur richtigen Zeit am richtigen Platz in den richtigen und unterschiedlichen Händen bedeutet Leistungsansporn und Lustgewinn – und damit das Gelingen einer erfolgreichen Gesellschaft.

Fazit:
Macht und Herrschaft als allein von Menschen verantwortete Phänomene sind zweifellos zum Positiven veränderbar. Diese Erkenntnis steht seit der Aufklärung in unseren Geschichtsbüchern. Nur vergessen wir es wohl zu oft. Hank geht es in seinem Buch um die Rehabilitierung genau dieser Macht. Zwar kann keine noch so lebhafte Streitschrift die Praxis ersetzen. Dennoch ist sein Essay eine Inspiration, über Macht als Motor für Fortschritt und gerechten Wohlstand nachzudenken.

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