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Die Zukunft der WTO: Wofür Angela Merkel in den USA werben sollte

Die WTO ist tot, es lebe die WTO! In den USA wird Angela Merkel sich gegen Zölle auf Aluminium und Stahl starkmachen. Doch in Wirklichkeit geht es um viel mehr, nämlich die Welthandelsordnung von morgen. Eine Perspektive.

Am Montag ist es vorbei – die durch die USA gewährten Ausnahmen von den verhängten Stahl- und Aluminiumzöllen für Anbieter aus der EU laufen aus, und es ist noch nicht absehbar, wie die Eskalation des Handelskonflikts zu vermeiden ist. Spitzenpolitiker aus EU-Mitgliedstaaten setzen auf Gespräche, und selbst die Bundeskanzlerin will Ende der Woche einen Versuch machen, um Donald Trumps Gnade für die EU zu erwirken. Doch auch wenn die EU auf Dauer aus den Stahl- und Aluminiumzöllen ausgenommen wird, ist nicht viel gewonnen. Denn die Geschehnisse der letzten Wochen haben eine fundamentale Bedeutung und stellen die lang und mühsam erkämpften Prinzipien der Welthandelsordnung in Frage.

Dass die USA sich gegen gewisse Praktiken ihres größten Handelspartners China positionieren, ist nachvollziehbar. Zwar ist nichts dagegen einzuwenden, dass technologisches Know-how durch Übernahmen seinen Besitzer ändert – das ist der legale Weg, den nicht nur chinesische Investoren praktizieren. Problematisch ist es jedoch, wenn dies nur einseitig passiert und sich amerikanische und europäische Unternehmen den Zugang zum rasant wachsenden chinesischen Markt erkaufen müssen, indem sie ihr Know-how preisgeben. Denn es ist kaum vorstellbar, dass die mitgebrachte Technologie ein Geheimnis bleibt, wenn die ausländischen Unternehmen nur über ein Joint Venture den chinesischen Markt betreten dürfen und der chinesische Partner mindestens die Hälfte des Joint Ventures besitzt. Mit offenen Märkten und marktwirtschaftlichen Prinzipien haben diese Anforderungen wenig zu tun. Höchstens unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten könnte man die einseitige Marktöffnung rechtfertigen – allerdings nicht, wenn das chinesische Pro-Kopf-Einkommen bereits etwa das Niveau in Bulgarien übersteigt und selbst nach einer Kaufkraftbereinigung um weniger als ein Viertel geringer ist. Daher ist der Widerstand der USA verständlich – und die EU-Mitgliedstaaten sind gut beraten, sich dem anzuschließen. Frau Merkel sollte in dieser Hinsicht Bereitschaft zeigen, die US-Position zu unterstützen.

Was aber nicht nachvollziehbar ist, ist der Weg, den die USA eingeschlagen haben. Die Zölle auf Aluminium und Stahl konnten zwar eine starke Signalwirkung entfalten, insbesondere, da sie so prominent durch Präsident Trump verkündet wurden. Die ganze Welt spricht nun über den Handelskonflikt der Großmächte. Doch Schutzzölle und andere protektionistische Maßnahmen sind weder im Eisen- und Stahlbereich noch gegen China neu. Unter allen 7217 vom Global Trade Alert seit Ende 2008 erfassten handelshemmenden Maßnahmen betreffen 911 Eisen- und Stahlprodukte. Und 3904 Maßnahmen richten sich (unter anderem) gegen China. Zudem sind Eisen und Stahl bei weitem nicht die Exportschlager Chinas – zumindest nicht in den USA. Selbst wenn man die Zahlen für Eisen, Stahl und andere Erze und Metalle zusammenrechnet, kommt man auf weniger als ein Prozent der US-Importe aus China. Andere Länder wie Japan, Russland, die Türkei werden die Zölle wesentlich mehr zu spüren bekommen, und den Preis werden wohl die US-amerikanischen Verbraucher, also die Wähler Donald Trumps, am Ende tragen. Darauf kann Frau Merkel den US-Präsidenten bei ihrem Besuch aufmerksam machen.

Es bleibt fraglich, ob die Argumentation für die Einführung der US-Stahlzölle, nämlich die nationale Sicherheit, der WTO-Auslegung standhält. Sollte die WTO die eingereichte Klage der Chinesen abweisen, so dürften auch andere Länder mit ähnlichen Argumenten mehr Protektionismus betreiben. Sollte die WTO der Klage recht geben, so bleibt es unklar, inwieweit die USA die Zölle aufheben würden. Und dann stellt sich die Frage, ob die WTO in ihrer jetzigen Konstellation zukunftsfähig ist.

Eine Frage, die für sich genommen nicht neu ist. Mit 164 Mitgliedern ist schon seit Jahrzehnten kaum ein Fortschritt in Sachen Handelsliberalisierung möglich. Eine Handelspolitik der zwei Geschwindigkeiten gibt es heute schon – durch zahlreiche bilaterale Freihandelsabkommen, die zwar den internationalen Handel zwischen den beteiligten Ländern erleichtern, doch durch ihre Vielzahl auch die Komplexität der Welthandelsordnung immens gesteigert haben. Eine reformierte und institutionalisierte WTO der zwei Geschwindigkeiten kann daher dafür sorgen, dass diese Komplexität reduziert wird, die Länder nach ihrem Ermessen die Grenzen für den Waren- und Dienstleistungshandel öffnen und sich auch die Vorteile des Globalisierungsprozesses zunutze machen – allerdings unter gleichen Bedingungen der Reziprozität. Aktuell werden viele neue Freihandelsabkommen verhandelt und abgeschlossen, was den Willen der beteiligten Länder signalisiert, ihre Märkte weiter zu öffnen. Länder wie Japan, Singapur, Kanada, Mexiko und auch die EU-Mitgliedstaaten bekennen sich weiterhin zum freien Handel und könnten erheblich davon profitieren, wenn eine multilaterale Runde der liberalisierungswilligen Staaten die bilateralen Handelsabkommen ersetzt. Diese Länder können dann die Umsetzung der WTO-Prinzipien vorantreiben und im Rahmen einer neuen plurilateralen Welthandelsrunde die Basis für eine neue, reformierte Welthandelsordnung legen, bei der neben Zöllen auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Die so geschaffene neue Struktur im Rahmen der WTO würde die nächste Stufe der globalen Handelsliberalisierung darstellen und muss auch für andere Länder offen sein, wenn sie die entsprechenden Kriterien erfüllen – ganz nach dem Vorbild der europäischen Strukturen, wonach 19 Länder im Rahmen des Euroraums die nächste Stufe der wirtschaftlichen Integration vollzogen haben. Die Marktöffnung der anderen zu nutzen und diese selbst zu verwehren wäre in der neuen Struktur nicht mehr möglich. Das Treffen mit Präsident Trump könnte die Bundeskanzlerin nutzen, um Ideen über die Zukunft der WTO auszutauschen.

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