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Wir sind das Geld

Kulturgeschichte des Geldes Buchkritik: Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes, München 2010 Dieter Schnaas hat sich was Unerhörtes geleistet. In nur 170 Seiten schüttelt er ebenso rasant wie filigran die gesamte Evolutionsgeschichte des Geldes aus dem Ärmel, von den Phöniziern bis zur Finanzkrise – und hinterlässt einen von Wortgewalt und Gelehrtheit erschlagenen Leser zurück, den zum Schluss taumelnd nur die Einsicht auf den Beinen hält: Geld ist Droge, Geld ist Dreck. Aber man muss es haben. Natürlich kann man hier auf keinen Fall von einer „Kleinen Kulturgeschichte des Geldes“ sprechen. Koketterie und Provokation treiben den Berliner Wirtschaftsjournalisten Dieter Schnaas wohl zu dieser frechen Untertreibung. Die kulturhistorische Fundierung und analytische Tiefenschärfe dieses furiosen Essays macht es zu einem großen Buch – angesichts dessen sich andere jüngst erschienene Werke zur Finanzkrise einer mit Sinnsprüchen bedruckten Klorolle als ebenbürtig entlarven. Soweit das Lob.

Um was geht’s: einerseits um eine Geschichte des ökonomischen Denkens, andererseits um den „Trivialliberalismus an den modernen Finanzmärkten“ und die 2700 Jahre alten Ursachen der gegenwärtigen Staatsschuldenkrisen. Schnaas ist überzeugt: „Die Geldkrisen der Gegenwart sind kein Ausdruck von Marktversagen, keine Krise des Kapitalismus, kein Argument gegen die Gier und schon gar kein Beweis für den Unsinn von Managergehältern und Renditezielen“. Vielmehr sind sie Ausdruck eines kollektiven staatskapitalistischen Systemversagens. „Das freie Geld steckt in der Krise, mit ihm die Theorie der Pumpwirtschaft – und damit der Staat als Emissionär des Geldes als Hüter seines Wertes und Letztinstanz unseres Vermögens.“

Bei der gegenwärtigen Krise handele es sich um eine Krise des modernen, ungedeckten, von aller Substanz befreiten und von den Noten- und Geschäftsbanken beliebig vermehrbaren Kreditgeldes. Geld habe sich im Laufe der Geschichte vom universellen Symbol der Hingabe an Gott über Münzen, Wechsel-, Papier- und Buchgeld in eine Fiktion verwandelt. Modernes Geld sei kein Tauschmittel, das den Handel differenziert und verflüssigt, sondern aus dem Nichts geschöpftes Geld, mit dem der Staat und die Banken sich sozusagen selbst beleihen – das so genannte Anti-Geld. Das heutige Marktgeld der Wirtschaft sei ein Derivat des staatlich geschöpften Kreditgeldes und die Notenbanken seien Schuldfabriken, in denen wie am Fließband Anti-Geld produziert wird. Im Unterschied zu früher, in denen Kredite noch Wohlstandsmotoren waren, die eine frohe Zukunft eröffneten, stottere die Kreditschöpfung der Gegenwart nur noch eine Vergangenheit ab, die ihre künftigen Potenziale schon verbraucht hat.

Geld ist der Dämon und Geld ist der Liebhaber der Menschen. So klopft Schnaas auch die literarischen großen Werke nach ihren Geldwertsystemen ab. Er zeigt, dass Erasmus, Luther, Goethe, Shakespeare, Balzac und Georg Simmel der modernen Geld-Welt mindestens so viel zu erzählen haben wie Adam Smith und David Ricardo. So zeigt sich in der großen Literatur Geld – wie im Faust II – immer auch als ein Prinzip der Sorge selbst, aber auch als Antwort auf die Sorge. Der wohl größte Vorzug des Geldes sei, meint Schnaas, „dass es denen, die es haben, die Möglichkeit eröffnet, sich an ihm auszubilden – und sich zugleich so unabhängig zu machen von ihm wie gewünscht“. Geldbesitz, das sei die Freiheit, sich nicht für Geld interessieren zu müssen – und sich seiner Eigentümlichkeit doch zuwenden zu können.

Wer dem Geld die Herrschaft entziehen will, darf es nicht länger regieren lassen. Schnaas’ Vorschlag: Wir haben es selbst in der Hand, wir müssen dem Geld neue Zugriffsmöglichkeiten eröffnen oder gar für das, was uns lebenswichtig erscheint – wie Umwelt und natürliche Ressourcen –, Geld bezahlen. „Geld sichert den Zugriff auf Verschmutzungszertifikate, es spekuliert auf eine grüne Revolution, es vermehrt sich auf dem Konto von Bioschwein-Bauern, es fördert den Kaffeeanbau freier Farmer, es kompensiert Fernflüge klimaneutral“, erklärt der Autor. Das Gewissen lenkt den Blick des Konsumenten auf chinesische Wanderarbeiter und ihre Arbeitsbedingungen, auf afrikanische Lehrer, die in Berliner Tiergärten Teller spülen, auf Hühner, die in enge Käfige gepfercht werden – „und es drängt uns, dafür bezahlen zu dürfen: im eigenen Interesse“. Schnaas nennt dies den Beginn des Übergangs vom Finanzmarkt- zum Nebenkostenkapitalismus – für ihn die „jüngste Metamorphose der modernen Geldwirtschaft“.

Und genau dieses sehr gegenwärtige Phänomen ist es, was in dem Buch viel zu kurz kommt. Schade. Man kann nur auf eine Fortsetzung dieser kleinen großen Kulturgeschichte hoffen.


Weitere Informationen zu diesem Thema:

* Die Überwindung der Krise durch gutes Geld – von Thorsten Polleit, Michael von Prollius, Frank Schäffler und Norbert F. Tofall

* Schuldenkrise wird zur Dauerbelastung für Europa – Handelsblatt vom 22.11.2010

* Die Geldrevolutionäre – Financial Times Deutschland vom 09.11.2010