Zur Rettung schlägt er vor, Europa in zwei Zonen zu teilen. In „Club-Med-Länder“ wie Griechenland, Italien und Frankreich, die den „Süd-Euro“ (oder auch „Euro-Franc“) haben sollen, und in Nordländer wie Deutschland, die Beneluxstaaten und Skandinavien, die dann mit „Nord-Euro“ (oder auch „Euro-Mark“) bezahlen. Ein starker Euro für den Norden, ein schwacher für den Süden: Die Nord-Länder, die diszipliniert haushalten, würden eine härtere Währung bekommen, während die Südländer wieder in die Lage versetzt werden, Inflation in Kauf zu nehmen, um die eigene Wirtschaft am Laufenden zu halten.
Beim vermeintlich reichen europäischen Nordvolk, das sich um seinen Euro sorgt, also bei uns, kommen solche Vorschläge gut an – knackige Thesen, ganz im Jetzt. Wenn es um die eigene Wurst, um Haus und Hof geht, fühlt sich eben jeder gern mal angesprochen und schreit gleich mit. Doch man muss nicht Wikileaks fragen, welche Nettigkeiten Ökonomen dem heute 70-jährigen Hans-Olaf Henkel auf seine steilen Thesen am liebsten antworten würden.
In erster Linie haben wir kein Euro-, sondern ein massives Bankenproblem. Die Finanzsektoren vieler Länder Europas sind völlig überdimensioniert. Irland beispielsweise ist von der Zahlungsfähigkeit bedroht, weil der Staat aufgeblähte Bankbilanzen garantieren muss. Wenn Irland seine Geldhäuser nicht retten müsste, dann wäre das Schuldproblem überschaubar.
Deutsche Banken haben zurzeit mehr als 2,4 Billionen Euro an Unternehmen, Staaten und andere Banken auf der ganzen Welt verliehen – ein gewaltiges Risiko. Man kann nur hoffen, dass die Banken gewisse Geschäfte inzwischen mit sehr viel mehr Kapital unterlegt haben als früher, damit sie Schocks mit einer größeren Widerstandsfähigkeit begegnen können. Die Risikoprämien auf Anleihen waren im Vorfeld der Krise generell zu tief. Die Anleiheinhaber gingen davon aus, dass im Krisenfall der Staat ihre Bank auffangen würde. Das ist der eigentliche Fehler der Banken gewesen.
Auch wenn man Henkels Trennung in Euro-Nord und -Süd durchspielen würde, blieben doch abgesehen vom Europa zweier Klassen und einer „sozialen Mauer“ quer durch den alten Kontinent die Sorgen möglicherweise die gleichen. Erst vor wenigen Tagen geriet auch das als stabil eingestufte Belgien ins Visier der Märkte – damit ist das Grundproblem auch in Henkels anvisiertem reichen Norden angelangt.
Natürlich ist der Euro in Gefahr. Zweifellos hat das Euro-Problem auch mit den verschiedenen Geld-Mentalitäten in Europa zu tun. Die Politik muss handeln. Wir brauchen eine einheitliche funktionierende und verbindliche Finanzdisziplin für alle Staaten in der EU. Und zwar auf Dauer. Vielleicht erreicht Henkel mit seinem Buch, dass sich mehr Menschen Gedanken darüber machen, was der Euro eigentlich bedeutet – für jeden einzelnen und für Europa. Dafür hätte sich das 200-Seiten-Buch tatsächlich gelohnt.
Doch von einem Denker wie Henkel hätte man sich für die derzeitige Krise eine Lösung gewünscht, die sich nicht derart enthoben von der europäischen Idee bewegt. Ein Zweiklassensystem wäre ein enormer Rückschritt. Das Projekt eines auf Solidarität und tatsächlicher Einheit beruhenden Europas am Geld scheitern zu lassen, kann nicht der Wunsch der Deutschen sein. Das zeigen aktuelle Umfragen, in der sich die Mehrheit der Befragten in Deutschland für den Euro ausspricht.
Henkel sieht sich wie sein Bestseller-Vorgänger Thilo Sarrazin als „Andersdenker“ und beklagt – durchaus zu recht – die oft pauschal einsetzende Maulkorb-Kultur in Deutschland. Doch Schimpfen macht neue Vorschläge nicht plausibler. Denn wie Produkte für den Konsum müssen auch Gedanken für wirtschaftliches Handeln auf Tauglichkeit geprüft werden dürfen. Wenn Neues wirklich gut ist, setzt es sich durch. Allein daran sollte sich Henkel messen.