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Eine Ausstiegsklausel für den Euroraum

Die bisherige Bekämpfung der Schulden- und Strukturkrise in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) macht deutlich, woran es in Europa mangelt: nämlich an einer Strategie. Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Der Euroraum braucht eine Ausstiegsklausel. Damit ließe sich sowohl die Schuldenkrise als auch die Strukturkrise im Euroraum langfristig zu lösen.

Obgleich die vermeintliche Unauflösbarkeit des Euroraums politisch wünschenswert erscheint, hat sich die „Unwiderruflichkeit“ einer EWU-Mitgliedschaft als ökonomisch äußerst bedenklich herausgestellt. Das wirkt wie eine implizite Garantie, dass jeder jedem beispringt wie prekär auch die Mitgliedschaft im Einzelnen wirken mag. Die Folge ist ein Moral-Hazard Verhalten auf Seiten der Märkte und der EWU-Mitgliedsländer. So konnte eine kleine Ökonomie wie Griechenland für außerordentliche Verwerfungen sorgen. Eine Ausstiegsklausel, nach der ein „Scheitern“ der EWU-Mitgliedschaft rechtlich geregelt wäre, würde präventiv gegen ökonomische und politische Verwerfungen wirken, die Funktionsfähigkeit des Euroraums nachhaltig stärken und den Zusammenhalt im Euroraum fördern. Denn:

1. Finanzmärkte würden im Wissen um einen möglichen Ausstieg ex ante genauer zwischen verschiedenen staatlichen Schuldnern im Euroraum differenzieren. Das Länderrisiko würde dementsprechend in den Kreditausleihungen, insbesondere an staatliche Schuldner, wieder eingepreist werden. Langfristig würden Finanzmärkte ihre Disziplinierungsfunktion für nationale Fiskalpolitiken wieder wahrnehmen.

2. Zudem würde sich auch die staatliche Nachfrage nach Verschuldung verringern. Der Grund ist einfach: die langfristigen Kosten für fiskalpolitischen Fehlverhaltens würden im politischen Wettbewerb offen gelegt werden. Entsprechend kehrt die fiskalpolitische Disziplin zurück.

3. Eine Ausstiegsklausel würde kurzfristig die Unsicherheit im Finanzmarkt reduzieren und auf diese Weise politische und ökonomische Anpassungsprozesse erleichtern. Aus Sicht der Finanzmärkte besteht ein hohes Maß an Unsicherheit hinsichtlich der Verteilung der anfallenden Anpassungskosten auf die EWU-Mitgliedsländer in der Schuldenkrise unter den gegenwärtigen rechtlich-institutionellen Bedingungen für den Euroraum.

4. Auch die Verhandlungsposition der sonstigen EWU-Mitgliedsländer in der Schuldenkrise würde gestärkt werden. Ohne eine Ausstiegsklausel als sanktionsbewehrte Regel gibt es keine wirklich effektiven Möglichkeiten, fiskalpolitische und strukturelle Reformen in einzelnen EWU-Mitgliedsländern durchzusetzen. Mit einer Ausstiegsklausel im Euroraum würde das Moral-Hazard Verhalten einzelner Mitglieder, d.h. die heutigen Anpassungskosten für die fehlende fiskalpolitische Disziplin in früheren Perioden den anderen EWU-Mitgliedsländern aufbürden zu können, ins Leere laufen und keine Hebelwirkung in Verhandlungen über finanzielle Rettungsmaßnahmen haben.

Paradoxerweise würde eine explizite Ausstiegsklausel für den Euroraum dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Auseinanderfallens des Euroraums abnimmt – und nicht zunimmt! Der Zusammenhalt, die Konvergenz und die Funktionsfähigkeit des Euroraums würden durch eine Ausstiegsklausel gestärkt werden. Ob dies gelingt, ist keine ökonomische Frage, sondern eine Frage insbesondere des deutsch-französischen Verhandlungsgeschicks im Krisenmanagement.

Weitere Informationen:

Fahrholz, Christian und Cezary Wójcik. “Europe needs Exit Rules.“ vom  31. Oktober 2011.

Fahrholz, Christian und Cezary Wójcik. 2010. „The Bail-out! Positive Political Economics of Greek-type Crises in the EMU.“ CESifo Working Paper, No. 3178.


Dr. Christian Fahrholz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Graduiertenkolleg Global Financial Markets an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Dr. Cezary Wójcik ist Professor für International Finance an der Warsaw School of Economics und an der Polnischen Akademie der Wissenschaften.