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ESM: Haben die Bundesländer Mitspracherecht?

Zwischen Bundesrat und Bundesregierung gibt es Meinungsverschiedenheiten: Die Länder fordern ein Mitspracherecht beim ESM. Die Bundesregierung lehnt dies mit dem Hinweis,  der ESM sei ein völkerrechtlicher Vertrag, "der bewusst außerhalb der EU konzipiert wurde", ab. Bei dem Konflikt geht es um nicht weniger als um die Ausübung von Kontrollrechten über das Gebaren der Bundesregierung unter dem Rettungsschirm. Am Ende hat wohl das Verfassungsgericht das letzte Wort. Ein europarechtlicher Exkurs.

Der Streit zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag, unter welche Bestimmung des Grundgesetzes der ESM-Vertrag zu fassen ist, hat erhebliche praktische Bedeutung.

Hiervon hängen zunächst die Mitwirkungsrechte und die Mehrheitsanforderungen für die Zustimmung zu dem Vertrag als solchem ab. Im weiteren Vollzug des ESM-Vertrags geht es die Frage, welche verfassungsrechtlichen Informations- und Kontrollrechte Bundestag und Bundesrat gegenüber der Bundesregierung zustehen. Prinzipiell ist es denkbar, den ESM- Vertrag als rein völkerrechtlichen Vertrag zu sehen, der nur unter Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG fällt. Die Gegenposition besteht darin, den Vertrag dem “Europaartikel” Art. 23 GG zuzuordnen. Eine dritte Position wäre, in Art. 24 Abs. 1 GG die Rechtsgrundlage für den Abschluss und Vollzug des ESM-Vertrags zu sehen.

Aus europarechtlicher Sicht ist der ESM-Vertrag ausdrücklich außerhalb der europäischen Verträge abgeschlossen worden. Er stellt einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten des Euroraums dar, nicht aber einen Vertrag, durch den die Rechtsgrundlagen der EU verändert werden. Eine rechtliche Anbindung an die EU erfolgt lediglich durch die gleichzeitige Änderung des Art. 136 AEUV, der um einen neuen Absatz 3 erweitert wird, um die Übereinstimmung mit sonstigem Unionsrecht, vor allem mit dem Bail- out-Verbot des Art. 125 AEUV sicherzustellen. Organisatorische Anbindungen an die EU erfolgen ferner dadurch, dass die Kommission und die EZB eine wichtige Rolle bei der praktischen Durchführung des ESM-Vertrages spielen. Insbesondere die Reformprogramme für die Empfängerstaaten werden von der Kommission und der EZB in Zusammenarbeit mit dem IWF verhandelt und überwacht.

Die verfassungsrechtliche Einordnung des ESM-Vertrags kann, muss aber nicht zwingend der europarechtliche Beurteilung folgen. Grundgesetz und Europarecht bilden zwei prinzipiell von einander getrennte Rechtskreise, die sich zwar wechselseitig beeinflussen und aufeinander einwirken, die am Ende aber verschiedenen Interpretationen zugänglich sind.

Diese Abweichungsmöglichkeit folgt aus den verschiedenen Schutzzwecken, die einerseits die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, andererseits das Verfassungsrecht der Europäischen Union verfolgen. Das Grundgesetz bildet die Grundlage für alle Formen der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an europäischen und internationalen Vorhaben.

Die europäischen und internationalen Verträge sind dagegen Ausdruck eines gemeinsamen Willens der Vertragsparteien. Sie berücksichtigen grundsätzlich nicht die innerstaatlichen organisatorischen Belange, insbesondere nicht die Rechte nationaler Parlamente. Die verfassungsrechtliche Differenzierung in die Rechtsgrundlagen der Art. 23, 24 und 59 GG spiegelt daher die unterschiedliche innerstaatliche Interessenlage wider, die für die Bundesrepublik Deutschland durch den Abschluss und den Vollzug solcher Verträge geschaffen wird. Da das Recht der EU am weitesten in die deutsche Rechtsordnung einwirkt, genießen Bundestag und Bundesrat hier die weitesten Rechte, während sie in den Fällen des Art. 59 Abs. 2 und des Art. 24 Abs. 1 GG vergleichsweise schwächer ausgestaltet sind.

Für die verfassungsrechtliche Zuordnung des ESM-Vertrages zu Art. 23 GG spricht, dass dieser Vertrag ein Instrument zur Bewahrung der Währungsunion bildet, die ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Rechts ist. Insofern ist die Schaffung des ESM-Vertrags als völkerrechtlicher Vertrag nur konstruktiven Gründen geschuldet, weil die die EU- Mitgliedstaaten sich offensichtlich nicht in der Lage sahen, das EU-Recht im dafür vorgesehenen Verfahren zu ändern. Gegen die Anbindung des ESM-Vertrags an Art. 23 GG spricht der klare Wille der Vertragsparteien, eine rechtliche Konstruktion außerhalb der europäischen Verträge zu schaffen. Dieser klare völkerrechtliche Wille besagt aber gerade nichts darüber, welche Beteiligungsrechte innerstaatliche Verfassungsorgane gegenüber der Regierung genießen. Insofern schließt die Regelungsabsicht der Vertragsparteien des ESM- Vertrags die Anwendung von Art. 23 GG gerade nicht aus. Am Ende wird das Bundesverfassungsgericht den Rechtsstreit entscheiden, bei dem aber heute schon klar ist, dass der verfassungsrechtliche Spielraum recht weit ist.