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Europa: Deutschland im Endspiel

Während halb Europa auf die Fußball EM blickt, wechselt Europa die Richtung: Sparbeteuerungen verstummen, die Rufe nach Vergemeinschaftung werden lauter. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause entscheidet der Bundestag über ESM und Fiskalpakt. Anders als im Fußball, könnte es hier aber auch nur Verlierer geben.

Die Illusionisten haben Konjunktur – quer durch Europa. In Griechenland gewinnt womöglich die radikale Linke am Sonntag die Parlamentswahl. Sie gaukelt der eigenen Bevölkerung vor, Griechenland werde die Sparauflagen der Europäer aufkündigen können, aber selbstverständlich im Euro-Währungsraum bleiben. Und in Frankreich scheint eine Politik mehrheitsfähig, die das ökonomische Einmaleins außer Kraft setzen will: Obwohl auch Frankreich altert, wird das Renteneintrittsalter für einen Teil der Bevölkerung auf 60 Jahre verkürzt. Länger leben, aber kürzer arbeiten. Sieht so das linke Ideal vom „Leben wie Gott in Frankreich“ aus? Kündigungen von Mitarbeitern sollen für die Betriebe so verteuert werden, dass sie aus Kostengründen möglichst nicht mehr stattfinden. Wie mit einer so brutalen Einstellungsbarriere neue Beschäftigung geschaffen werden soll, erschließt sich genauso wenig, wie mit der ebenfalls geplanten massiven Erhöhung des ohnehin schon hohen französischen Mindestlohns, der junge Menschen mit geringer Qualifikation bereits heute vom Arbeitsmarkt ausschließt.

In Spanien und Italien orientieren inzwischen alle politischen Kräfte unisono auf eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden im Euroraum. Die Zauberworte heißen Eurobonds, europäischer Schuldentilgungsfonds oder Bankenunion mit europaweiter Einlagensicherung. Gemeint ist die immergleiche Hoffnung, die große und leistungsstarke deutsche Volkswirtschaft in Euro-Gesamthaftung nehmen und damit die Strukturreformen in den eigenen Ländern abmildern zu können. Sparen bei der eigenen Bevölkerung tut politisch bekanntlich weh, Deutschland in gesamtschuldnerische Haftung zu nehmen dagegen nicht.

Und wir Deutschen? Bevölkerung und Medien sind mit Fußball beschäftigt. Je weiter die deutsche Elf auf dem Weg ins Finale vordringt, desto weniger nehmen die Wählerinnen und Wähler zur Kenntnis, dass zur gleichen Zeit eine Art Endspiel um die nationale Budgethoheit von Bund und Ländern stattfindet. Die Bundeskanzlerin formulierte zwar am Donnerstag im Deutschen Bundestag: „Auch Deutschlands Stärke ist nicht unendlich!“ Doch diese zutreffende Aussage steht im krassen Gegensatz zu den tatsächlichen Folgen einer Entscheidung, die Bundestag und Bundesrat am Abend des 29. Juni treffen wollen. Mit der Zustimmung zur Fiskalunion und zum dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) werden sich beide Kammern der deutschen Legislative selbst entmachten. Künftig werden weder Bundestag noch Bundesrat etwas zu melden haben, selbst wenn hohe dreistellige Milliardenbeträge verplant und im Ausland ausgegeben werden. Eine parlamentarische Kontrolle über diese ungemein mächtige neue Institution ESM existiert nicht. Der ESM ist ausdrücklich von jeder Aufsicht und Lizensierungspflicht befreit.

Christdemokraten und Freidemokraten, Sozialdemokraten und Grüne werden diese Preisgabe nationaler Souveränität mit verfassungsändernder Zweidrittel-Mehrheit beschließen. Vielleicht wird diese historische Fehlentscheidung zunächst im Trubel eines EM-Endspiels mit deutscher Beteiligung, das zwei Tage danach das Volk in Bann zieht, untergehen. Doch an der deutschen Volkswirtschaft kann die gesamte Eurozone nicht genesen. Diese Wohlstandsillusion, die viele hegen, wird schnell platzen – mit fatalen ökonomischen und politischen Folgen in Deutschland und Europa.