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Ist Wohlstand Glücksache?

Ist Wirtschaftswachstum gleich Wohlstandswachstum? Und wenn nein, wie kann Wohlstand dann gemessen werden?  Der Autor zeigt: Die Überlegungen Wohlstand nicht nur am Bruttoinlandsprodukt festzumachen sind richtig. Doch ohne Wirtschaftswachstum ist kein Wohlstand möglich.

Zahlen. Harte Fakten. Daran misst sich bislang der Wohlstand einer Nation. Zusammengefasst wird es meist in einer Kennziffer – im Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP. Es misst die Wirtschaftskraft eines Staates. Das heißt, alle in einer Periode hergestellten Güter und Dienstleistungen fließen ins BIP ein.

Das heißt aber auch, es werden nur die Güter und Dienstleistungen bewertet, die tatsächlich am Markt gehandelt werden. Alles, was darüber hinausgeht – wie ein Ehrenamt oder Hausarbeit – bleibt außen vor. Naturkatastrophen können genau wie menschengemachte Katastrophen hingegen für wirtschaftliche Aktivität sorgen und treiben das BIP in die Höhe und werden in nackten Zahlen sogar positiv wahrgenommen. Die Forderungen nach einer Alternative zum BIP werden lauter. Die Ansätze reichen von lediglich ergänzenden Faktoren, die zur BIP-Berechnung hinzugezogen werden, bis hin zu völlig neu konstruierten Indikatoren.

Die Politik hat schon konkrete Maßnahmen ergriffen, um die Weiterentwicklung des BIPs anzustoßen. Nicolas Sarkozy beauftragte 2008 eine Gruppe um Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, alternative Ideen zum BIP zu entwickeln. Auch in Großbritannien und in der EU-Kommission gibt es Fachleute, die sich damit beschäftigen. Die Bundesregierung hat 2011 die Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ eingesetzt, die bis zum Ende der Legislaturperiode Ergebnisse vorlegen soll.

In Bhutan gilt seit Jahren nicht das Bruttoinlandsprodukt als Zielgröße, sondern „Gross National Happiness“ (GNP), also das Bruttosozialglück. Wenn man so will, ist Bhutan uns also voraus. Aber hier zeigen sich auch die Probleme alternativer Indikatoren. Die sind meist praktischer Natur. Wie lässt man Daten zur Lebensqualität einfließen? Glück und Zufriedenheit sind sehr subjektiv – das lässt sich kaum quantifizieren. Und wenn doch, ist die Erhebung mühsam und entsprechend zeitaufwendig. Das gilt auch für die meisten anderen Parameter, die für einen BIP-Ersatz ins Auge gefasst werden: Standardisierte Verfahren gibt es nicht.

Die Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission hat in Frankreich eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, was in neue Berechnungen miteinfließen könnte. Vorschläge wie die Erfassung der Einkommen, eine stärkere Gewichtung der Perspektive der Haushalte oder die Erweiterung der Einkommensmaße auf informelle Tätigkeiten sind allerdings schwer zu erfassen. Bislang gibt es dafür keine Statistiken oder klare Vorgaben zur Erhebung der Daten. Die regelmäßige Veröffentlichung dieser Zahlen oder gar eines neuen Indikators ist noch sehr weit weg. Denn das ist ein unbestreitbarer Vorteil des Bruttoinlandsproduktes: Es wird alle drei Monate veröffentlicht und dient der Politik damit als verlässliche und vor allem regelmäßige Handlungsstütze. Als Zusatz werden – sogar monatlich – die Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Als grober Überblick über die Lebensqualität einer Gesellschaft gehen sie über die Aussage des BIP hinaus.

Sicher, das BIP hat Schwächen. Dennoch werden sich die neuen Bestrebungen nicht durchsetzen. Ähnliche Ansätze gab es schon einmal in den Siebzigern – ohne Erfolg. So wird es wahrscheinlich auch diesmal wieder kommen. Neue Messgrößen könnten wie ein Armaturenbrett neben dem BIP Auskunft über den Zustand der Gesellschaft geben. Aber im Cockpit ist das Tachometer immer noch am wichtigsten – das ist und bleibt das Bruttoinlandsprodukt.


Dies ist ein Beitrag aus der Reihe “WachstumsBlog”. In einem bis zwei Beiträgen pro Woche beschäftigen sich Wirtschaftsexperten im ÖkonomenBlog mit Themen rund um nachhaltiges Wachstum.

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