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Mehr innovative Denker – weniger Energiestreber

Karl-Heinz Paqué: Vollbeschäftigt - Das neue deutsche Jobwunder, München 2012, Hanser. Dass hinter dem deutschen Jobwunder mehr steckt als Chancengerechtigkeit, Fachkräftemängel und demografischer Wandel zeigt Karl-Heinz Paqué in seinem Buch „Vollbeschäftigt“. Dem Ökonomen gelingt ein flotter Galopp durch die aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik.

Eins ist Karl-Heinz Paqué wirklich gelungen: Für einen Ex-Finanzminister (von Sachsen-Anhalt) hat er ein angenehm zahlenbereinigtes und für einen Professor der Volkswirtschaftslehre gut verständliches und damit massentaugliches Buch geschrieben – bewusst vereinfachend und kurz, gerade mal 250 Seiten. Und das zu einem Thema, das normalerweise ganze Institute mit Publikationen füllt: der Arbeitsmarkt – ein Leben mit Vollbeschäftigung. Doch die stilistische Meisterleistung ist nur das kleine Kompliment, das man ihm aussprechen kann. Tatsächlich gelingt ihm mit „Vollbeschäftigt“ nicht nur eine Analyse des neuen deutschen Jobwunders, sondern zugleich slalomt er sich durch die aktuellen wirtschaftspolitischen Themen der Republik. Und dies vollführt er so couragiert und elegant, als wäre es ein Bewerbungsschreiben auf ein neues politisches Amt.

Die strukturelle Einordnung vorweg: In den vergangenen 40 Jahren ist der Arbeitsmarkt pervertiert: von den Babyboomern Anfang der 70er Jahre, in denen die Konzerne König und die Bewerber dankbare Bittsteller waren, bis heute: Jetzt müssen sich Unternehmen bei den Arbeitnehmern bewerben, um überhaupt qualifizierten Nachwuchs zu bekommen. Als fundamentalen Wandel „vom chronischen Mangel an Arbeitsplätzen zum chronischen Mangel an Arbeitskräften“  beschreibt Paqué den aktuellen Arbeitsmarkt, wo Arbeit teurer, Kapital billiger und Innovationskraft knapp wird.

Es geht Paqué nicht um Arbeitsmarktzahlen oder boomende Branchen. Ihm liegt daran, auf die ökonomischen Folgen einer solchen Entwicklung hinzuweisen. So seien angesichts der relativen Knappheit von Arbeit, Kapital und Innovationskraft die ökonomischen Kosten beispielsweise der Energiewende kaum einzuordnen. Aus globaler Sicht hält es der Autor für nicht nachvollziehbar, wenn sich „Deutschland zukünftig stark auf regenerative Energieproduktion konzentriert, aus der Kernkraft aussteigt und Verbesserungen in der Technik der Kohlekraftwerke vernachlässigt“. Gerade diese Technik würde in der Entwicklung kohlereicher Giganten wie China und Indien voraussehbar eine große Rolle spielen. Deutschland würde sich zu einer Öko-Nation entwickeln „mit hervorragender Energiespartentechnologie, aber mit weit weniger industrieller Exzellenz, wie sie für das Land in seiner Wirtschaftsgeschichte charakteristisch war“.

Eine derart gestaltete ökologische und Soziale Marktwirtschaft ist für Paqué im Grunde das Ende der Sozialen Marktwirtschaft. „Die Anmaßung des Wissens, die sich der Staat erlaubt, und die damit in Verbindung stehende Festlegung der Forschung auf einen einzigen Bereich stehen in krassem Widerspruch zu einer ordoliberalen Grundhaltung, die darauf setzt, dass sich der Markt frei entwickeln darf.“

Die Innovationskraft ist für Paqué eines der entscheidenden Kriterien für die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften und für die Entwicklung ihrer Jobmärkte. Europa braucht mehr innovative Denker und wird deswegen früh oder später zu einer neuen Einwanderungsregion – das Amerika des 21. Jahrhunderts. Vor allem Deutschland ist aufgerufen, sich dieser Realität zu stellen und für eine effektivere Einwanderungspolitik zu sorgen. Paqué befürchtet allerdings, dass sich die Wirtschaft erst dann auf Veränderungen einlässt, wenn der Fachkräftemangel komplett an ihrer Haustür angelangt ist. Dann sei aber die Zeit endlich reif für ein neues Modell der Einwanderung: ein sogenanntes Punktesystem wie in Kanada, das verschiedene Karrieren wie Schulbildung, berufliche Qualifikation und Erfahrung, Alter, Anpassungsschwierigkeit und Sprachkenntnisse angemessen gewichtet. Paqué: „Dann erst werden auch die privaten Unternehmen bereit sein, massiv in zugewanderte Auszubildende zu investieren.“

Auch für die Politik sei es unumgänglich, sich weiter an Europas Peripherie für eine leistungsstarke und wettbewerbsfähige Infrastruktur der Wissensvermittlung einzusetzen, vor allen in den technischen Disziplinen. Diese Infrastruktur sei Bedingung für das dringend benötigte industrielle Wachstum.

Dass in seinem Buch auch die schwierigsten Herausforderungen lösbar erscheinen, mag am optimistischen Blick des Autors liegen. Selbst der Krise in Griechenland – egal wie sie ausgeht – gibt Paqué eine Chance: Die Krise sei für die Griechen der einzige Weg, „doch noch ein modernes Griechenland zu werden, statt als billiger, korrupter Hinterhof Europas auszubluten“. Auch für die Europäische Union habe sie durchaus eine reinigende Wirkung, denn die Krise liefere der EU „einen Spiegel, in dem sie ihr eigenes Versagen der Vergangenheit erkennen kann“.