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Sehnsucht nach Ökonominnen

Die Krise der Wirtschaft scheint auch eine Krise des ökonomischen Denkens zu sein. Medien und Brancheninsider schlagen Alarm: Neue Ökonomen braucht das Land. Dahinter steckt nicht nur die Verzweiflung über die verfahrene Situation der Euro-Krise und das hoffnungslose Suchen nach Lösungen, sondern auch ein sehr notwendiger Wunsch: Es sollten viel mehr Frauen über Wirtschaft nachdenken.

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vor gut vier Jahren hat sich wohl kaum ein Beruf so dermaßen ins Rampenlicht gespielt wie der des Ökonomen. Dem Bild des Ökonomen ist das nur leider nicht allzu gut bekommen. Das liegt am Auftreten mancher Kollegen der Zunft. Viele von ihnen meinen nämlich die einzigen zu sein, die in dieser Welt voller wirtschaftlicher Verwirrungen und Komplikationen noch den Durchblick haben. Ebenso viele haben ein sehr hehres Bild von sich. „Sie halten sich für objektiver und unabhängiger als Nichtwissenschaftler. Sie billigen sich gerne eine moralische Position zu, welche sie fast niemand anderem zugestehen“. Das schreibt in der Faz ein gewisser Gebhard Kirchgässner, ein in seiner Selbstkritik zweifellos angenehmer Zeitgenosse und dazu Professor für Volkswirtschaftslehre und Ökometrie in St. Gallen.

Er ist nicht allein. Auch die Experten der Wirtschaftswoche und im Handelsblatt sprechen mittlerweile von dem penetranten Versuchen mancher Volkswirte, nicht nur ihre Studenten, sondern auch die Leser mit einer gnadenlosen Homo-Economicus-Denke brainwashen zu wollen. Führenden Lehrbuchautoren geht es oft nur darum, die Köpfe der nächsten Generation von politischen Führern und Managern, ja der gesamten Elite zu formen: „I don’t care who writes a nation’s laws – or crafts its advanced treaties – if I can write its economics textbooks“, meint Paul A. Samuelson, Verfasser eines der populärsten ökonomischen Lehrbücher. Und N. Gregory Mankiw, Autor eines anderen Lehrbuchs mit weltweiter Millionenauflage, erklärt sogar, er sei Missionar.

Vielen stinkt so ein Betragen. Selbst manchen Insidern der Branche: „Die Finanzkrise hat ihre Wurzeln in einem analytischen Scheitern der Ökonomen“, sagt Andrew Haldane. Der Leiter der Abteilung Finanzstabilität der britischen Zentralbank macht sich als einer der lautstärksten Kritiker der etablierten ökonomischen Forschung für eine grundlegende Neuausrichtung der Makroökonomie stark – das Fach müsse mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten und realistischere Modelle konstruieren.In der Öffentlichkeit verlieren die Ökonomen vor allem darin ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie immer wieder ihre Prognosen korrigieren. Die Ausmaße von Boom und Rezession werden permanent unterschätzt. So haben erst vor einigen Wochen das Ifo-Institut, das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) ihre Wachstumsprognose für 2013 halbiert. Sie rechnen für das kommende Jahr mit einem Plus von nur noch 1,0 statt 2,0 Prozent. „Ökonomen sind schlecht darin, Dinge vorauszusagen. Ökonomen sind auch nur Klempner: Ich erwarte von meinem Klempner keine Vorhersage, sondern eine Reparatur. Wir Ökonomen sind da, um nach der Krise zu reparieren“, meinte der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Robert Solow bereits zu Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Eine Wirtschaftskrise ist immer auch eine Krise des ökonomischen Denkens. Daher ist es kein Wunder, wenn sich die Szene jetzt nach neuen Ökonomen mit neuen Ideen und Ansätzen sehnt. „Die Ökonomie der Zukunft“, schreibt das Handelsblatt, „hat nicht ein Gesicht, sondern viele“. In einer Porträtreihe erklärt die Wirtschaftszeitung Ökonomen wie Steffen Roth, Moritz Schularick, Thomas Lux, Bernd Irlenbusch, Richard Werner, Markus Brunnermeier oder Armin Falk zu den Hoffnungsträgern – Namen, die man sich merken sollte. Dazu zählt auch die deutsche Berkley-Professorin Ulrike Malmendier – eine Frau unter wenigen. Und darin liegt die Krux: Die Wirtschaftswissenschaften sind bisher ein männlich dominiertes Gebiet. Immer noch schaffen es nur wenige Frauen in die Spitze. Auch wenn der Frauenanteil unter den VWL-Professuren in Deutschland vor zwanzig Jahren gerade mal bei zwei Prozent lag und heute immerhin schon bei zwölf Prozent liegt, reicht das bei weitem noch nicht aus. Eine Veränderung ist notwendig. Denn die Herangehensweise der Forscherinnen an ökonomische Fragen kann einen neuen Weg für die Wirtschaftswissenschaften freimachen. „Vielleicht liegt es daran, dass VWL, so wie es an der Universität gelehrt wird, auf Frauen abschreckend wirkt“, meint die Harvard Ökonomen Claudia Glodin, der Vorteil der Frauen sei, dass sie über Fragen nachdenken wollten, „die am Menschen orientiert sind und sie wollen Lösungen, die Individuen helfen, etwa in Gesundheitsfrage oder Biologie.“

An der fehlenden praktischen Sichtweise scheitern zum Beispiel auch die meisten Vorhersagen: Der Hauptgrund für Fehlerquoten bei Wirtschaftsprognosen liegt darin, dass viele Ökonomen (männliche) die Kenntnisse der Verbraucherpsychologie nicht berücksichtigen. Das ist sehr bedauerlich. Dabei lohnt es sich sehr. Denn die an Menschen und ihrem Alltag orientierte Ökonomie ist nicht nur realitätsnäher, sondern auch preisverdächtiger: Kennen Sie beispielsweise Alvin Roth und Lloyd Shapley? Die beiden sind die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger und können Ihnen bei vielen Alltagsschwierigkeiten helfen. Zum Beispiel: Wie bekomme ich einen Kindergartenplatz? Eine Spender-Niere? Eine Traumfrau? Die beiden haben dazu die Lösung – per Algorithmen-Rechnung.