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Misstrauen in die Marktwirtschaft

Der Wohlstand in unserem Land gründet auf einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem. Das Leitbild „Soziale Marktwirtschaft“, das Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard vor über 60 Jahren entwickelten, sollte Wohlstand für alle möglich machen. Heute wird das Konzept mit Füßen getreten.

Deutschland gehört zu den erfolgreichsten und sozialsten Nationen auf diesem Globus, obwohl manche aufgeregten Debatten einen anderen Eindruck zu erwecken suchen. Ein Drittel der Jahreswirtschaftsleistung wird in unserem Land für soziale Leistungen ausgegeben.

Eine florierende Wirtschaft und wachsender Wohlstand braucht aber wirtschaftspolitische Grundprinzipien. Walter Eucken, einer der großen ordoliberalen Denker, zählte dazu den Respekt für die Eigentumsrechte und die Vertragsfreiheit, eine stabile Währung, fairen Wettbewerb und die Betonung der privaten Haftung.

Einige dieser Grundregeln sind in den vergangenen Jahren in Deutschland, in Europa, ja global mit Füßen getreten worden. Das Vertrauen in den Euro ist massiv geschwunden, seit mit kreditfinanzierten Rettungsschirmen und der Notenbankpresse unsolide Volkswirtschaften über Wasser gehalten werden. Das Primat der privaten Haftung gilt zwar für Unternehmen in der Realwirtschaft, aber nicht im Casino-Kapitalismus der oft virtuellen Welt der Finanzmärkte. Die schärfste Waffe im Kapitalismus, der Totalverlust, wird dort seit Jahren von Regierungen und Notenbanken außer Kraft gesetzt, die Haftung für unverantwortliche Geschäftspraktiken sozialisiert.

Angesichts mancher Exzesse verwundert es nicht, dass sich die Einstellung der Bundesbürger zu unserer marktwirtschaftlichen Ordnung ändert. Die Akzeptanz der Marktwirtschaft erodiert förmlich. Zum ersten Mal bejaht auch eine relative Mehrheit in Westdeutschland (43%) die Aussage, Marktwirtschaft führe automatisch zu sozialer Ungerechtigkeit. Vor zehn Jahren vertraten nur 32% diese Ansicht.

Weil Ursache und Wirkung verkannt werden, steht die Marktwirtschaft selbst plötzlich im Fokus der Kritik, statt die Nichtanwendung ihrer Ordnungsprinzipien zu skandalisieren. Jetzt setzen zu viele allein auf den Staat, der mehr Betreuung, Schutz und Kontrolle bieten soll. Doch diese Erwartungshaltung steht in umgekehrtem Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten der überschuldeten öffentlichen Haushalte. Trotzdem verfängt der unterschwellige Ruf nach dem starken Staat auch im Parteienwettstreit. Unter der Flagge eines „Gerechtigkeits-Wahlkampfs“ erleben wir derzeit einen Wettlauf um neue soziale Wohltaten: Betreuungsgeld, höheres Kindergeld, Garantie- und Lebensleistungsrente, höhere Renten für Eltern, höhere Hartz IV-Regelsätze und so weiter und so weiter.

Obwohl drei Viertel der  Deutschen laut Umfragen die finanzielle Lage des Staates für „nicht so gut“ oder „gar nicht gut“ halten, haben sie die allergrößten Probleme, konkrete Sparmaßnahmen zu befürworten. An sozialen Leistungen darf überhaupt nicht gespart werden. Dagegen finden höhere Steuern für Wohlhabende demoskopische Dreiviertelmehrheiten, als ob damit allein die weitere Volksbeglückung zu finanzieren wäre.

Unser Land braucht eine breite gesellschaftspolitische Debatte über eine Renaissance der Wohlstandsmarke „soziale Marktwirtschaft“. Dazu gehört eine Ächtung des Casino-Kapitalismus, eine Wertedebatte um die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns und eine Wiederentdeckung des Erhard’schen Imperativs: „Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet wurde!“

Wer in Robin Hood-Manier die Tüchtigen noch stärker zur Sozialstaatsfinanzierung heranziehen will als heute, dem gehen die Leistungsbereiten womöglich von der Fahne. Frankreich lässt grüßen!  Dann fehlt am Ende nicht nur das Steueraufkommen für neue soziale Wohltaten, sondern auch für den vertrauten Wohlstand.