Autor: Jutta Allmedinger

ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

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Jutta Allmedinger

ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

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Arbeit an sieben Baustellen

Der Einstieg in Arbeit ist einfacherer geworden. Aufschwung und Arbeitsmarkreformen der vergangenen Jahre haben die Jobchancen für die meisten Menschen verbessert – aber nicht für alle. Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte haben es besonders schwer – gerade jetzt in der Krise. Was muss geschehen? WZB-Präsidentin Prof. Jutta Allmendinger nennt sieben Baustellen – harte Arbeit für die Politik.

1. Erwerbsarbeit zu haben ist besser als auf Arbeit zu warten. Es ist eindeutig empirisch belegt, dass der Mensch besser sozial integriert ist, wenn er arbeitet, selbst wenn er damit genau so wenig verdient wie er als Erwerbsloser erhielte. Das zeigt, wie wichtig es ist, Menschen so lange wie möglich in Beschäftigung zu halten; die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes ist deshalb richtig.

2. Wir dürfen Arbeitslose und Kurzarbeiter nicht allein lassen, wir müssen sie für die Zukunft rüsten. Der im Moment gängige Slogan, dass wir gestärkt aus der Krise herauskommen, ist meines Erachtens überhöht. Achten müssen wir aber darauf, dass die Krise nicht zu einer Schwächung der Wiedereinstiegschancen führt, weil Arbeitnehmer Qualifikationen verlieren und die Chance zur Weiterentwicklung nicht genutzt wird.

3. Wir müssen Erreichtes sichern. Hierzu gehört eine Betriebskultur, die Ältere und Eltern akzeptiert. Folglich sollte der Arbeitslosengeld-I-Bezug für Ältere nicht verlängert werden, und Altersteilzeitmodelle sollten nicht neu aufgelegt werden. Das gilt zumindest für Altersteilzeitmodelle im traditionellen Sinn, in dem über 90 Prozent das sogenannte Blockmodell wählten und über mehrere Brücken oft schon als 53-jährige den Arbeitsmarkt verlassen konnten. Altersteilzeit im Sinne reduzierter Arbeitszeiten wäre eine gangbare Alternative. Das gilt für die Erwerbstätigkeit insgesamt: Ich plädiere für eine (freiwillige) Umverteilung von Arbeitszeit. Neben den Älteren sollten wir auch Frauen mit Kindern stärker auf dem Arbeitsmarkt halten und dafür Instrumente entwickeln. Erwerbsunterbrechungen schaden Frauen, und zwar noch verstärkt seit der Neuregelung des Unterhaltsrechts.

4. Die negative Konnotation von Aufstockung und der Kombination von Erwerbseinkommen und sozialen Transfers halte ich für ungerechtfertigt. Eine Umverteilung von Arbeitszeit wird die Zahl der „Aufstocker“ erhöhen, gleichermaßen aber eine Verbundenheit von mehr Menschen mit dem Arbeitsmarkt unterstützen.

5. Dequalifikation zu vermeiden ist das eine, Qualifikationen aktiv aufzubauen ist das andere. Schon heute wird diskutiert, das Kurzarbeitergeld nicht mehr mit Weiterbildungsprogrammen zu kombinieren. Dies ist der falsche Weg. Stattdessen müssen Strukturen der Weiterbildung aufgebaut werden, und Arbeitslose bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen die ersten sein, die an diesen Bildungsformen teilhaben dürfen. Das Denken an Morgen umfasst natürlich auch den hohen Anteil bildungsarmer Personen, die immer mehr zu „Altbewerbern“ werden und kurz-, mittel- und langfristig keine Möglichkeiten zur Integration in den Arbeitsmarkt haben.

6. Angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der Zunahme von Hartz IV-Beziehern ist das politische Gerangel um die Betreuung von Langzeitarbeitslosen ein Skandal. Gerade Langzeitarbeitslose brauchen institutionelle Strukturen und persönliche Unterstützung, um Wege in den Arbeitsmarkt finden zu können. Die Frage des Umbaus von Arbeitsgemeinschaften und optierenden Kommunen darf meines Erachtens nicht auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben werden.

7. Als hohen Wert sollten wir auch in den nächsten Monaten eine solide, transparente und ehrliche Arbeitslosenstatistik ansehen. Bestimmte Personengruppen aus der Zählung auszuschließen hilft weder diesen Menschen noch dem Aufbau entsprechender Programme noch dem öffentlichen Diskurs.


Die Autorin ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Hier kommen Sie zur aktuellen WZB-Studie „Einstiegswege in den Arbeitsmarkt“.