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Reform tut nicht weh

Still ruht der See – die Reform der Mehrwertsteuer kommt seit Monaten kein Stück voran. Obwohl sich die Koalitionsparteien eine Vereinfachung der Steuersätze vorgenommen hatten, passiert bisher nichts. Das DIW Berlin liefert jetzt erneut gute Argumente, aus dem Tiefschlaf aufzuwachen: Eine kluge Reform der Mehrwertsteuer tut keinem weh – wäre aber aus vielen Gründen sehr sinnvoll. Eine ganz einfache Lösung (alles auf einen Steuersatz) brächte Transparenz, würde Mitnahmeeffekte vermieden, Bürokratie und Wettbewerbsverzerrungen abbauen. Wie aber wirkt sich eine Reform auf unsere Portemonnaies aus? Hier lässt das DIW völlig überflüssig die Alarmlocken läuten und warnt vor „unsozialen Folgen eines einheitlichen Mehrwertsteuersatzes“. Reformvariante 1 sieht so aus: der ermäßigte Steuersatz fällt weg – alle Güter, auch die Lebensmittel werden dann mit 16 Prozent besteuert (der allgemeine Steuersatz wird um drei Punkte gesenkt). Das hat die Wirkung, dass die Haushalte mit den geringsten Einkommen steuerlich höher belastet werden – um 0,46 Prozent des jährlichen verfügbaren Einkommens. Das DIW bezeichnet das als „unsozial“.

Die Reformvariante 2 lässt die Lebensmittel außen vor (sie bleiben mit 7 Prozent ermäßigt) – dafür kann der Steuersatz für alle anderen Güter nur um einen Punkt auf 18 Prozent gesenkt werden. Eine Umverteilungswirkung ist hier kaum vorhanden: Die ärmsten Haushalte werden um 0,03 Prozent entlastet, die reichsten Haushalte um 0,07 Prozent belastet. Diesen Weg hält das DIW für praktikabel und sozial ausgewogen.

Wenn sich die Politik wenigstens auf die zweite Variante (alles auf 18 – außer Lebensmittel) einigen könnte, wäre ein erster guter und hilfreicher Schritt hin zu einer Steuervereinfachung und Bürokratieentlastung getan. Andererseits muss man die Panik-Kommunikation des DIW kritisch hinterfragen. Bei der umfassenden Reform (Variante 1 mit 16 Prozent auf alles) würden die Haushalte mit den geringsten Einkommen jährlich gerade einmal um etwa 50 bis höchstens 100 Euro im Jahr belastet – wer bei diesen Summen die Keule der „sozialen Ungerechtigkeit“ herausholt, provoziert unnötige Ängste und Reformblockaden. Besonders fraglich ist die DIW-Warnung vor der dritten Reform-Variante (alles auf 19 Prozent – ohne Kompensation), die sowohl in der Politik, wie auch im wissenschaftlichen Umfeld von keinem in Erwägung gezogen wird. Kommunikativ hätte das DIW mit seinen eigenen Zahlen eine ganz andere Botschaft vermitteln können: Eine Reform der Mehrwertsteuer ist möglich, sinnvoll und sozial ausgewogen. Die Variante 2 mit 18 Prozent und ermäßigten Lebensmitteln scheint die praktikabelste Lösung zu sein, für die es sich lohnt, einen Konsens zu entwickeln.


Weitere Informationen

DIW-Studie, April 2011: Volle Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel belastet vor allem Geringverdiener

Appell zur Reform der Mehrwertsteuer – Wissenschaftler trommeln für Steuerreform

Gutachten „Zur Reform der Mehrwertsteuer“ von Prof. Dr. Rolf Peffekoven – 16 Prozent auf alles