Wachstum

Buchkritik, Finanzmarkt, Ordnungspolitik, Soziales, Steuern und Finanzen, Umwelt, WachstumTagged , Leave a Comment on Gut Geld will Weile haben

Gut Geld will Weile haben

Buchkritik: Caspar Dohmen: Good Bank – das Modell der GLS Bank, Freiburg 2011

Die Finanzkrise und vor allem die Katastrophe von Fukushima haben der Bochumer GLS Bank im März so viele Kunden wie noch nie in einem Monat beschert: 2000 Neukunden. Seit 2007 sind es im Durchschnitt monatlich 1.500. Vorher lag die Zahl drunter. Die sozial und ökologisch motivierten Anleger, die zur Genossenschaftsbank ins Ruhrgebiet wechseln, wollen den ökonomisch-ethischen Spagat: sozialen Mehrwert und gute Rendite.

In einer für alternative Sparmodelle sensiblen Zeit erklärt der Finanzjournalist Caspar Dohmen in seinem nun erschienenem Buch „Good Bank“ am Beispiel der GLS Bank das „Good Banking“. Weit entfernt vom Typus grüner Gutmensch und Weltverbesserer mit selbstgestrickter Sparsocke zeigt Dohmen zweifellos sympathisierend aber auch kritisch den Weg der Bank von ihrer Gründung 1974 bis heute. Er erläutert den „moralischen Mehrwert“, den Sinn und Unsinn der „grünen Revolution“, erklärt an Beispielen aus der Realwirtschaft die Trias der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie und Soziales) und lockert die Kapitel ebenso unterhaltend wie informativ mit Interviews auf. Darunter mit dem Ökonomen Hans Christoph Binswanger, dem Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, GLS-Vorstandssprecher Thomas Jorberg oder auch Attac-Gründungsmitglied Sven Giegold.

Die Idee der GLS-Bank: Wer sein Geld auf eines ihrer Konten überweist, kann entscheiden, für welche soziale, ökologische und ökonomisch sinnvollen Projekte die Bank das Geld verwendet. Wer dort ein Sparkonto eröffnet, kann zudem selbst bestimmen, wie viel Zinsen zwischen Null und dem branchenüblichen Satz er in Anspruch nehmen will. Bei solchen Modellen seien vor allem Geldanleger gefragt, die nicht nur soziale und ökologische Motive hätten und sehr stark auf Transparenz wert legten, sondern die auch bereit seien, auf einen Teil ihres Zinses zu verzichten, meint der Autor. Für sie sei nicht Gewinnmaximierung das ausschließliche Ziel, sondern die Frage, in welcher Gesellschaft man grundsätzlich leben wolle.

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Arbeitsmarkt, Bildung, Ordnungspolitik, Soziales, WachstumTagged , , , , , , , 5 Kommentare zu „Altes Eisen“ als Edelmetall der Wirtschaft

„Altes Eisen“ als Edelmetall der Wirtschaft

In den kommenden fünf Jahren wird sich die in Deutschland bestehende Arbeitskräftelücke um weitere 1,5 Millionen Personen vergrößern: Schon für 2015 erwartet Prognos bei den gegebenen Rahmenbedingungen einen Arbeitskräftemangel in Deutschland in Höhe von knapp drei Millionen Mitarbeitern.

Wenn wir dieses Szenario ernst nehmen und die entstehende Situation gestalten wollen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Mit der Weiterbeschäftigt im Rentenalter (Silver Work) lässt sich ein wichtiger Beitrag zur Abfederung der dynamisch entstehenden Lücken leisten. Viele Menschen sind auch jenseits des gesetzlichen Rentenalters leistungsfähig und leistungswillig. Viele Unternehmen verfügen aber noch immer über zu wenig oder gar keine Erfahrung mit älteren Mitarbeitern oder bemühen zum Teil gar überkommene Altersbilder und Stereotype. Zudem scheinen bestehende Regelungen vorauszusetzen, dass mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters kein Wunsch mehr nach Arbeit bestünde.

Mit der Arbeit im Rentenalter erschließt sich für viele bei entsprechenden persönlichen Voraussetzungen eine wichtige Quelle für persönliches Wohlbefinden und Gesundheit und kann gleichzeitig die Möglichkeit eines zusätzlichen Verdienstes realisieren. Die Motivation, in den Ruhestand zu gehen, beruht demnach nicht allein auf dem Wunsch nach vollständigem Rückzug aus Erwerbsarbeit bei gleichzeitigem Bezug von Rente oder Pension. Sie schließt fallweise auch das Bedürfnis nach fortgesetzter, jedoch im Regelfall reduzierter Arbeit ein. Für Organisationen kann die Einbindung von Rentnern eine gewinnbringende Lösung darstellen. In der Arbeitsmarktrealität sind schon seit mehreren Jahren verschiedene Ansätze in Deutschland zu beobachten, die sich der befristeten Vermittlung von Experten im Ruhestand widmen.         

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Europa, Finanzmarkt, Soziales, WachstumTagged , , , , , , 4 Kommentare zu Wieviel Souveränität verträgt Europa?

Wieviel Souveränität verträgt Europa?

Das Bundesverfassungsgericht hat in Sachen Euro-Rettung gesprochen. Politik und Medien loben diese Entscheidung fast unisono: als diplomatisch, europafreundlich und klug. Dabei wirkt der Richterspruch reichlich schizophren. Die Euro-Rettungsschirme werden als verfassungsgemäß eingestuft, obwohl sie den Rettern jahrzehntelange und Hunderte von Milliarden schwere Bürden aufhalsen.

Damit werden definitiv Fakten geschaffen, die den Deutschen Bundestag, dessen Rechte die Richter ja ausdrücklich stärken wollen, auf lange Sicht präjudizieren. Denn was nützt die Befristung des bisherigen provisorischen Stabilisierungsmechanismus bis Ende 2012, wenn die garantierten Kreditlinien anschließend dauerhaft in einen Europäischen Stabilisierungsmechanismus überführt werden müssen. Dann hat das Parlament doch genau den Spielraum nicht mehr, den die Verfassungsrichter ihm vermeintlich eingeräumt haben. Der Zug in die europäische Transferunion fährt jetzt ungehindert mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts weiter. Eine merkwürdige Inkonsistenz, hinter der sich aber das Kernproblem der europäischen Währungsunion versteckt:

Wieviel Souveränität verträgt die nationale Budgetpolitik in einem Wirtschaftsraum mit einer gemeinsamen Währung? Wollen wir die politische Union, die notwendigerweise mit dem Verlust nationaler Entscheidungskompetenzen einhergeht? Wieviel supranationale „Vergemeinschaftung“ vertragen die Bürgerinnen und Bürger, die sich schon von der nationalen Politik frustriert abwenden?

Heute rächt sich bitter, dass gerade eine deutsche Regierung – gemeinsam mit Franzosen und Italienern – im Jahr 2003 und 2004 den europäischen Stabilitätspakt aushöhlte. Wie mühsam solides Wirtschaften ist, sehen wir doch in der deutschen Haushaltspolitik. Politiker scheuen das Sparen wie der Teufel das Weihwasser, weil Wähler auf Einschnitte mit Stimmentzug reagieren. Die gleichen Wähler übrigens, die in Umfragen in schöner Regelmäßigkeit für weniger Staatsschulden plädieren. Auch das ist schizophren.

Aus meiner Sicht brauchen wir eine Insolvenzordnung für Staaten in der EU. Griechenland könnte selbst für ein Ende mit Schrecken, statt eines Schreckens ohne Ende sorgen: durch einen möglichst raschen Ausstieg aus der Euro-Zone und eine Staatsinsolvenz. Womöglich sorgte dieses Fanal erst für die Stabilitätskultur in der Euro-Zone, ohne die eine weitere europäische Integration und der sukzessive Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte der Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten nicht vermittelbar sein wird.

Bildung, Buchkritik, Finanzmarkt, Ordnungspolitik, Steuern und Finanzen, WachstumTagged , , , , , , 3 Kommentare zu Kontrolle im Country Club

Kontrolle im Country Club

Buchkritik: Gordon Brown: Was folgt – wie wir weltweit neues Wachstum schaffen, Frankfurt am Main 2011

Sein Buch hätte als eine der elegantesten Bewerbungsschreiben der Geschichte für den Chefposten des IWF eingehen können. Schließlich war der Job vor wenigen Wochen kurzfristig frei geworden. Doch bekanntermaßen kam Gordon Brown eine gewisse Französin zuvor. „Was folgt – wie wir weltweit neues Wachstum schaffen“ des britischen Ex-Premiers wagt den Rundumschlag für die Erneuerung der Weltwirtschaft – gut und verständlich geschrieben, anregend, anekdotisch und durchaus selbstkritisch. Schade nur, dass seine Überlegungen zu oft nur als Arbeitsthesen formuliert sind und dadurch recht akademisch wirken.

Brown ist überzeugt, dass es den Volkswirtschaften nur durch globale Kooperation und Koordination gelingen wird, in den nächsten Jahren ein Wachstumsniveau zu erreichen, das die heutigen Annahmen übertrifft. Die Zeit der Alleingänge sei vorbei. Es gelte einen weltweit verbindlichen, neuen Mechanismus zur Krisenprävention zu entwickeln, um die Ungleichgewichte infolge globaler Kapitalströme in Angriff nehmen. Ein solches Instrument müsse eine aktive und transparente Überwachung ermöglichen. So könnten beispielsweise „Country Clubs“, moderne Investorennetze, in denen Gläubiger und Länder in einen offenen Dialog treten, für größere Transparenz und Kontrolle sorgen.

Grundsätzlich sind die Weltwirtschaftsprobleme für Brown struktureller Natur – der Konsum muss angekurbelt werden, die Verbraucherausgaben zurückgehen. Eine Wiederkehr des hohen globalen Nachfrageniveaus ist für ihn ohne globalen Wachstumsplan nicht möglich. Brown listet vor allem den USA und den Bric-Staaten Hausaufgaben auf: Die Amerikaner müssen die Chancengleichheit für ihre Bevölkerung erhöhen und stärker in Aus- und Weiterbildung investieren. China soll soziale Absicherung seiner Arbeiter bezahlbarer und Wohnen für die Menschen billiger machen. Zudem soll das Land die Kreditvergabepraktiken seiner Banken reformieren und der ganzen Welt seinen Markt für Finanzdienstleistungen öffnen.

Indien und die asiatischen Volkswirtschaften müssen mehr in den Ausbau ihrer Infrastruktursysteme investieren, die Qualität von Bildung und Qualifikationen steigern und Schulden und Defizite besser kontrollieren. Russlands Zweiklassengesellschaft mit finanziell starkem staatlichen und schwachen privatem Sektor kann nur durch Diversifizierung weg von Öl und Gas und durch ein Wirtschaftsreformprogramm auf ein nachhaltiges höheres Wachstumsniveau hoffen, das unabhängig von volatilen Rohstoffen ist. Brasilien schließlich gibt der Autor den Rat, mehr im Ausland zu investieren als ständig die Ersparnisse oder den Verbrauch im eigenen Land zu erhöhen.

Ausschlaggebend ist für Brown, Sohn eines schottischen Pastors, letztlich die soziale Komponente. Soziale und wirtschaftliche Fragen seien untrennbar verbunden. „Im 21. Jahrhundert brauchen Markt und Staat die Unterstützung von ethischen Standards“, schreibt er. Brown meint damit den Dritten Weg, mit dem er und Tony Blair Anfang der 90er angetreten waren. Und mit dem sie knapp zwanzig Jahre später auch nicht einen der größten Bankenzusammenbrüche der Geschichte verhindern konnten.

Arbeitsmarkt, Bildung, SozialesTagged , , , , , , , 11 Kommentare zu Der Niedriglohnsektor: Risiko oder Chance?

Der Niedriglohnsektor: Risiko oder Chance?

Die Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland nimmt zu: Hatten 1994 noch 16 Prozent der Beschäftigten einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle, so waren es 2009 bereits mehr als 22 Prozent. Eine besorgniserregende Nachricht, könnte man meinen. Und viele leiten aus diesem Befund auch bereits Forderungen nach staatlicher Regulierung ab. Ist der Niedriglohnsektor eine Gefahr, weil besser bezahlte Arbeit immer seltener wird und Arbeit wenn überhaupt nur noch zu Niedriglöhnen zu finden ist? Oder ist er vielleicht eher eine Chance, weil er Beschäftigungsgelegenheiten für Menschen bietet, die ohne ihn auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen würden?

Um dieser Frage näher zu kommen, haben wir die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nach ihrem Lohnstatus eingeteilt. Demnach gibt es

– Geringverdiener, deren Bruttostundenlohn unter der Niedriglohnschwelle von zwei Dritteln des Durchschnittslohns liegt (das waren 2009 knapp 9 Euro)
– Normalverdiener, deren Lohn oberhalb der Niedriglohnschwelle liegt
– Sonstige Erwerbstätige, für die keine oder keine sinnvollen Informationen zum Stundenlohn vorliegen (zum Beispiel Auszubildende oder Selbstständige)
– Nicht erwerbstätige Personen (zum Beispiel Schüler, Studenten, (Früh-)Rentner)

Betrachtet man die Entwicklung seit 1994, so zeigt sich: Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung ist kräftig gestiegen. Er stieg aber nicht auf Kosten des Segments der Normalverdiener. Deren Anteil liegt vielmehr stabil bei rund 45 Prozent. Zuletzt ist er sogar leicht angestiegen. Der Niedriglohnsektor wuchs vielmehr auf Kosten des Anteils der nicht erwerbstätigen Personen. Mit anderen Worten: die Niedriglohnbeschäftigung entstand in Form von zusätzlichen Arbeitsplätzen, die es vorher nicht gab.

Diese neuen Arbeitsplätze boten nicht zuletzt Beschäftigungschancen für Menschen mit geringen Qualifikationen. Für 46 Prozent der Jobs im Niedriglohnbereich ist keine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich. Unter den Arbeitsplätzen im Normalverdienersegment sind das nur 20 Prozent. Zwar verfügen viele Geringverdiener über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Doch entweder wird diese für ihre Tätigkeit gar nicht benötigt oder die Ausbildung fand in einem ganz anderen Berufsfeld statt, als für die ausgeübte Tätigkeit eigentlich erforderlich wäre.

Wächst nun mit zunehmender Niedriglohnbeschäftigung neue Armut heran? Wer wenig verdient, kann schließlich auch wenig ausgeben. Bedacht werden muss, dass sich das Haushaltseinkommen, was für die Frage der Armut entscheidend ist, häufig aus mehreren Quellen speist. Zu dem Einkommen aus einem Niedriglohnjob kommt häufig das Einkommen eines Partners hinzu. Erwerbseinkommen aus Niedriglohnbeschäftigung hat oft nur ergänzenden Charakter für das gesamte Haushaltseinkommen. Im Ergebnis ist nicht einmal jeder sechste Niedriglohnempfänger gleichzeitig auch arm. Die Armutsquote der Niedriglohnempfänger von 16 Prozent ist zwar höher als die der Normalverdiener. Sie ist aber erheblich niedriger als das Armutsrisiko der Arbeitslosen, die auf eine Quote von 60 Prozent kommen. Wer mit einen Niedriglohnjob aus der Arbeitslosigkeit herauskommt, verbessert seine soziale Lage in der Regel deutlich.


Weitere Informationen zur Studie finden Sie hier

FinanzmarktTagged , , , , , 7 Kommentare zu Euro-Bonds: Die falsche Therapie!

Euro-Bonds: Die falsche Therapie!

Alle Vorgaben aus Maastricht konnten die europäische Schuldenkrise nicht verhindern. Erst mit dem Druck der Finanzmärkte kehrte auch die Haushaltsdisziplin zurück.  Deshalb mögen Finanzpolitiker die Finanzmärkte nicht. Denn deren Bewertungen legen die Finger in eine offene Wunde. Euro-Bonds würden diese disziplinierende Wirkung außer Kraft setzen.

Eine gesamtschuldnerische Haftung führt dazu, dass Defizitländer ihrer Verantwortung enthoben werden. Dagegen wird der Vorteil einer soliden Finanzpolitik vergemeinschaftet, was aber den Anreiz zu einer solchen Politik erodiert. Und über die Kosten, die verlässlichen Schuldenländern wie Deutschland durch die Bonitätsübertragung entstehen würden, kann nur spekuliert werden. Die vom EFSF ausgereichten Euro-Bonds liegen rund 0,8 Prozentpunkte über der Verzinsung der Bundesanleihe. Mit diesem Maßstab entstünden Deutschland Mehrkosten von jährlich 17 Milliarden Euro. Zugleich ist unklar, ob die wenigen AAA-Ratings der Mitgliedsstaaten infolge der gesamtschuldnerischen Haftung überhaupt erhalten blieben. Die Bereitschaft der soliden Euro-Staaten, sich für Europa einzusetzen, dürfte schwinden und der europäische Konsens droht zu zerbrechen.


Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung am 25. August 2011 in der Zeit erschienen.

Ordnungspolitik, Steuern und FinanzenTagged , , 8 Kommentare zu Positive Effekte von Steuersenkungen nicht unter den Tisch kehren!

Positive Effekte von Steuersenkungen nicht unter den Tisch kehren!

Trotz sprudelnder Steuereinnahmen müssen Bund, Länder und Kommunen weiterhin neue Schulden aufnehmen. Bleibt dann überhaupt noch Spielraum für eine Steuersenkung? Ja.

Denn: Eine Debatte zur Steuerreform darf nicht statisch, sondern muss dynamisch geführt werden. Zwar führt eine Steuersenkung kurzfristig zu Einnahmeverlusten. Mittel- bis langfristig ergeben sich jedoch positive Rückkopplungs- und Multiplikatoreffekte. Diese werden weder theoretisch noch empirisch bestritten. Denn der höhere Nettoverdienst führt in der Regel dazu, dass mehr konsumiert wird, was wiederum direkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sowie die Investitionen stimuliert und damit Wachstumsimpulse aktiviert. Beide Effekte führen unter sonst gleichen Bedingungen zu mehr Steuereinnahmen und könnten somit das Staatsdefizit reduzieren. Eine stärkere Konsumnachfrage erhöht die Umsatzsteuereinnahmen und mehr Investitionen dürften die Unternehmenssteuern ankurbeln. Das Ausmaß der so beschriebenen Selbstfinanzierung bleibt zugegebenermaßen angesichts der damit verbundenen Annahmen unklar, liegt aber wohl unter 50%.

Zudem wird der Zeitraum der Gegenfinanzierung in der Regel unterschätzt. Denn kreditfinanzierte Steuersenkungen werden (ebenso wie Ausgabenerhöhungen) über mehrere Jahre getilgt. Diese Logik gilt sowohl bei Privathaushalten als auch bei der öffentlichen Hand. Ansonsten wäre ein Kredit zur Überbrückung einer temporären Lücke sinnlos. Die in der politischen Argumentation mangelnde Betrachtung der dynamischen Prozesse einer Steuerreform sowie des notwendigen Zeitraums der Gegenfinanzierung zeigen, dass Sorgfalt und Ehrlichkeit bei der Steuersenkungsdebatte nicht selten zugunsten politischer Rhetorik zurückgestellt werden.


Dieser Blogbeitrag resultiert aus der Studie „Haushaltslöcher und Steuerentlastungen – Was ist zu tun?, von Prof. Dr. Bodo Herzog, erschienen in Position Liberal Nr. 99, Herausgegeben vom Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam 2011

In der Artikelserie ”Steuerentlastung und Haushaltskonsolidierung” von Prof. Dr. Bodo Herzog im ÖkonomenBlog bereits erschienene Beiträge:
11.08.2011 Wachsen mit geringeren Steuern
18.08.2011 Steuern senken! Aber richtig!

Arbeitsmarkt, Ordnungspolitik, Steuern und FinanzenTagged , , , , , , 10 Kommentare zu Steuern senken! Aber richtig!

Steuern senken! Aber richtig!

Neben der Haushaltskonsolidierung geht es zudem darum, langfristige und nachhaltige Wachstumskräfte zu stimulieren, die über die vorhandenen Wirkungen der sogenannten automatischen Stabilisatoren hinausreichen. Steuersenkungen oder eine Steuerstrukturreform ergeben aber nur dann Sinn, wenn sie richtig konzipiert sind, d. h. Leistungsanreize verbessern und damit langfristig Wachstumseffekte auslösen.

Handlungsbedarf besteht vor allem beim Einkommenssteuertarif: Vom deutlichen Anstieg der Grenzsteuersätze im unteren Einkommensbereich gehen leistungs- und anreizfeindliche Wirkungen auf das Arbeitsangebot der privaten Haushalte und die Investitionstätigkeit ertragsschwacher Unternehmen aus. Nicht zuletzt die inflationsbedingte „kalte Progression“ hat in den letzten Jahren immer mehr Haushalte und klein- und mittelständische Unternehmen in den aktuellen Grenzsteuersatz von 42% getrieben. Positive Beschäftigungs- und Wachstumseffekte dürften sich insbesondere bei einer Glättung des Verlaufs des Grenzsatztarifes ergeben. Einfach gesprochen: Es geht darum, am bekannten „Mittelstandsbauch“ abzuspecken. In einem zweiten Reformschritt könnte zudem, gemäß einem Vorschlag des Sachverständigenrates, die Einkommensschwelle für den linearen Steuersatz von 42% angehoben werden.

Generell gilt: Eine kopflose Steuersenkung, die nur auf vorübergehende, konjunkturell bedingte Steuermehreinnahmen beruht, ist nicht nachhaltig und finanzpolitisch fragwürdig. Vielmehr muss sich eine Steuerreform an den langfristigen Grundsätzen des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Netto-Prinzips orientieren.


Dieser Blogbeitrag resultiert aus der Studie „Haushaltslöcher und Steuerentlastungen – Was ist zu tun?, von Prof. Dr. Bodo Herzog, erschienen in Position Liberal Nr. 99, Herausgegeben vom Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam 2011

In der Artikelserie  “Steuerentlastung und Haushaltskonsolidierung” von Prof. Dr. Bodo Herzog im ÖkonomenBlog bereits erschienene Beiträge:

11.08.2011 Wachsen mit geringeren Steuern

Arbeitsmarkt, Bildung, Ordnungspolitik, Soziales, Steuern und FinanzenTagged , , , , 15 Kommentare zu Mehr Gerechtigkeit, mehr Wachstum

Mehr Gerechtigkeit, mehr Wachstum

Für die Wachstumsperspektiven des Geschäftsmodells Deutschland hat das Qualifikationsniveau der Beschäftigten eine herausgehobene Bedeutung. Deutschland weist komparative Vorteile in den Hochtechnologiebranchen wie Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Chemische Industrie aus. In diesen Branchen haben 60 bis 80 Prozent der beschäftigten Akademiker einen MINT?Abschluss (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Aber bereits heute gibt es bei den MINT-Akademikern Fachkräfteengpässe, die in den kommenden Jahren aus demografischen Gründen steigen werden. Um günstige Wachstumsperspektiven zu erhalten, ist es folglich entscheidend, das Qualifikationspotenzial in Deutschland zu stärken. Besonders erfolgversprechend ist es in diesem Zusammenhang, durch ein Mehr an Bildungsgerechtigkeit mehr Bildungsaufstiege zu ermöglichen.

Der Bildungsmonitor 2011 zeigt: Auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit konnten in den Bundesländern erhebliche Fortschritte erzielt werden. Die Voraussetzungen für eine individuelle Förderung haben sich verbessert, das Angebot an Ganztagsgrundschulen ist gestiegen und die Schüler-Lehrer-Relationen haben sich günstig entwickelt. Auch die Ergebnisse haben sich verbessert: Der Anteil der Schulabbrecher ist seit dem Jahr 2000 gesunken.  Die Erfolgsquoten in der beruflichen Bildung haben sich deutlich erhöht. So gab es im Jahr 2000 nur ein Bundesland, in dem mehr als 90 Prozent der Prüflinge die Prüfung der dualen Ausbildung bestanden. Heute wird diese Schwelle von der Hälfte der Bundesländer erreicht.

Schließlich gibt es auch von den Universitäten viel Positives zu vermelden: Im Jahr 2000 betrug der Anteil der Hochschulabsolventen an der Bevölkerung im entsprechenden Alter rund 16,9 Prozent. Bis zu den aktuellsten Daten aus dem Jahr 2009 stieg die Hochschulabsolventenquote auf einen Wert von 29,2 Prozent an. Die letzten Jahre können damit wie die 70er Jahre als Jahrzehnt der Bildungsexpansion bezeichnet werden. Dies hat sich in der Wertschöpfung in Deutschland niedergeschlagen: Allein durch die seit dem Jahr 2000 erfasste Zunahme an Hochschulabsolventen ist sie um 6,8 Milliarden Euro gestiegen.

Trotz aller Fortschritte bleibt die weitere Reduzierung von Bildungsarmut die zentrale Aufgabe für die Politik. Denn Bildung entscheidet stärker denn je über die Perspektiven jedes Einzelnen in der Gesellschaft. Bildung ist der entscheidende Faktor, um die Herausforderungen des demografischen Wandels zu meistern. Analysen zeigen, dass das MINT-Fachkräfteangebot ein zunehmend relevanter Engpassfaktor für die Wachstumsperspektiven am Standort Deutschland wird. In diesem Zusammenhang ist auch der MINT-Anteil an den Hochschulabsolventen zu erhöhen. Insbesondere das Potential der Kinder mit Migrationshintergrund muss durch eine bessere Förderung umfassender erschlossen werden.


Hier finden Sie alle Informationen zum Bildungsmonitor 2011.

Ordnungspolitik, Soziales, Steuern und FinanzenTagged , , , , , , 5 Kommentare zu Schluss mit dem Wohlstand auf Pump!

Schluss mit dem Wohlstand auf Pump!

Lange Jahrzehnte versprach unser Wohlfahrtsstaatsmodell den Menschen ständig wachsenden Wohlstand. Wer etwas leistet, bringt es zu etwas. Auch die kleinen Leute konnten sich durch Einsatz hocharbeiten, ihren Kindern bessere Bildungschancen ermöglichen und ihnen damit fast automatisch auch ein materiell besseres Leben ermöglichen. Abermillionen, die in den vergangenen 50 Jahren geboren wurden, kennen eigentlich nur die materiellen Segnungen unserer Wirtschaftsordnung. Ketzerisch zugespitzt: Vollkasko – aber ohne Selbstbeteiligung!

Doch wer am Wohlstandslack kratzte, konnte schon seit den Siebziger Jahren feststellen, dass der Wohlstand zunehmend kreditfinanziert wurde. Bereits vor vier Jahrzehnten begann das reiche Deutschland damit, soziale Leistungen mit Schulden zu finanzieren. Denn damals stieg erstmals die staatliche Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt über den prozentualen Anteil der Sozialausgaben an der Jahreswirtschaftsleistung. Doch wer anfängt, konsumtive Ausgaben mit Krediten zu finanzieren, der baut seinen Wohlstand auf Sand.

Und die Politik: Da wären jetzt Führungspersönlichkeiten gefragt, die der Bevölkerung glaubwürdig die Notwendigkeit von Einschränkungen vermitteln und Mut zu mehr Eigeninitiative und Selbständigkeit machen. Die aussprechen, was viele Bürgerinnen und Bürger von ihnen erwarten: Wahrhaftigkeit und schonungslose Offenheit! Ich habe als Politiker selbst in vielen Jahren erlebt, dass Wählerinnen und Wähler lieber für neue Versprechungen als für Sparvorschläge votieren. Doch in Zeiten der europäischen und amerikanischen Überschuldungskrise gieren immer mehr Menschen nach Klartext: Weniger ist mehr!

Finanzmarkt, Ordnungspolitik, Steuern und FinanzenTagged , , , , , 8 Kommentare zu Wachsen mit geringeren Steuern

Wachsen mit geringeren Steuern

Über Jahrzehnte hat Deutschland über seine Verhältnisse gelebt. Das Ergebnis: Eine exorbitante  Staatsverschuldung. Mit den Konjunkturpaketen der letzten Jahre sind die Schulden nochmals gestiegen – auf nunmehr über 2 Billionen Euro. Ohne eine energische Konsolidierung der öffentlichen Haushalte droht Deutschland immer stärker im Schuldensumpf zu ersticken. Ab heute wird Prof. Dr. Bodo Herzog in den kommenden Wochen, jeweils Donnerstags, in einer Artikelserie erläutern, warum Steuersenkungen und die dringend nötige Haushaltskonsolidierung kein Widerspruch sind.

Die fatalen Auswirkungen übermäßiger Staatsverschuldung, die Europa derzeit erlebt, befeuern auch in Deutschland die Debatte nach dem richtigen Weg der Haushaltskonsolidierung. Eine solide Finanzpolitik ist dringend notwendig, denn Konjunkturpakete und Finanzmarktstabilisierung haben den ohnehin schon hohen Schuldenberg nochmals gewaltig wachsen lassen. Neben einer soliden Finanzpolitik gilt es jedoch den Blick für eine nachhaltige, d. h. aber auch wachstumsfreundliche, Wirtschaftpolitik nicht zu verlieren.

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick nach Schweden. Inmitten der Finanzkrise beschloss die Schwedische Regierung Steuererleichterungen. Einerseits um damit positive Konjunktursignale zu setzen und andererseits um einen Teil der Gegenfinanzierung mit zukünftigen Wachstumsperspektiven zu erreichen. In einer empirischen Studie – publiziert in der renommierten Zeitschrift American Economic Review im Jahr 2010 – bestätigen die beiden berühmten Makroökonomen Christina Romer und David Romer die positive Wirkung eines Steuerimpulses auf das Wirtschaftswachstum. Kurzum: Eine steuersystematische Entlastung der Bürger stärkt Leistungsanreize und damit langfristig Wachstumskräfte, indem Investitionen stimuliert und damit die Kapitalbildung angeregt werden. Zugleich wird das Lohnabstandsgebot im unteren und mittleren Einkommensbereich gestärkt. Angesichts der von der Deutschen Bundesregierung beschlossenen Erhöhung der Regelsätze im Arbeitslosengeld II drängt eine solche Maßnahme für die immer kleiner werdende Mittelschicht mehr denn je. 


Prof. Dr. Bodo Herzog ist seit dem Jahr 2008 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere für Geldpolitik und Makroökonomik an der ESB Business School, Hochschule Reutlingen. Zuvor war er u. a. wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Dieser Blogbeitrag resultiert aus der Studie „Haushaltslöcher und Steuerentlastungen – Was ist zu tun?, von Prof. Dr. Bodo Herzog, erschienen in Position Liberal Nr. 99, Herausgegeben vom Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam 2011

Literaturhinweis: C. Romer and D. Romer (2010), The Macroeconomics Effects of Tax Changes: Estimates Based on a New Measure of Fiscal Shocks, American Economic Review, Vol. 100, p. 763-801.

Steuern und FinanzenTagged , , , , , 5 Kommentare zu Fernbusse: Wettbewerb spart Subventionen

Fernbusse: Wettbewerb spart Subventionen

Die Entscheidung der Bundesregierung zur Neufassung des Personen- beförderungsgesetzes ist grundsätzlich zu begrüßen. Seit 2007 fordert die Monopolkommission, den Fernbuslinienverkehr zu liberalisieren, zuletzt 2009 in ihrem Sondergutachten zum Bahnverkehr. Aber die Liberalisierung hätte durchaus noch konsequenter sein können.

Die Novelle sieht nämlich auch weiterhin eine Genehmigungspflicht für die Fernbuslinien vor. Für eine explizite Genehmigungspflicht, die über die Überprüfung von Sicherheitsvorschriften hinausgeht, gibt es aber keine überzeugenden Gründe. Bei Unternehmen und Behörden verursachen Genehmigungsverfahren erhebliche Transaktionskosten. Fernbusgesellschaften sind dadurch schwer kalkulierbaren und marktfremden Risiken durch die mögliche Verweigerung der Genehmigung ausgesetzt. Zudem bietet ein Genehmigungsverfahren immer ein Einfallstor für Klagen der mächtigen Konkurrenten. Ebenso unverständlich ist der Plan, den mit Steuermitteln unterstützten ÖPNV gegen den Busfernlinienverkehr zu schützen. Auch staatlich subventionierte Verkehre sollten nicht vor Wettbewerb geschützt werden. Im Gegenteil: Hier könnten durch die Streichung der Finanzhilfen sogar noch Steuergelder gespart werden.


Ähnliche Beiträge:
*”Freie Bahn für Busse – Von Prof. Justus Haucap”
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ArbeitsmarktTagged , , 14 Kommentare zu Jobs sind besser als ihr Ruf

Jobs sind besser als ihr Ruf

Der thüringische Wirtschaftsminister Matthias Machnig macht sich Sorgen über den Zustand unseres Arbeitsmarktes. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau kritisiert er am 26. Juli: Die „prekäre Beschäftigung“ würde steigen, vor allem die Zahl der Minijobs. All dies diene nur der „Kostenoptimierung“ und führe zur „Entwertung der Arbeit“. Machnigs Misstrauen ist unbegründet. Denn die Zahlen geben das nicht her.

Gerade in diesen Monaten ist zu beobachten: Die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten steigt stärker als die der Teilzeit-Arbeitsplätze (IAB, Juli 2011).  Und auch in den vergangenen Jahren haben sich die Jobchancen insgesamt deutlich verbessert. Die Zahl der Erwerbstätigen ist während der vergangenen fünf Jahre um beinahe zwei Millionen auf über 41 Millionen gestiegen. Der aktuelle Aufschwung am Arbeitsmarkt wird vor allem getragen durch „sozialversicherungspflichtige“ Arbeitsverhältnisse. Richtig ist, dass mit der Agenda 2010 die Bedeutung flexibler Erwerbsformen relativ zugenommen hat – dazu gehören zum Beispiel befristete Jobs, Halbtags-, Teilzeit- oder Zeitarbeitsstellen. Richtig ist aber ebenso, dass es sich hierbei um zusätzliche Beschäftigung handelt. Für den einzelnen Beschäftigten dienen diese Einstiegsjobs sehr oft als Sprungbrett hin zu höher bezahlten Anstellungen. Es gilt also weniger, die wachsende Bedeutung dieser neuen Arbeitsformen zu bemängeln. Vielmehr ist dies ein Beleg für den arbeitsmarktpolitischen (Agenda 2010-) Erfolg, Geringqualifizierte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Flexible Beschäftigungsformen haben in den vergangenen Jahren den Arbeitsmarkt ergänzt – und nicht alle dieser neuen Jobs sind im Niedriglohsektor entstanden.

Machnigs größte Sorge sind die Minijobs. Deren Anzahl ist zwar seit dem Jahr 2003 deutlich gestiegen – sie bleibt aber seit 2005 weitgehend konstant. Von einem akuten Problem kann also heute überhaupt keine Rede sein. Und von einer Verdrängung regulärer Beschäftigungsverhältnisse schon gar nicht. Etwa ein Drittel der Betroffenen Personen üben ihren Minijob zusätzlich, neben ihrem Hauptberuf aus.


Weitere Beiträge:
*Prof. Dr. Karl-Heiz Paqué: Arbeit für alle
*Prof. Dr. Thomas Straubhaar: Vollbeschäftigung ist keine Utopie

Finanzmarkt, Ordnungspolitik, Steuern und FinanzenTagged , , , , 1 Kommentar zu Steuersenkung ist kein Geschenk

Steuersenkung ist kein Geschenk

Der Staat brauche jeden Euro zur Konsolidierung der Finanzen sagen die meisten Politiker, Politikberater und Volkswirte. Die Bürger müssten auf Geschenke verzichten, den Gürtel weiter eng schnallen und ihren Beitrag zur Gesundung der öffentlichen Finanzen leisten. Die Wahrheit ist: Die deutschen Bürger haben diesen Beitrag schon längst geleistet. Innerhalb von nur drei Jahren (2005-2008) konnten Bund, Länder und Gemeinden ihre Steuereinnahmen von 452 auf 561 Mrd. Euro steigern. Ergebnis waren in den Jahren 2007 und 2008 erstmals seit langem deutschlandweit Überschüsse in den öffentlichen Kassen, bewirkt vor allem durch wirtschaftliches Wachstum sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozentpunkte, wohlgemerkt: eine Steuer auf den Endverbrauch aller deutschen Bürger!

Dann erst folgte die globale Finanzkrise und mit ihr ein Einbruch des Steueraufkommens um 37 Mrd. Euro in 2009. Schon in 2010 gab es aber eine leichte Erholung um 7 Mrd. Euro. Die Steuerschätzung vom Mai rechnet für 2011 und die darauf  folgenden Jahre bis 2015 mit kräftigen Zuwächsen von durchschnittlich 4,2 Prozent pro Jahr, in absoluten Zahlen: 121 Mrd. Euro. Es ergibt sich somit in den zehn Jahren 2005 bis 2015 ein erwartetes Steuerplus von exakt 200 Mrd. Euro. Von zunehmender öffentlicher Armut kann also überhaupt nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Schon Mitte dieses Jahrzehnts könnte die Erfüllung der Kriterien der Schuldenbremse von der Einnahmenseite her in Reichweite sein.

Wo liegt der Hauptgrund für diese positive Entwicklung? Nicht der Staat hat gespart, sondern die deutsche Wirtschaft wächst, und zwar viel schneller und robuster als noch Mitte des letzten Jahrzehnts vermutet. Ergebnis: Das Steueraufkommen steigt, und zwar bei praktisch allen Steuerarten. Die deutsche Wirtschaft ist eben höchst wettbewerbsfähig geworden, und dies verdankt sie ihrer Leistungskraft, letztlich also vor allem ihren Beschäftigten. Die sind im vergangenen Jahrzehnt erheblich produktiver geworden, haben aber dafür nur ganz moderate Lohnsteigerungen erhalten. Die Reallöhne gingen sogar im Trend zurück, genauso wie die Lohnstückkosten. Eine Steuersenkung ist heute alles andere als ein Geschenk. Darüber hinaus ist sie ein  durchaus vernünftiges Instrument zur allseits erwünschten Stärkung der Binnennachfrage.


Die Langfassung dieses Blogbeitrages ist als Namensartikel unter dem Titel „Der Obrigkeitsstaat meldet sich zurück“ am 11. Juli 2011 im Handelsblatt erschienen.

 Weitere Blogbeiträge zu diesem Thema:

*Heimliche Steuererhöhung vermeiden – Von Dr. Alfred Boss
*Gibt es Chancen auf Steuersenkungen? – Von Prof. Dr. Rolf Peffekoven

Europa, Finanzmarkt, Steuern und FinanzenTagged , , , , , , 2 Kommentare zu Schuldenkrise verlangt Lösung

Schuldenkrise verlangt Lösung

Der Kampf gegen die Schuldenkrise geht heute in Brüssel in die nächste Runde. Das Krisenhandeln der europäischen Staaten hat bisher weder die Kapitalmärkte noch die Wähler überzeugt. Mit den neuen Unsicherheiten in Italien erreicht die Schuldenkrise eine neue Qualität. Jetzt müssen Lösungen auf den Tisch.

Am Anfang muss ein ehrlicher Befund stehen. Die Probleme Griechenlands sind andere als die von Portugal, Spanien, Italien und Irland. Spanien und Italien haben keine Solvenzprobleme, sondern Schwierigkeiten sich Liquidität am Markt zu besorgen. Hier wirken vor allem politische Verunsicherungen, aber die fundamentalen Daten sprechen dafür, dass die Tragfähigkeit der Finanzen wieder hergestellt werden kann. Irland und Portugal haben transitorische Strukturprobleme – hier Banken, dort konsumtive Überdehnung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten, aber keine grundlegenden Verwerfungen.

Anders Griechenland. Seit 1975 gab es dort keinen Überschuss in der Leistungsbilanz mehr. Trotz Konsolidierungsanstrengungen besteht noch immer ein Solvenzproblem. Eine Umstrukturierung der Staatsschuld scheint unvermeidlich. Bleibt die Frage: wie und wann? Eine offene Umschuldung scheint angesichts der globalen Risiken unverantwortlich. Noch ein Kriseneinsatz wie nach Lehmann können sich die Staaten nicht mehr leisten. Eine Alternative muss her.

Marktschonender wäre ein Aufkauf notleidender Staatsanleihen durch die Schuldner. Das notwendige Kapital könnte der EFSF zu einem relativ niedrigen Zinssatz bereitstellen. Die Käufe würden die Gläubiger in Höhe der Differenz zwischen Nennwert und Marktwert beteiligen. Allerdings müssten zusätzlich Mittel für die Bedienung laufend fälliger Anleihen bereitgestellt werden. Zudem wäre eine schnelle Umsetzung dieser Rückkauflösung ohne „Default“ möglich.


Die Langfassung dieses Beitrags ist in Zusammenarbeit mit Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, entstanden und am 19.07. in der WELT erschienen.

Weitere Beiträge zur Schuldenkrise im ÖkonomenBlog:
*Deutsche Einheit: Ursprung heutiger Schuldenkrise in Europa? – Von Prof. Gunther Schnabl
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