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Unfair und leistungsfeindlich: das Steuerrecht

Gerechtigkeitsfragen stehen derzeit bei Politikern besonders hoch im Kurs. Neue soziale Leistungsversprechen, mit denen Wählerinnen und Wähler bis zum Herbst zur Stimmabgabe geködert werden sollen, kosten Geld.

Auf breiter Front halten es die Parteien für recht und billig die Staatseinnahmen zu erhöhen. Treffen soll die Erhöhung natürlich nur Wenige, aber ordentlich Masse bringen selbstverständlich trotzdem. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder der Erbschaftssteuer gerät wieder einmal ins Blickfeld. Aber natürlich auch der Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer.

Die aktuellste Begleitmusik zur Orchestrierung einer Steuererhöhung für „die Reichen“ bieten die Enthüllungen über Hunderte von Deutschen, die in den Steueroasen der Welt ihr Geld dem Zugriff des Fiskus entzogen haben sollen. Doch Steuerflucht stoppt man nicht mit Steuererhöhungen, sondern mittels internationaler oder bilateraler Verträge – und natürlich durch politischen Druck und eine schlagkräftige Steuerfahndung.

Die Geschichte des deutschen Steuerrechts ist eine Geschichte der fortlaufenden Steuererhöhung für die breite Masse der Steuerpflichtigen. Als der Deutsche Bundestag vor 55 Jahren das heutige Einkommensteuerrecht in seinen Grundzügen verabschiedete, wurde der Höchststeuersatz erst für einen Steuerpflichtigen fällig, der das zwanzigfache Jahreseinkommen eines Durchschnittsverdieners erzielte. Ab 60.000 Euro (respektive 120.000 DM) steuerpflichtiger Jahreseinkünfte bezahlte damals ein unverheirateter Steuerpflichtiger den Spitzensteuersatz. Das Jahresdurchschnittseinkommen lag bei rund 3.000 Euro. Heute wird ein lediger Steuerpflichtiger bereits dann zum Spitzensteuersatz veranlagt, wenn er mehr als 52.882 Euro im Jahr an Einkünften erzielt. Heute beträgt das Durchschnittsentgelt im Jahr mehr als 34.000 Euro. Ab dem Eineinhalbfachen eines Durchschnittseinkommens ist heute der Spitzensteuersatz fällig: absurd!

So brutal hat sich über die Jahrzehnte die so genannte kalte Progression entwickelt. Mit jedem Einkommenszuwachs wächst der Zugriff des Fiskus überdurchschnittlich. War der Progressionsverlauf über Jahre hinweg noch recht flach, wurde der Anstieg immer steiler. Relativ zum wachsenden Einkommen der Menschen sank der nominale Grenzbetrag, ab dem der Spitzensteuersatz fällig wird. Den Beteuerungen der Politiker aller Couleur zum Trotz, sind die Effekte sämtlicher „Steuersenkungen“ der Vergangenheit jeweils binnen weniger Jahre von der wachsenden Progression aufgefressen worden.

Wundern wir uns eigentlich, dass gut ausgebildete junge Akademiker unserem Land den Rücken kehren, wenn sie – inklusive ihrer Pflichtbeiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung – vom letztverdienten Euro oft nicht einmal 40 Cent netto im Portemonnaie haben? Ähnliche Abzüge müssen aber auch Facharbeiter in Kauf nehmen, die bei Audi, BMW oder Porsche Kraftfahrzeuge zusammenbauen. Eine kleine Entlastung bei der Progression, die genau diesen Steuerpflichtigen geholfen hätte, scheiterte übrigens kürzlich im Bundesrat.

Auf die Agenda des nächsten Bundestages gehört eine Steuerstrukturreform, die den leistungsfeindlichen Progressionsverlauf schleift, die Steuersätze auf die unterschiedlichsten Einkommensarten angleicht und die verbliebenen Ausnahmetatbestände zur Gegenfinanzierung abschafft. Für Nettoentlastungen besteht tatsächlich angesichts der immensen Staatsschuld kein Spielraum. Im Interesse aller Steuerpflichtigen ist aber erst recht auf Steuererhöhungen zu verzichten. Wer keine neuen Wohltaten verspricht, muss den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht zusätzlich in die Taschen greifen.