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Die Ökonomie ist ein Glaube wie jeder andere

Bescheidenheit - für eine neue ÖkonomieTomás Sedláček / David Orrell: Bescheidenheit – für eine neue Ökonomie, München 2013, Hanser-Verlag Das Handelsblatt  nennt ihn den „Till Eulenspiegel“ der Ökonomie. Tomás Sedláček ist aber nicht nur einer, der einem den Spiegel vorhält, sondern als Bestseller-Autor und Wachstumskritiker durchaus auch populäre Thesen vertritt. Im Gespräch mit David Orrell kritisiert er die mathematischen Modelle der Ökonomen. Er fordert auf, dem Götzendienst an der BIP-Statistik nicht weiter zu frönen. 

Viele halten ihn für naiv oder für einen Idealisten. „Gut“, antwortet Sedláček auf solche Vorwürfe, „aber ist nicht auch der Glaube an den Homo oeconomicus naiv?“ Zu glauben, dass der Mensch effektiv, rational oder gar hyperrational sei – das ist für Sedláček „ein naiver Glaube par excellence“.

Sedláček, Chefökonom der CSOB Bank, der größten tschechischen Bank, und Mitglied der Nationalen Wirtschaftsrats in Prag, ist unbequem, streitbar – und doch bleibt er sympathisch, da er niemals mit der Attitüde des Besserwissers aufläuft. In seinem neuen Buch „Bescheidenheit“ hat er einen Gesinnungsgenossen ganz anderer Art gefunden: den kanadischen Mathematiker und Publizisten David Orrell. Wer das Buch liest, hat einen unterhaltsamen, aber nicht unbedingt tiefgreifenden Schnellkurs für moderate Wachstums- und Gesellschaftskritik durchlaufen. Es sind keine neuen Thesen, die die beiden dort fabrizieren. Doch sie werden alle diejenigen ärgern, die im „grünen Wachstum“ der Weisheit letzter Schluss sehen, und diejenigen freuen, die gerne Dorn im Fleisch ökonomischer Hardliner spielen.

In dem 120 seitigen philosophisch-ökonomischen Gespräch, das der tschechische Journalist Roman Chluptatý moderiert, sind sich die beiden einig, dass „die Ökonomie ein Glaube ist wie jeder andere“. „Wir glauben schlicht und einfach, dass die Menschen rational sind. Wir glauben, dass es möglich ist, die Zukunft mithilfe mathematischer Formeln zu beschreiben“, meinen die Autoren. Ein solcher Glaube sei menschlich, aber irreführend. Was wir laut Sedláček aus der Krise lernen sollten, sind Demut und Bescheidenheit. In der Ökonomie verfügten wir über kein einziges Modell, was die Vorhersage ermöglichen würde. Möglicherweise bekämen wir eine stabilere Wirtschaft, wenn wir mit dem Vorhersagen aufhören, sinniert Sedláček.

Die Autoren treten nicht als radikale Wachstumsgegner auf. Sie fordern jedoch – wie schon in ihren vorherigen Büchern – ein Denken jenseits rein mathematischer Formeln und theoretischer Modelle. Es habe zwar ein Bewusstseinswandel darüber stattgefunden, dass das Streben nach Wachstum unsere Gesellschaft nicht allein bestimmen dürfte, verändert habe sich im Grunde aber überhaupt nichts. „Die Überzeugung, dass Wachstum etwas völlig Normales sei, dass unser System irgendwie automatisch und von sich aus wachse – das ist zum Lachen“, meint Sedláček.

David Orrell kritisiert die Modelle der Ökonomen nicht, weil sie die Krise nicht vorhersagten, sondern weil sie den Ausbruch der Krise überhaupt erst möglich gemacht hätten. „Sie haben ein falsches Sicherheitsgefühl geschaffen. So als würde man einen Sicherheitsgurt anlegen, der gar nicht richtig verankert ist“, meint Orrell.

Sedláček will die Gesellschaft vom „Götzendienst an der BIP-Statistik“ loslösen. „Seien wir bescheidener!“ ruft er aus. Damit meint er nicht Konsumverzicht. Es geht aber dennoch zum einen darum, weniger sinnloses Zeug zu kaufen. Überflüssige Konsumgüter haben für ihn nichts mit Verzicht, sondern mit dem Gewinn von Handlungsautonomie zu tun. Zum anderen geht es Sedláček darum, nicht ständig auf die Wachstumszahlen bis auf zwei Stellen nach dem Komma zu schielen. „Lasst uns damit aufhören, ständig zu versuchen, auf erkünstelte Weise genau zu sein.“

Für Sedláček scheint es besser zu sein, eben nur fast genau zu sein, als genau falsch zu liegen.

Allen, die im Schnellverfahren mal etwas von und über Sedláček lesen wollen, sei das Buch angeraten. Für alle anderen ist es ein nur Abklatsch seines Bestsellers „Gut und Böse“.