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Im Rausch der Daten

1023124476Nate Silver: Die Berechnung der Zukunft. Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen, Heyne-Verlag, München 2013 Nate Silver will uns erklären, warum wir trotz aller Vernetzung und einem damit verbundenen höchst intensiven Zugriff auf Informationen und Daten unsere Prognosekräfte überschätzen. Er will zeigen, wie wir richtig mit Daten umgehen und dadurch auch Wirtschaftskrisen besser begegnen können – ein unterhaltsames, detailliertes, kluges und manchmal selbstherrliches Buch.

2,5 Quintillionen Bytes! So groß ist Experten zufolge die Informationsmenge, mit der das Internet täglich gefüllt wird – von uns. Leider sind die meisten Informationen davon keine nützlichen, meint Nate Silver. Sie gleichen mehr einem Rauschen. „Und dieses Rauschen nimmt stärker zu als das Signal“, schreibt Silver in seinem neuen Buch „Die Berechnung der Zukunft“. Für ihn existiert immer nur eine relativ konstante Menge objektiver Wahrheiten. Die Informationen richtig zu verknüpfen, sei die große Herausforderung. „Wir lieben es, Entwicklungen vorherzusagen“, meint Silver – egal, ob es um den Weg zum Arbeitsplatz, den Urlaubsort oder um gesellschaftliche oder ökonomische Entwicklungen geht. „Wir sind aber nicht besonders geschickt darin, sie zu verknüpfen“, meint Silver. Wenn sein Buch ein Ziel hat, so ist es, dass wir nicht immer gleich jede Prognose kommentarlos schlucken, dass wir lernen, Daten richtig einzusortieren und dass wir anfangen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Silver, 35, ist amerikanische Statistiker, Wahlforscher und Schriftsteller. Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2012 sagte er die Gewinner fast aller 50 Bundestaaten korrekt voraus. Auch deswegen wird er in den USA zurzeit als Halbgott der Statistik gefeiert. Und er lässt sich feiern. Dennoch bleibt er zumindest in seinen Thesen auf dem Boden: Für ihn „besteht kein Grund zu der Annahme, dass die Auswirkungen menschlichen Handelns vorhersehbar werden.“ Im Gegenteil, meint der Autor. Die Zusammenhänge werden komplexer, ihre Deutungen schwieriger. „Das Informationsvolumen wächst exponentiell, aber nur ein geringer Teil dieser Informationen ist nützlich.“ Silver geht es weniger um das, was wir wissen, als vielmehr um den „Unterschied zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir zu wissen meinen.“ Sehr anekdotenreich bindet er in seine Erklärungen über gescheiterte und gelungene Prognose verschiedene Beispiele aus den Natur- und Gesellschaftswissenschaften, dem Sport und Glücksspiel ein. Auch die Ökonomie nimmt er sich vor: So birgt für ihn der Witz, dass die Ökonomen neun der letzten sechs Rezessionen rechtzeitig erkannt haben, mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. „Eine neuere Statistik sagt, dass die Ökonomen in den 1990er Jahren weltweit nur zwei von 60 Rezessionen ein Jahr im Voraus prognostiziert haben“, schreibt er. Allerdings räumt er auch ein, dass es sehr schwierig ist, allein mithilfe von Wirtschaftsstatistiken Ursache und Wirkung zu bestimmen. Ihm ist klar, dass sich die Wirtschaft in ständiger Veränderung befindet und dass die Prognosen vor allem ein Problem haben: nämlich dass sie auf schlechte Daten zurückgreifen müssen.

Trotz allem, seine wichtigste Botschaft bleibt: Zahlen sprechen nicht für sich, erst der Mensch muss ihnen Bedeutung zumessen. So empfiehlt er, dass man sich beispielsweise bei der Suche nach einer Wirtschaftsprognose nicht an einzelne Stimmen klammern, sondern an Durchschnitts- oder Gesamtprognosen halten sollte. Seine eigenen Studien zum „Survey of Professional Forecasters“ hätten ihm gezeigt, „dass die gesammelten Prognosen über das BIP um etwa 20 Prozent treffsicherer sind, als die einzelner Ökonomen“. Überhaupt hätten sich Gruppenprognosen auf fast allen Gebieten den individuellen Prognosen gegenüber als überlegen erwiesen. Und: Der gute Ökonom zeige sich dann letztlich darin, dass er zur richtigen Zeit auf die richtigen Kennzahlen setze.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich für Statistik interessieren, die nicht in trockenen Zahlen erklärt, sondern in vielen – wenn auch etwas selbstherrlichen – Geschichten erzählt wird. Und es ist ein Buch für alle, die viel Zeit haben, sich durch gut 550 Seiten plus Anhang zu lesen.