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Alles paletti: Piketty auf 100 Seiten

Ulrich Horstmann: Alles, was Sie über das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty wissen müssen, Finanzbuchverlag, München 2014Ulrich Horstmann: Alles, was Sie über das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty wissen müssen, Finanzbuchverlag, München 2014 Der französische Star-Ökonom Thomas Piketty wird wie einst Karl Marx, Alexis de Tocqueville oder Robespierre gefeiert. Oder gefürchtet. Oder bespöttelt. Höchste Zeit also, Piketty und sein 1000-Seiten-Werk über die Umverteilung kennenzulernen. Ulrich Horstmann macht es uns leicht. Sein kurzes Buch gibt einen kritischen Überblick über Pikettys Thesen.

Alle reden über Thomas Piketty. Der Papst, der US-Präsident, die IWF-Chefin und viele andere kluge und weniger kluge Köpfe. Und am meisten natürlich die Ökonomen, viele überschwänglich populistisch, andere miesepetrig beleidigt. Und viele reden einfach nur mit. Zum Schluss hat der Normalo nichts verstanden. Dabei war Pikettys Intention eine andere: „Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie ich die Welt verändern kann“, sagt Piketty in einem Interview der Frankfurter Rundschau, „mein Buch dient dazu, eine bessere demokratische Debatte zu ermöglichen. Die Menschen sollen das Buch lesen, denn die Inhalte sind zu wichtig, um sie nur den Ökonomen zu überlassen.“ Schön gesagt, doch schlecht umgesetzt. Denn ob „die Menschen“ seinen komplizierten 1.000-Seiten-Wälzer „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ tatsächlich jemals Wort für Wort durchlesen, ist nicht sicher. Schon deswegen sei dem Ökonomen Ulrich Horstmann gedankt, der Pikettys Thesen auf knappe 100 Seiten in einem eigenen, kritischen Werk zusammengefasst hat, schnörkellos, nüchtern und frei von den bisher üblichen Ressentiments.

Ungleichheit als Lebensthema

Zunächst macht Horstmann den Leser mit Pikettys Vita vertraut, mit den wohlhabenden Großeltern in Paris, mit den Eltern, die in den 60er Jahren ausstiegen, um in Südfrankreich Ziegen zu züchten, und mit dem begabten jungen Piketty als Wanderer zwischen diesen beiden extremen Welten. Die Annahme, dass Ungleichheit zu Spannungen und zum politischen Konflikt um Umverteilung von Wohlstand führen kann, hat Thomas Piketty frühzeitig für sich erkannt – und diese Idee mit seinem Mammutwerk populär gemacht. Selbst US-Notenbankchefin Janet Yellen soll zu Piketty gesagt haben: „All diese Statistiken über die Ungleichheit, die Sie zitieren, beunruhigen mich sehr“.

Doch natürlich entlarvt Horstmann Piketty auch als cleveren Vermarkter seines Buches, der mit dem Titel seines Werkes populistisch auf Karl Marx anspielen will. Horstmanns Hinweis, dass die englische Ausgabe von Pikettys Werk sehr viel attraktiver als die französische Originalversion wirkt, mag ein leichter Seitenhieb gegen Piketty sein. Die englische Fassung lese sich dank des Übersetzers nicht nur besser, meint Horstmann, sondern enthalte auch einen Index, der ein Durcharbeiten des Buches nach bestimmten Fachfragen möglich mache. Wie auch immer – seit dem 7. Oktober 2014 gibt es auch die deutsche Ausgabe.

Vermögen wächst nicht schneller als Wirtschaftsleistung

Dann paraphrasiert Horstmann kurz und treffend Piketty Thesengerüst – beginnend bei den historischen Voraussetzungen und Bezügen, auf denen das Buch aufbaut, über Pikettys Weltformel (r>g / Vermögen wächst schneller als die Wirtschaftsleistung) bis zu Pikettys politischen Empfehlungen und der allgemeinen Kritik an seinen Thesen. Pikettys Rechnung, dass das Kapital – oder besser gesagt das Vermögen – nachhaltig schneller wächst als die Wirtschaftsleistung, hält Horstmann genau wie Hans-Werner Sinn für falsch – sie gelte höchstens temporär. Auch, dass Piketty seine Betrachtungen und Ergebnisse allein aus der Analyse von Steuern zieht, hält er für problematisch. „Der seit 1914 nennenswert besteuernde und zunehmend umverteilende Staat bleibt weitgehend außen vor“, schreibt Horstmann.

Soziale Marktwirtschaft statt Umverteilung

Pikettys Idee, die hohen Staatsschulden, die durch soziale Wohltaten entstanden sind, durch noch mehr Umverteilung, auch mit der Einführung von Vermögenssteuer, abzubauen, hält Horstmann für äußerst problematisch. „Vermögenssteuern sind zu Recht umstritten, da sie durch den Eingriff in die Substanz der Wirtschaft strangulieren“, schreibt Horstmann. Unternehmen würden wahrscheinlich in den Konkurs getrieben. Statt die Umverteilung mit „Reichensteuer“ auf die Spitze zu treiben, sollten die Chancen für niedrige Einkommensempfänger verbessert werden, meint der Autor. Er ist sich sicher, dass niedrige Einkommensteuer, verbesserte Sparmöglichkeiten durch eine bessere Zinspolitik und Eigentum in Form von Unternehmensbeteiligungen die Ungleichheit verringern.

Ohnehin wird für Horstmann breiter Wohlstand weniger durch ständige Umverteilung als vielmehr durch fairen Wettbewerb möglich. Ein Markt ist dann sozial, wenn der Staat freien und uneingeschränkten Wettbewerb garantiert. Fehl- und Überregulierung und ein sozialer Betreuungsstatt war im System von Ludwig Erhard nicht vorgesehen. „Wie weit wir uns von diesem freiheitlichen Prinzipien entfernt haben, lässt sich unschwer erkennen“, meint Horstmann – und glaubt, dass sich durch die Rückkehr zu diesen Prinzipien wieder „Wohlstand für alle“ erreichen lasse.

Eine derartige Rückkehr wird es wohl aber vorerst nicht geben. Denn eines ist auch sicher: Der dazu notwenige politische Diskurs steht erst am Anfang.