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Der deutsche Spar-Mythos

Die Zinsausgaben des Bundes sinken, obwohl die Staatsverschuldung insgesamt angestiegen ist.Politik hat viel mit Erzählkunst zu tun, mit Inszenierung, mit Mythen. Aktuell wird die deutsche Politik wieder einmal von ihrer eigenen Inszenierung eingeholt: der schwarzen Null, für die sich Wolfgang Schäuble bei der Etatentwurf-Präsentation des Jahres 2015 noch kürzlich feiern ließ. Der Narrativ der deutschen Politik ist schnell erzählt, weil Regierung und Medien unisono die Sparpolitik in Deutschland für die schwarze Null verantwortlich machen. Dabei ist das deutsche Sparwunder ein Mythos, der sich verfestigt hat, obwohl er objektiv so gut wie keine Berechtigung hat.

Erspart hat sich Deutschland vor allem Zinsausgaben, die gemessen an den ursprünglichen Ausgabenplanungen für die Kreditfinanzierung des Bundes in einer Größenordnung von rund 15 Milliarden Euro jährlich liegen. Eine Summe, die etwa 5% des Bundeshaushalts 2015 ausmacht. So kann man das unterdurchschnittliche nominale Wachstum der Staatsausgaben auch beschönigen. „Dank“ der Nullzinspolitik der EZB werden die privaten Sparer mit Substanzverlust , sprich partieller Enteignung bestraft, während sich die Finanzminister von Bund und Ländern über die nominale Verbilligung ihrer immer noch steigenden Gesamtverschuldung freuen.

Erinnern Sie sich übrigens noch an die Debatten vor vier Jahren, als die Eurokrise am Beispiel Griechenland in das öffentliche Bewusstsein drang? Bei der Ursachenforschung der griechischen Staatsüberschuldung wurde von deutschen Politikern quer durch alle Lager beklagt, dass Griechenland – Staat wie Bürger – die Zinsrendite nach der Euroeinführung 2001 leider nicht zur Konsolidierung genutzt hätten, sondern erst recht mit neuen Schulden neue Wohltaten finanziert hätten. Da die Refinanzierung der alten Schulden in kürzester Zeit so günstig wurde, machten neue Schulden scheinbar keine Probleme.

Verhält sich Deutschland heute strukturell anders als Griechenland damals? Eigentlich müssten bei dem aktuellen Rekordsteueraufkommen zweistellige Milliardenüberschüsse im Bundesetat verbucht werden können. Doch statt die gewaltige Zinsrendite für Haushaltsüberschüsse zu nutzen, feiert man die Schwarze Null. Das ist absurd! Deutschland hätte die Finanzmasse für die Abschaffung der leistungsfeindlichen kalten Progression im Einkommensteuerrecht. Deutschland hätte die Mittel für Zukunftsinvestitionen im Bereich Bildung und Infrastruktur, wenn denn tatsächlich in den guten vergangenen vier Jahren konsolidiert worden wäre.

Doch statt zu sparen, wurden die Investitionsbudgets teilweise gekappt, wurden neue konsumtive Leistungen beschlossen, die zu Mehrausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe führten. Versicherungsfremde Leistungen wie die Mütterrente wurden den Sozialkassen und damit den Beitragszahlern aufgezwungen. Die wegen der Arbeitsmarktlage noch gut gefüllten Sozialkassen wurden nicht zur Beitragssenkung, sondern auch als Refinanzierungsinstrument des Bundeshaushalts genutzt – durch die Kürzung der Steuerzuschüsse.

Diese Taschenspielertricks stecken im Kern hinter dem deutschen Spar-Mythos. Weil aber Regierung und Opposition, Medien und Bürger diese Erzählung verinnerlicht haben, holt sie uns jetzt brutalstmöglich ein. Jetzt, da eine Rezession droht, muss man natürlich den Kurs wechseln, Abschied vom Sparkurs nehmen und neue Schulden machen: in Deutschland und in Europa. Denn im Abschwung darf man nicht sparen, da sind sich ja alle einig.

Traurig nur, dass wir Deutschen auch in den guten Zeiten, die nicht zuletzt Folge einer Reformpolitik namens „Agenda 2010“ waren, nicht gespart, keine Haushaltsüberschüsse geschafft, sondern uns im Gegenteil noch neue Belastungen aufgehalst haben. Doch wie formulierte einst Joseph Schumpeter: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“